Der Stern - 12.09.2019

(Sean Pound) #1
er mich jünger hält, als mir lieb ist. An-
ders als mein Vater, der sich technischen
Errungenschaften wie dem Computer
stoisch verweigert und sich pudelwohl
dabei fühlt, werde ich wohl allen neuen
Unsinn mitmachen müssen. Ich sehe
mich schon mit einer Virtual-Reality-Brille
auf der Nase zum Laserschwert-Duell
gegen Anton antreten.
Mein Alter beschäftigt mich vor allem,
weil ich mich frage, wie lange ich mit mei-
nem Sohn habe. Sein Abitur (hoffentlich)
in fünfzehn Jahren werde ich wohl noch
erleben, dann gehe ich gerade in Rente,
aber werde ich seine Frau kennenlernen?
Und meine Enkelkinder? Werde ich über-
haupt erfahren, was aus meinem Sohn
eines Tages wird? Anton wird in seinem
Berufsleben Niederlagen einstecken müs-
sen, wo mir mein Vater stets ein guter
Ratgeber war. Auch ich möchte so lange wie
möglich ein guter Ratgeber sein.

tatistisch gesehen, müsste ich die
80 schaffen, dann ist Anton 31, keine
schlechte Aussicht. Andere Spätväter, von
denen man so liest, sind wesentlich weiter
auf der Zielgeraden des Lebens voran-
geschritten: Klaus Maria Brandauer (Vater
mit 70), Richard Gere (69), Sky du Mont (59)
und viele andere. Man könnte ihnen vor-
werfen, dass sie ihre Kinder in absehbarer
Zeit dem traumatischen Erlebnis ausset-
zen, an ihrem Grab zu stehen. Anderseits
würde niemand auf die Idee kommen,
ein Vaterschaftsverbot für Kampfschwim-
mer, Bergretter oder Formel-1-Fahrer zu
fordern, die ihr Leben schon von Berufs
wegen aufs Spiel setzen. Und dann muss
man auch fragen: Was ist für Kinder trau-
matischer – die Endgültigkeit des Todes
oder eine schmutzige Scheidung, die viel
mehr von ihnen erleben?

Ich glaube, dass die Lebenserfahrung
für uns alte Väter von großem Vorzug ist.
Wir neigen weniger dazu, unsere Kinder
anzutreiben und herumzuhelikoptern.
Mein Kollege Peter Praschl, der mit Anfang
und Mitte 50 noch mal zwei Töchter be-
kam, wundert sich über junge Eltern, die
in der Kita Computer-, Französisch- und
Spanischkurse fordern. Für Zwei- und
Dreijährige.

raschl nennt diese jungen Eltern die
„Generation Algorithmus“ und hält
unsere Spätväter-Generation für privi-
legiert, weil wir nicht mit der Angst, keinen
guten Job abzukriegen, ins Berufsleben ge-
startet sind. Diese Erfahrung verändere den
Fokus in der Erziehung, unsere spätväterli-
che Kuschelpädagogik sei mehr darauf aus-
gerichtet, den Kindern ein maximales Maß
an Liebe und Sicherheit mitzugeben, als sie
bereits im Vorschulalter fit zu machen für
einen Vorstandsposten bei der Allianz.
Skeptiker beim Thema späte Vaterschaft
kommen gern mit dem Argument, wir
würden defektes Erbgut in die Welt tragen.
Anders als bei der Frau, wo die Eizellen
bereits im Embryo angelegt werden und
irgendwann ihr Verfallsdatum erreicht
haben, ist die Spermienproduktion ein
nicht enden wollender Zellteilungspro-
zess, der jedoch zunehmend zu Pannen
führt. Durch Genmutationen. Und zwar
deutlich ab dem 40. Lebensjahr. Angeblich
kann das bei Kindern Autismus und Schi-
zophrenie auslösen. Eine Studie der Co-
lumbia University stellte fest, dass Kinder,
deren Väter bei der Geburt über 50 waren,
im Schnitt sechs IQ-Punkte weniger intel-
ligent sind.
Sechs IQ-Punkte weniger – ich habe kei-
ne Vorstellung, was das bedeutet, und
glaube auch nicht, dass der IQ irgendwas
damit zu tun hat, ob ein Kind glücklich ist,
aber einige Autoren ließen sich zu der
Empfehlung hinreißen, Männer sollten
ihr Sperma spätestens mit 35 einfrieren
lassen. Dieses Social Freezing, das Firmen
wie das „Kinderwunsch Centrum“ in
München anbieten, wird tatsächlich im-
mer häufiger genutzt. 4

Häufig sei das Kind nur Bindungs-


verstärker. Für ihn, weil er Angst hat, dass


ihm „seine junge Trophy Wife“ wegläuft,


für sie, weil sie fürchtet, in ein paar Jahren


gegen eine Jüngere ausgetauscht zu wer-


den, so, wie es bereits der ersten Ehefrau


erging. „Diese Väter haben oft ein schlech-


tes Verhältnis zu ihren Kindern aus erster


Ehe und wollen es im zweiten Anlauf bes-


ser machen. Aber sie scheitern wieder. Die


sind auf Kampf und Karriere gepolt. So


was legt man nicht ab, weil ein Baby da ist.“


Außerdem entstehe bei den erwachsenen


Kindern eine tiefe Enttäuschung. „Denn


für sie war der Vater nie da, er hat viel-


leicht auch noch die Mutter abserviert.


Aber da beißen viele die Zähne zusammen,


weil Geld im Spiel ist. Da geht’s ums Erbe.“


Überhaupt glaubt Dogs nicht, dass die


Älteren die besseren Nerven für Kinder


haben. „Woher kommt diese Vorstellung?


Mit Mitte 50 tritt die Midlife-Crisis auf.


Da fragen sich viele Männer: War es das?


Dann ist da ein Kind und macht alles noch


extremer, weil man keine Aussichten hat,


etwas zu ändern.“


Freilich kann ich nicht ausschließen,


dass mich die Midlife-Crisis auch er-


wischt, wer kann das schon, aber bislang


fühlt es sich an, als ließe mir Anton gar


keine Zeit dazu. Eher befürchte ich, dass


S


P


„Du musst strenger
sein“, findet seine
Frau. Als Spätvater
nimmt Albes gelassen
hin, dass Anton zu
Hause das Sagen hat

ERZIEHUNG


MIT


LEBENS-


ERFAHRUNG


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