Der Stern - 12.09.2019

(Sean Pound) #1

eines Kindes gar nicht, nur das der Mutter.


„Es bedürfte einer Gesetzesinitiative, um


das zu ändern“, erklärt ein Sprecher. Auf


Umwegen lassen sich aber doch Rück-


schlüsse ziehen. So ist der durchschnitt-


liche Altersabstand der Väter zum jeweils


jüngsten Kind in deutschen Haushalten


konstant gestiegen. 1998: 31,8 Jahre; 2008:


33,1 Jahre; 2018: 34,5 Jahre. Und dann ist aus


der Schweiz noch eine Statistik überliefert,


wonach im Jahr 2000 jedes 120. Neugebo-


rene einen Vater über 50 hatte, und im Jahr


2012 schon jedes 69.


An dieser Stelle sage ich mal: Wir, die


alten Väter, sind die besseren Väter. Ich


bilde mir das ein, weil ich mit 25 (so alt war


mein Vater, als ich geboren wurde) gewiss


nicht in der Lage gewesen wäre, ein Kind


gut großzuziehen, ebenso wenig mit An-


fang 30. Sicher, ich hätte es hinbekommen,


aber ich hätte es nicht genossen.


Ich glaube, dass man ein Kind am bes-


ten großzieht, wenn man fähig ist, jeder


Sekunde etwas Schönes abzugewinnen,


auch unter Schlafentzug, auch, wenn


Anton den einzigen Schlitz im Fahr-


stuhlschacht findet, wo das neue iPhone


reinpasst, auch, wenn der Hosenwechsel


genau dann nötig ist, wenn das Taxi be-


reits vor der Tür steht und man ohnehin


schon daran zweifelt, den Flug noch zu


erwischen – und das, obwohl man noch


Sekunden vorher versichert bekam:


„Nein, Papa, ich muss nicht!“


Als junger Vater hätte ich das Gefühl


gehabt, auf mein Leben zu verzichten,


wenn ich den halben Tag mit Sand in den


Schuhen auf dem Spielplatz verbracht


und der kindlichen Befehlskette gehorcht


hätte: „Papa, schneller!“, „Papa, noch mal!“,


„Papa, du auch!“ Ich hätte mich der Illu-


sion hingegeben, dass ich meines Kindes


wegen irgendetwas Karriereförderndes


verpasse. Oder ich hätte den Kinder-


wagen wehmütig an den Bars vorbeige-


schoben, wo sich kinderlose Pärchen mit


Mojitos in Kuschelstimmung trinken.


Klar, ich habe heute auch gern die Aben-


de für mich, aber nichts geht darüber, was


sich Anton um 23.30 Uhr noch einfallen


lässt, um uns davon zu überzeugen, dass


ein Dreijähriger nicht schlafen muss. „Ich
muss gucken, ob meine Autos in der
Garage sind.“

eine Frau sagt mir oft, ich müsse
strenger sein, denn sie findet,
Erziehung, besonders die eines Jungen, sei
Vatersache. Aber ich habe Strenge oft als
etwas erlebt, das das Leben der Eltern leich-
ter und nicht das der Kinder besser mach-
te. Das schreibe ich ohne Groll. Meine
Eltern führten ein Restaurant, als ich klein
war, erste Schicht 9 bis 15 Uhr, Mittagspau-
se, zweite Schicht 18 Uhr bis Ende offen,
Montag Ruhetag. Wer hat da den Nerv für
kleine Nervensägen? Sätze wie „Jetzt sitz
doch mal still!“ oder „Reiß dich zusam-
men!“ hallen mir noch heute in den Ohren.
Ich mit meinen 52 genieße den Luxus,
dass ich beruflich und privat genug erlebt
und erreicht habe, um Anton das Feld zu
überlassen. Um gelassener zu sein, nach-
giebiger, geduldiger.
Ich gebe es zu, ich bin Toni-verrückt.
Professor Sommer sagt, das sei normal. Von
jenen, die aus dem ganzen Land zu ihm
nach Hamburg kommen, um sich über eine
späte Vaterschaft beraten zu lassen, hätten
92 Prozent diesen Wunsch aus tiefstem
Herzen. „Absolut nix zu rütteln.“
Am anderen Ende der Republik, im mon-
dänen Lindau am Bodensee, sitzt ein Mann,
der dem späten Vaterwerden dagegen nichts
abgewinnen kann. Christian Dogs, Mitte
60, Vater einer erwachsenen Tochter, ist
Psychiater und Psychotherapeut. Dogs
coacht deutsche Unternehmer und Füh-
rungskräfte und ist eher unfreiwillig zum
Späterzeuger-Experten geworden. „Denn
viele dieser Herren meinen, es sich im
Alter potenzmäßig noch mal beweisen
zu müssen. Und der größte Beweis ist,
wenn man ein Kind zeugt.“

M


„ABER DU


BIST EIN


ALTER


MANN“


Die gleichen Ohren,
das gleiche Lachen.
Andreas Albes freut sich
über alle Ähnlichkeiten,
die man zwischen seinem
Sohn und ihm feststellt


4

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