Die Zeit - 22.08.2019

(Nora) #1

  1. August 2019 DIE ZEIT No 35


I


m Lastenaufzug steht noch der kalte, gif-
tige Dunst, und durch die Ritze zwischen
den schiebetüren zieht er hinein in die
Museumsräume, die herrlich rein und
makellos sind und jetzt ein wenig brenzlig
riechen. gehört das zum kuratorischen
Konzept? Ist der Mief ästhetisch wertvoll?
Davon kann natürlich keine Rede sein: Das Feuer
im Dach des Frankfurter Museums für Moderne
Kunst, der dicke Qualm, die Löschwasserfontänen,
das alles war ausnahmsweise kein Künstlerwerk, es
war eine echte, schlimme gefahr, die zum glück
rasch erstickt werden konnte, sodass jetzt, kaum drei
Wochen später, die neue Ausstellung auf den tag
pünktlich begonnen hat. Oder etwa doch nicht?
Drinnen im Hauptsaal des Museums, der alle
Etagen verbindet, könnte man denken, die sammlung
sei wohl noch ausgelagert, sicherheitshalber. Keine
Kunst, nirgends, und so ist man hier recht allein mit
sich selbst und mit der eigenen Verwunderung über
die große Leere, von der man nicht weiß, wie man sie
finden soll, ob wunderbar offen oder schrecklich
ratlos oder nur ein wenig gedankenscheu. Irgendwann
aber, man bleibt ja stehen und sieht sich um, ist da
doch etwas, ein sanfter Durchzug, der über die Köpfe
und Arme streicht, ein Wind, der ganz bestimmt kein
Kunstwerk sein will und doch eines ist, luftig und
unsichtbar, ausgedacht von Ryan gander, der über

gut getarnte schächte dafür sorgt, dass es nicht stickig
wird, nicht hier, nicht an diesem hohen Ort.
Das macht gander zum idealen Künstler, jeden-
falls für eine Ausstellung wie diese, die einen ebenso
viel- wie nichtssagenden titel trägt: Museum. Es soll
hier, sagt die Direktorin susanne Pfeffer, ums grund-
sätzliche gehen, darum, was ein solches Haus aus-
macht, was es mit der Kunst anfängt und was die
Kunst mit ihm. Weniger eine Aus- als eine Aufstel-
lung soll es sein, um endlich besser zu begreifen,
welche Muster, Kräfte und Beziehungen hier wirken.
Dafür hat Pfeffer das ganze große Museum aus-
geräumt, ja eigentlich ausgeleert. Denn obwohl es in
den oberen sälen deutlich mehr zu sehen gibt als
unten beim windigen gander, geht es auch dort un-
gemein luftig zu. Die wenigen ausgewählten Werke
der sammlung, ergänzt um ein paar Neuproduk-
tionen, verlieren sich fast in den Weiten des Hauses.
sind auf sich gestellt, müssen sich beweisen.
Es ist eine besonnene, manchmal schon heilige
Präsentation, sie macht aus dem Museum einen Ort
der Einkehr und Besinnung, was man ja unbedingt
schön finden könnte. Nur sind die meisten Kunst-
objekte, die es zu sehen gibt, für diese Art von Aura-
tisierung denkbar ungeeignet. Ein Haufen scheiße
(zum glück aus Kunststoff ) von Martin Kippen-
berger, ein Häuflein zusammengekramter straßen-
müll von Laurie Parsons oder die Überbleibsel einer

Box-Performance von Joseph Beuys – man merkt
rasch, dass es vielen Künstlern der letzten 50 Jahre
nur selten um Andacht und Kontemplation ging.
Viele schauten sogar mit Verachtung auf das Mu-
seum, diesen Ort der bürgerlichen selbstfeier, der
noch die größte Provokation zum bewunderten
staubfänger werden lässt. Auch Michael Asher ging
das so, als er 1991 in Lyon den ausgedienten Heiz-
kessel des dortigen Museums einschmelzen ließ, um
daraus kleine Plaketten zu gießen, die er in der Nach-
barschaft, von gentrifizierung bedroht, verteilen ließ.
Wehrt euch, heißt es da, pocht auf euer Wohnrecht!
Asher suchte den sinn der Kunst nicht im
Museum. Er wollte das schweigen der Objekte über-
winden, wollte Aufruhr und Aktion, so wie viele
Künstler, die jetzt in Frankfurt gezeigt werden. und
doch hängen nun zwei seiner Plaketten fein säuberlich
arrangiert auf weißer Wand, als wollten sie bestaunt
und als klassische Werke befragt werden. Der
Museums flücht ling wird musealisiert.
Das mag der Künstler noch billigend hinnehmen,
gegen ein bisschen Nachruhm hat ja niemand etwas
einzuwenden. Für die Besucher jedoch ist es eine recht
unerquickliche Angelegenheit, denn so wie hier ste-
hen sie allzu oft vor Objekten, die nichts weiter sind
als Relikte des Eigentlichen. Wer ihre Vorgeschichte
nicht kennt, sie nicht im mitgelieferten Heftchen
nachliest, bleibt ratlos zurück. Damit aber wird die

ursprüngliche Absicht vieler Künstler erst recht ad
absurdum geführt: Ihre Kunst sollte kein heiliges
Rätsel, auch kein Objekt kunsttheoretischer gelehr-
samkeit sein. Im gegenteil, sie sollte möglichst lapi-
dar erscheinen, flüchtig und lebensnah.
Ein wenig anders verhält es sich mit den vielen
Videos der Ausstellung, die aus sich heraus erzählerisch
sind. sie zeigen tracey Emin, wie sie tanzt. Zeigen
Claude Lelouch, wie er frühmorgens durch Paris rast.
Zeigen Li Liao, wie er sich auf den Boden einer Ein-
kaufsstraße legt und schläft. Doch selbst hier, in diesen
quicklebendigen szenen, wirkt die Kunst wie ein
Dokument ihrer selbst. Das Eigentliche ist längst
geschehen, andernorts, in einer anderen Zeit, und so
bleibt dem Museum nur die Rolle des Archivs.
Das wird ihm auch niemand vorwerfen wollen,
erst als kulturelles gedächtnis findet es seine Bestim-
mung. und doch fällt einem hier das Missverhältnis
zwischen dem Wesen einer ephemeren Kunst und
dem aufs Ewige schielenden Museum besonders auf.
Denn unterschwellig erzählt die Ausstellung eine ge-
schichte der selbstverwandlung, sie zeigt, wie die
Künstler das Verhältnis von Frau und Mann, von
Mensch und tier, von Alltag und Kunst neu bestim-
men. Nur das Museum selbst scheint davon ausge-
nommen, es bleibt unwandelbar. Besonders deutlich
wird das in einem Nebenraum, wo Hans-Peter Feld-
mann eine Kiste mit schokoriegeln aufgestellt hat,

präsentiert auf weißem sockel, versehen mit einem
Messingschild, auf dem nein steht. Das kann man als
Warn- oder Lockruf verstehen, in jedem Fall spürt
man den Kitzel, sich vielleicht doch rasch einen der
Riegel ins Jackett zu stopfen.
so preist das Museum die Entgrenzung, es will mit
der Kunst, die es zeigt, das binäre Denken hinter sich
lassen. Wehe aber, die Besucher kämen auf die Idee,
es den Künstlern gleichzutun, und begännen wild zu
tanzen, sich für ein Nickerchen hinzulegen, einen
Boxkampf mit den Wärtern anzuzetteln oder den
eigenen Müll irgendwo aufzuhäufen. undenkbar, dass
sich das Museum solche Überschreitungen gefallen
ließe. Es kann auch gar nicht anders, es muss die
eigenen grenzen wahren, und das schon deshalb, weil
die Wandlungsspiele der Künstler als solche nur zu
erkennen sind, solange es die grenzen gibt. Nur wo
streng zwischen drinnen und draußen unterschieden
wird, lässt sich der straßenmüll als Material der Kunst
begreifen. und der flüchtige Wind des Ryan gander
erscheint bedeutungsvoller, als es eine übereifrige
Klimaanlage je sein kann.
Man muss der Ausstellung also dankbar sein: sie
inszeniert die selbstwidersprüche der modernen Kunst
als erhebende Erfahrung. und beweist nebenher, wie
unverzichtbar das Museum ist und bleibt.

Die Ausstellung läuft bis zum 16. Februar 2020

L


eichen, zerstückelte wie komplette, er-
freuen sich im Drama wie in der Komödie
seit je einiger Beliebtheit. In Alfred Hitch-
cocks Cocktail für eine Leiche ruht ein eben
Ermordeter inmitten einer Cocktailrunde, die ein
auf seiner totentruhe serviertes Buffet genießt und
dabei, natürlich, über den scheinbar Abwesenden
lästert. und ständig schwebt die gefahr einer Ent-
deckung des grauslichen über aller groteske. sehr
fesselnd, sehr spaßig: Hitchcock eben.
Im Zentrum des nun im salzburger Landesthea-
ter uraufgeführten stücks von theresia Walser ruht
in einer truhe die darin entsorgte Leiche des Halb-
bruders der Bürgermeisterin. Der hat kurz zuvor sein
Auto in eine Volksgruppe gelenkt und dabei einige
Menschen getötet, darunter ein Muslim und er selbst.
Worauf Frau Bürgermeisterin mithilfe eines weiteren
Bruders die Leiche aus dem schauhaus entführte, in
ihre Dienststube. so weit, so spaßig. Der Hilfsbruder,
ein Weich ei, hat sich beim Einbruch beide Hände so
verletzt, dass er das ganze stück über mit weiß ban-
dagierten tentakeln rumstehen muss. Corinna, die
Bürgermeisterin, ist ein raubolziges, karrieresüchtiges

schlangenbiest, eine Comic-Politikerin. »uns kommt
nur noch die Komödie bei«, sagte einst der gallige
Emmentaler Dürrenmatt (auch so ein großmeister
des sardonischen gelächters), und die Alemannin
theresia Walser denkt das seit je und hat in etlichen
Dramen Cocktails aus Makabrem und groteskem,
aus absurder Bizarrerie und wortverspieltem Wahn-
witz gemixt (King Kongs Töchter; So wild ist es in
unseren Wäldern schon lange nicht mehr; Die Kriegs-
berichterstatterin).
Es ist Wahlkampf, ein skandal wäre tödlich für
die Bürgermeisterin! War’s ein erweiterter selbst-
mord, ein unfall, war’s Amok, ein Attentat? Ihr
Bruder, der offiziell noch nicht identifizierte tote,
muss erst mal weg: rin in die Kiste, ein nackter Fuß
hängt raus. Komödiensetting.
Ist ja kein schlechter Plot für Hohn und spott
über unsere Polithyänen und -sumpfhühner; denn
nun treten auf die Muslimwitwe, die rechte ge-
genkandidatin, der parteifrei beamtete Referent
und Redenschreiber wechselnder Chefs; da ließe
sich schon einiges reinpacken an Injurien, hell-
sichtigem Hass und bloßgestellter Idiotie. Jedoch,

es kommt nichts! Das Dramolett heißt Die Empör-
ten, aber die sind alle bestenfalls ein wenig verstört.
Es fallen die üblichen Witze, etwa zur (hierorts
geborenen) Muslimin: »sie sprechen aber gut
Deutsch.« – Antwort: »sie auch.« Von der Politike-
rin erfahren wir, dass sie nur noch Kugelschreiber
geschenkt kriegt und tickets für scheußliche
Opernaufführungen, dass ihr Beruf sie zu Über-
nachtungen in grässlichen Hotels zwingt, »wo ich
in überdimensionierten Betten schlafen muss, und
kaum bin ich weg, lassen sie die sau raus, ejakulie-
ren sich durch Rotlichtgassen, während ich allein
im Or gien bett hocke«.
Immerhin spricht, schreit und gestikuliert das die
aufgekratzt tobende Caroline Peters, raukehlig und
gänzlich aus der Haut gefahren, umschlichen von
ihrem in Jahrzehnten zusammengestauchten Refe-
renten, dem André Jung in seiner marottenhaft sto-
ckenden sprechweise gelegentliche Ausbrüche einer
modrigen seele gestattet. Er tritt im Pinguinfrack mit
überlangen Rockschößen auf, klettert gleichwohl auf
himmelhohe staffelleitern, um an die Bürowand ein
Kruzifix zu hängen – an eine scheußlich dunkel-

braune Holztäfelung übrigens, das Einheitsbühnen-
bild verantwortet Florian Etti. Die Rückwand: groß-
flächige Plexiglaskassetten, dahinter ein Alpenpano-
rama, das – warum auch immer – von szene zu
szene weiterzieht, mal lieblich ist, mal schroffbergig,
am Ende zittern riesige, dürre Bärenklau-Dolden im
Winde. Na doll.
Inszeniert hat der stuttgarter schauspielintendant
Burkhard Kosminski, der schon einiges von theresia
Walser in szene gesetzt hat. Hier ist ihm nichts ein-
gefallen, seine Wortregie, die doch die Walser-typi-
schen Dialogfetzen gewitzt hätte verstricken müssen,
scheitert komplett; aus den wenigen Angeboten der
Autorin für späße und slapstick macht er nichts
(auch nicht aus der Leichenkiste als Objekt der Neu-
gier), nicht mal aus silke Bodenbender als aggressiv-
rechter Heimatschützerin: sie ist lieb und hübsch und
fehlbesetzt; kein Vergleich mit unseren realen, höh-
nisch versauerten Blondies von der Rechten!
Mit einem Wort: Kosminski machte aus Wal-
sers einfallsarmem stück eine einfallslose Auffüh-
rung. Jetzt bei den salzburger Festspielen. Vom
Herbst an im stuttgarter staatstheater.

FEUILLETON 39


André Jung und Caroline Peters mit der Truhe des
Unglücks, Szene aus »Die Empörten«

Gröblicher Unfug


theresia Walsers neues Dramolett
»Die Empörten« bei den salzburger
Festspielen VON MICHAEL SKASA

So schön kann Leere sein – die Haupthalle des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt

Ein Museum in Frankfurt will wissen, wofür


Museen eigentlich gut sind – und gelangt zu verstörenden Erkenntnissen VON HANNO RAUTERBERG


Abb.: Ryan Gander »Looking for something that has already found you (The Invisible Push), 2019« (Foto: Axel Schneider)/ VG Bild-Kunst, Bonn 2019; Foto u.: SF/Ruth Walz

Das große


weiße Nichts

Free download pdf