Die Zeit - 22.08.2019

(Nora) #1

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  1. August 2019 DIE ZEIT No 35


A


n dem Morgen, als die Weltreli-
gionsführer sich im beschauli-
chen süddeutschland ein Frie-
densversprechen geben, sagt ein
Bischof in der kriegsverheerten
Zentralafrikanischen Republik
diesen Verzweiflungssatz, der
typisch ist für einige der blutigsten Konflikte unse-
rer Zeit. Néstor-Désiré Nongo-Aziagba, oberster
Katholik seines Landes, in dem sich muslimische
seleka-Rebellen und christliche Anti-Balaka-Mili-
zen nun seit Jahren bekriegen, verkündet, man
befinde sich »in einer politischen, nicht in einer
religiösen Krise«. soll heißen, nicht unterschiedli-
cher glaube sei schuld am tod von Hunderttau-
senden und der Vertreibung von mehr als einer
Million seiner Landsleute.
Das ist wahr – insofern die Religionen nicht
der ursprung des Mordens waren. Doch das ist
falsch – insofern der Religionshass mittlerweile
zum Antrieb der Mörder geworden ist.


und genau die ambivalente Lage macht »Reli-
gions for Peace«, das Welttreffen von 1000 religiö-
sen Autoritäten aus über 100 Ländern, das diese
Woche in Lindau am Bodensee stattfindet, so bri-
sant. »Religions for Peace« ist nicht einfach ein
Kirchentag für alle. Keine interreligiöse umar-
mungsveranstaltung, wie es mittlerweile viele gibt,
deren Zweck oft nur darin besteht, sich selbst und
andere zu beruhigen, dass alle gläubigen dieser
Welt im grunde dasselbe glauben. schön wär’s.
tatsächlich gehören heute über 80 Prozent der
Weltbevölkerung einer glaubensgemeinschaft an.
tatsächlich hat sich die säkularisierungsthese, also
die große Prognose des vorigen Jahrhunderts vom
allmählichen Verschwinden des glaubens, nicht
bewahrheitet, nicht einmal in der westlichen Welt.
Doch während es zu Beginn des neuen Jahrtau-
sends unter deutschen Kirchenvertretern üblich
war, eine »Rückkehr der Religion« im ton der
Erleichterung, ja des triumphs zu verkünden,
konstatieren sie in Lindau die fortwirkende Macht

des gottesglaubens sowohl hoffnungsvoll als auch
warnend. Das ist klug und für ein Religionstreffen
ungewöhnlich ehrlich.
Denn noch ist unentschieden, ob die Religionen
künftig eher Konfliktmacher oder eher Friedens-
stifter sein werden. Noch zeigt sich auf der weltpoli-
tischen Bühne, dass sie beides sein können. In Lindau
hat man sich deshalb entschieden, die Probleme
einmal anzusprechen, statt sich mit Friedensgebeten
zu begnügen. Zur Eröffnung sagte Bundespräsident
Frank-Walter steinmeier: Leider hätten manche
Menschen den Eindruck, eine religionslose Welt sei
geradezu die Voraussetzung für eine friedliche Welt.
Als grund nannte steinmeier nicht einfach die
Religionsverächter, sondern auch die Religiösen
selbst. »Das ist eine starke Provokation für alle, denen
Religion am Herzen liegt, für alle, denen der glaube
sinn gibt, die durch den glauben Orientierung und
Halt finden.« sein Appell: Es dürfe keinem glauben-
den gleichgültig sein, wenn Religion als friedensver-
hinderndes, ja kriegsförderndes Phänomen gelte.

Klingt wohlfeil, ist aber mutig angesichts der
diplomatischen gepflogenheit, am liebsten vom
»Missbrauch« der Religion durch die Politik zu reden
und Anwesende auszunehmen von den Konflikten,
um die es gerade geht. »Religions for Peace« entstand
1970 als interreligiöse Versammlung, die Frieden
nicht nur predigt, sondern auch macht. Eine gewisse
Ehrlichkeit gehörte daher seit Anfang an zum Kon-
zept. Der amtierende generalsekretär, der Amerika-
ner William F. Vendley, sagte in Lindau, man brauche
schon Ironie, wenn man die friedensstiftende Macht
von Religionsgemeinschaften nutzen wolle, die ihre
eigenen standards immer wieder verrieten. Bei »Reli-
gions for Peace« heute mitzutun bedeute, sich auf die
friedlichen Fundamente des eigenen glaubens zu
besinnen und die Liebe zur eigenen Religion durch
die Augen der anderen wiederzufinden.
Das ist nun abstrakt und durch theologie allein
nicht zu haben. Dazu muss man sich auch streiten.
und deshalb sind die neun Millionen Euro, die das
Lindauer Welttreffen kostet, gut investiert. Erstmals

tagt »Religions for Peace« in Deutschland, erstmals
will man sich auf ein Abkommen zum schutz heiliger
stätten einigen, erstmals sprachen 1000 Religions-
führer statt eines glaubensbekenntnisses das gemein-
same gelöbnis: »getragen von meiner eigenen
glaubenstradition und im Respekt vor religiösen
unterschieden, verpflichte ich mich zur multireligiö-
sen Zusammenarbeit für den Frieden. Ich werde mit
gläubigen anderer Religionen partnerschaftlich zu-
sammenarbeiten.« Daran kann man die in Lindau
anwesenden Christen, Muslime, Juden, Buddhisten,
Hindus künftig erinnern, vor allem wenn sie wieder
zu Hause in ihren Ländern sind und gerade nicht
»partnerschaftlich zusammenarbeiten«.
Natürlich sind bei der viertägigen Weltkonferenz
auch Religionführer zugegen, die Konflikte befeuern.
Dazu sagte die ehemalige Vatikanbotschafterin An-
nette schavan: »Wenn Religionen sich treffen, ist das
keine Versammlung der Heiligen. Wo viel Heiliges
ist, ist auch unheiliges.« Man müsse sich halt mög-
lichst oft treffen, damit das Heilige sich durchsetze.

Love, Peace and Holiness


Am Bodensee treffen sich diese Woche 1000 Religionsführer aus über 100 Ländern. Was bringt das? VON EVELYN FINGER


GLAUBEN & ZWEIFELN


Bitte die Waffen unter dem Bananenbaum ablegen


Wo Politiker und Diplomaten nicht weiterwussten, haben religiöse Führer erfolgreich Bürgerkriege und zwischenstaatliche Konflikte geschlichtet VON MICHAEL THUMANN


W


ann wurde eigentlich der letzte
politische großkonflikt befrie-
det? syrien, Jemen und der rus-
sisch-ukrainische Kampf um den
Donbass ziehen sich seit vielen
Jahren hin – blutig und kaum lösbar. Im Zeitalter
der kompromisslosen autoritären Männer kom-
men neue Konflikte hinzu, seien es Handelskriege
oder militärische Kraftproben im golf. Politiker, so
scheint es, sind zunehmend unfähig, Konflikte zu
lösen. so sah es auch vor 40 Jahren aus, als die Welt
einen Höhepunkt des Kalten Kriegs erlebte.
Damals standen Argentinien und Chile am Rand
eines Krieges. Die lateinamerikanischen
Länder stritten um mehrere Inseln am
südlichen Ende des Kontinents. Die ar-
gentinische Militärjunta hatte schon für
den Angriff auf Chile mobilgemacht, als
eine Eil-Depesche aus Rom sie aufhielt.
Kein geringerer als der gerade gewählte
Papst Johannes Paul II. bot seine Vermitt-
lung an. Wenig später, am ersten Weih-
nachtstag 1978, landete sein persönlicher
gesandter in Buenos Aires. Zuvor waren
Vermittlungsversuche von Politikern und
ein schiedsspruch des Internationalen gerichtshofs
in Den Haag gescheitert. Nun sollte päpstliche Ver-
mittlung es richten. und es gelang! Aber wie?
Papst Johannes Paul II. und seine Vatikandiplo-
maten konnten den argentinischen Angriff vereiteln,
indem sie die Junta zu Verhandlungen an einem Ort
einluden, zu dem man nicht Nein sagen kann:


Argentinier und Chilenen trafen sich in den Vatika-
nischen gärten. Dort übten die päpstlichen Diplo-
maten sich in der Kunst des Weglassens. Alles, was
nicht unbedingt mit dem Inselstreit zu tun hatte, der
Zugang zur Antarktis, die Magellanstraße, wurde
nicht besprochen.
so kam es zu einem ersten gewaltverzicht.
Zwei Jahre später machte der Papst einen umfas-
senden Friedensvorschlag. Die Chilenen stimmten
zu, die Argentinier antworteten nicht. Aber der
Papst hatte Zeit. Er war auf Lebenszeit gewählt, er
war unumstritten, die Politiker nicht. Endlich,
1983, stürzte die argentinische Junta. Nun war das
Land reif für den Frieden.
Die neue, demokratisch ge-
wählte Regierung unter-
zeichnete 1984 einen Frie-
dens- und Freundschafts-
vertrag mit Chile, der ohne
die päpstliche Vorarbeit
undenkbar gewesen wäre.
Religiöse Vermittler ha-
ben mehrere Vorteile gegen-
über Politikern und ihren
Diplomaten. Oft sind sie
glaubwürdiger, weil sie kein offensichtliches
Machtinteresse treibt. sie gelten als ungefährlicher,
weil hinter ihnen keine Armee und kein National-
staat steht. sie können keinen militärischen oder
wirtschaftlichen Druck ausüben, aber genau dafür
genießen sie einen Vertrauensvorschuss. »Wirkli-
cher Frieden«, sagte der Ökumenische Patriarch

Bartholomäus I. soeben beim Welttreffen »Reli-
gions for Peace«, »wird nicht durch Macht, son-
dern durch Liebe erreicht.«
Natürlich haben religiöse Führer schon viele
Konflikte ausgelöst oder angeheizt. Aber sie kön-
nen ihre glaubwürdigkeit auch wirksam zur Kon-
fliktlösung einsetzen. Drei weitere Beispiele:
Der Bürgerkrieg in Mosambik brach in den späten
1970er-Jahren aus und hatte viel mit dem Kalten
Krieg zu tun. Eine von der sow jet union abhängige
Linksregierung kämpfte gegen Rebellen, die unter
anderem von den usA mit Waffen beliefert wurden.
schätzungsweise bis zu eine Million Menschen star-
ben, mehrere Millionen
wurden vertrieben, derweil
ausländische Vermittler in
serie scheiterten. Als der
Kalte Krieg endete, erkannte
der gründer und damalige
Leiter der katholischen
Laien be we gung sant’Egidio
die Chance. Andrea Riccardi
lud Vertreter der mosambika-
nischen Regierung und der
Rebellen nach Rom zu Ver-
handlungen ein. Die fanden am sitz von sant’Egidio
statt, bei gutem Wetter auch im garten mit Bananen-
stauden und einem großen Olivenbaum. Riccardi
leitete zusammen mit zwei Bischöfen und einem
Vertreter der italienischen Regierung die Verhand-
lungen. Zwei Jahre später war man so weit. Die
mosambikanische Regierung und die Rebellen

unterzeichneten das Abkommen von Rom, das den
15-jährigen Bürgerkrieg beendete.
Nicht immer gelingt glaubensfromme Kon-
fliktlösung so mustergültig. Als 1991 Jugoslawien
zerfiel, gossen religiöse Führer der katholischen
Kroaten und orthodoxen serben viel Öl ins Feuer,
auch bosnische Muslime radikalisierten sich. Etwa
100.000 Menschen starben, gut zwei Millionen
wurden vertrieben, in srebrenica wurde ein Völ-
kermord verübt, bis die Konfliktparteien 1995
einen Waffenstillstand schlossen.
Den Weg dahin aber ebneten wiederum religiöse
Führer, allen voran der großmufti von Bosnien,
Mustafa Cerić. Kritiker hiel-
ten ihm zu großes politisches
Engagement vor, tatsächlich
aber warf er sein gewicht als
geistlicher Führer der bosni-
schen Muslime in die Waag-
schale, um das schlachten zu
beenden. Europa und sein
Land sah er weder als »Haus
des Islams«, weil hier eben
verschiedene Religionen zu-
sammenlebten, noch als
»Haus des Krieges«, weil es nicht vom Islam erobert
werden sollte. Ihm schwebte ein »Haus des gesell-
schaftsvertrags« vor. Cerić ließ sich auf gespräche mit
den Vertretern anderer Religionen ein, die noch
während des Krieges vom World Council of Religions
for Peace organisiert wurden. Damals gründete sich
ein interreligiöser Rat, in dem Katholiken, Ortho-

doxe und die von Mustafa Cerić vertretenen Muslime
beschlossen, Regeln für das friedliche Zusammen-
leben der Religionen in Bosnien zu finden
Frieden braucht eben nicht nur gute Vermittler,
sondern auch kompromissbereite Parteien. Die
unerschütterliche Bereitschaft zum Reden verkör-
pert kaum einer so wie der Ökumenische Patri-
arch, Bartholomäus I. von Konstantinopel. Der
höchste Vertreter der orthodoxen Kirche residiert
am goldenen Horn in der Istanbuler Altstadt.
Nach den Pogromen gegen die griechen von
Istanbul und ihrer Vertreibung, nach dem Zypern-
Krieg und dem von der Regierung Erdoğan ver-
hängten Verbot, in der türkei Priester
auszubilden, wäre zu erwarten gewesen,
dass sich Bartholomäus verbarrikadiert
gegen eine feindselige umwelt. Er tut
genau das gegenteil.
Der 79-Jährige redet mit der türki-
schen Regierung genauso wie mit der
türkischen Zivilgesellschaft. so hat er
den türkisch-griechischen gegensatz
entschärft. Bartholomäus fördert Dia-
loge der Religionen und macht sich für
die umwelt stark. Als »grüner Patri-
arch« unterstützte er umweltgruppen und setzte
sich für das Ökosystem des schwarzen Meeres ein.
um der »Bewahrung der schöpfung« willen spricht
er mit allen, auch mit dem islamisch-konservativen
Präsidenten tayyip Erdoğan. Der zeigte sich bisher
wenig offen. Bei manchen hilft eben auch from-
mes Zureden nicht.

Johannes Paul II.,
polnischer Papst
1978 bis 2005

Mustafa Cerić,
bosnischer
Großmufti bis 2012

Bartholomäus I.,
Ökumenischer
Patriarch

Andrea Riccardi,
Gründer von
Sant’Egidio in Rom

Illustration: Karsten Petrat für DIE ZEIT; Fotos: Antonio Scattolon/laif; Stefano Spaziani/dpa; Alik Keplicz/dpa; Imago

So stellt sich unser
Zeichner Karsten Petrat die
Wandlung der Weltreligionen
in den Weltfrieden vor
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