Die Zeit - 22.08.2019

(Nora) #1

REISE



  1. AUGUST 2019 DIE ZEIT No 35


M


ein Kajak heißt Robson,
meine Schwimmweste Ro-
deo. Der Helm hat keinen
Namen. Den brauchst du
nur heute, sagt Klaus vom
Kanuverleih, der erste Tag ist
der härteste. Aber er hat
keinen Zweifel, dass ich die Strecke schaffe. Mach’s
gut, ruft er. Dann paddle ich. Ich werde es fünf
Tage lang tun, vom Städtchen Regen aus den
Regen hinunter bis nach Regensburg, wo der Fluss
in die Donau mündet, 152 Kilometer später. Vor
zwei Jahren bin ich mit der Familie schon mal in
dieser Gegend gepaddelt, aber nur ein kurzes
Stück. Ich fand es umwerfend schön. Seither lockt
mich die große Tour.
»Bayerisch Kanada«, so nennt mancher Einhei-
mische verliebt den Bayerischen Wald, wo er zwi-
schen Regen und dem Blaibacher See am abgelegens-
ten und wildesten ist. Wolfram Thies hat den Begriff
vor 22 Jahren geprägt, als er auf dem Gelände des
damaligen Gasthofs Schnitzmühle nahe Viechtach
mit sechs Booten den ersten Kanuverleih auf dieser
Flussstrecke eröffnete. Heute kann »der Wolfi« hun-
dert Boote verleihen und hat zwei Mitarbeiter, da-
runter Klaus. Auf meiner ersten Tagesetappe mit den
beiden Wildwasserstrecken Bärenloch und Gumpen-
rieder Schwall, Flusskilometer 152 bis 123, hat er in
manchen Jahren ein halbes Dutzend Kanus verloren,
weil jemand umgekippt ist, festgeklemmt zwischen
den Felsen und bei entsprechendem Wasserstand
»das Boot nicht mehr rausbringt«. Aber das erzählt
mir Wolfi erst am Abend beim Bier, nachdem ich die
heiklen Abschnitte überstanden habe und mein
Kajak an der Schnitzmühle liegt, aus der inzwischen
ein »Adventure Camp« geworden ist.
Mit Wolfi habe ich die Tour abgesprochen, den
Beginn eine Tagesetappe weiter flussaufwärts ebenso
wie die Übernachtungen in verschiedenen Gast-
häusern entlang der Strecke. Campen geht nicht,
weil die Ausrüstung nicht zusätzlich aufs Kajak passt.
Bei meinem Einstieg ist der Regen ein breiter
Bach mit leichter Strömung, Vögel konzertieren, ich
fühle mich noch fremd im tiefen Kajaksitz, aber
nicht unbehaglich zwischen dem dichten Busch-
und Baumgrün, das mich auf dem Wasser um-
schließt wie ein grünes Zelt. Hinter mir weiß ich
einen Vater mit seinen Söhnen. Sie paddeln in zwei
Kanadiern. Ich bin im Wettkampfmodus: Ich will
auf keinen Fall überholt werden. Ich habe die Kind-
heit mit einer ordentlichen Portion sportlichem
Ehrgeiz verlassen, ich messe mich gern. Ich paddle
gleichmäßig und aufmerksam. Ich höre, wie sich das
Wasser wehrt, wenn ich das Paddel gegen die Strö-
mung ziehe, wie es bei Widerstand plätschert. Bis
der Fluss unruhiger zu werden beginnt. Ich kreuze
zwischen Steinen hindurch, es tauchen Wellen auf,
Wasserunruhen, sogenannte Schwälle. Klar habe ich
mir auf YouTube angeschaut, wie man so ein Kajak
paddelt. Und klar kann ich es nicht wirklich. Bei
aller Konzentration gerate ich in Strömungen, werde
gedreht, gegen Felsen gedrückt, in die falsche Rich-
tung gepresst. Ich hänge auf Steinen fest, benutze
mein Paddel wie der Gondoliere seinen Stecken,
komme trotzdem nicht einfach los, kentere beinahe.
Ich werde überholt vom Vater mit den Söhnen. Und
überhole wieder, als ich frei bin. Klar!
Beim ersten Wehr ziehe ich meine klatschnassen
Jeansshorts aus, hänge sie für 15 Minuten übers
Brückengeländer in die Sonne, esse dicke Müsliriegel,
und ehrlich gesagt habe ich für heute bereits genug.
Hätte ich gewusst, was mich erwartet, vielleicht
hätte ich bei dieser ersten Etappe gekniffen. Wild-
wasserstufe 1–2 klang für mich wie Seepferdchen.
Ich habe ein goldenes Schwimmabzeichen.
Am Ende meiner Pause kommt der Vater mit den
Söhnen an. Sie sind wortkarg. Aber sie kommen mir
vor wie mein Begleitschiff. Es gibt kein Mobilfunk-
netz hier, mitten im Bayerischen Wald, der teilweise
wie ein Urwald aussieht, obwohl der eigentliche
Nationalpark noch 20 Kilometer entfernt ist. Dort
bleiben umgefallene Bäume einfach liegen, der
Borkenkäfer ist kein Feind, und Luchse gibt es eben-
falls. Ich würde mich allerdings auch nicht wundern,
stünde hier ein Braunbär am Ufer. Einmal, ich muss
dringend pinkeln, schaue ich nach einer Stelle zum
Anlegen. Was ist besser: diese wilde Gegend vom
Fluss aus oder über Land zu entdecken? Vom Land
aus ist die Sache klar: Ich entscheide zugunsten des
überschaubaren Flusses.
Am frühen Nachmittag liegen noch 13 Kilo-
meter vor mir. Und zwei Umtragungen, weil Stau-
wehre den Weg versperren. An einem kleinen Rie-
men ziehe ich mein Kajak deshalb einen sehr langen
Kilometer über Schotter und schließlich über ver-
wucherten Waldboden am Fluss entlang. Das Boot
rutscht herum und dann hinab zwischen Büsche und
Wurzeln. In dieser Misere kommt zum Glück vom
nahen Felsen ein Kletterer herab. Er hilft, das Boot
hinterm Wehr wieder in den Fluss zu setzen.
Nach sieben Stunden schmerzen meine Hände
so sehr, dass ich sie kaum mehr öffnen kann. Zwi-
schen Daumen und Zeigefinger klafft eine veri-
table offene Blase. Vor der Schnitzmühle plan-
schen Kinder, schwimmen Gäste im Fluss. Ich
manövriere mit dem Kajak an ihnen vorbei.
Für eine geschundene Paddlerin ist das Dampf-
bad im Spahaus der Schnitzmühle ein Paradies auf
Erden. Es ist dämmrig darin, und würde ich weinen,
es sähe nur aus wie Wasser. Ich weine nicht. Aber ich
meditiere über meinen Ehrgeiz, während sich mein
Körper entspannt. Und ich rechne. 16 Stunden habe
ich Zeit, um mich zu erholen. Das muss reichen.
Am Abend, das war ausgemacht, trinke ich mit
Wolfi auf der Terrasse des Gasthofs Bier. Er sagt, dass
er nur in Ausnahmefällen für diese Etappe Boote
verleiht. »Aber weil du ja unbedingt wolltest ...« Er
lacht. Klaus setzt sich dazu und verspricht mir für
morgen Handschuhe. Ich steige auf Ingwertee um
und ernte Spott. Dann kommt einer von diesen
munteren Mittvierzigermännern mit Bart an den
Tisch. Es ist Sebastian Nielsen. Zusammen mit
seinem Bruder hat er im Jahr 2000 von den Eltern
die Schnitzmühle übernommen. Und sie zu dem


Kajak Attack


Von Regen auf dem Regen nach Regensburg. 152 Kilometer in fünf Tagen paddeln.


Und SANDRA HOFFMANN will nicht überholt werden auf ihrer Tour durch Bayerisch Kanada


Fotos: Verena Kathrein für DIE ZEIT

gemacht, was sie heute ist, eine ziemlich gut aus-
gedachte Mischung aus Camping und Komfort, mit
ein paar schicken Tiny Houses am Ufer neben dem
Zeltplatz, mit luftigen Zimmern in der neuen Lodge
und schönen kleinen im alten Gasthof, in dem jetzt
Thai-Bay(erische)-Küche angeboten wird. Sebastian
erzählt von den ADAC-Campingplatz-Prüfern, die
jedes Jahr auf dem Platz anrücken, um in ihrer Liste
Häkchen für dies und das zu setzen. Dass es nie fünf
Sterne gibt, weil der Naturpool nicht gekachelt ist.
Gut so, sagt er und lacht.
Ich schlafe neun Stunden und esse mich am köst-
lichen Frühstücksbuffet glücklich satt. Vor mir liegen
28 Kilometer. Im Gegensatz zum Vortag bergen sie
keine Gefahren. Meist paddle ich auf dem ruhigen
Fluss durch wild wuchernde Natur, zuweilen echte
Wildnis. Abgebrochene Bäume ragen aus dem Was-
ser. Im Fels am Steilhang verbirgt sich eine selbst
gezimmerte Hütte. Unter Weiden liegt eine Anlege-
stelle. Ich steige aus. Ich springe in den menschen-
leeren Höllenstein-See, durch den der Fluss hin-
durchfließt, und schwimme. Über mir kreisen tat-
sächlich Möwen. Später sehe ich Kormorane Fische
erbeuten. Einen Raben, der sich ein Entenküken
schnappt. Graureiher heben mit eleganten Schlägen
ab. Schwäne bewegen sich wie Herrscher mitten im
Fluss und betrachten mich so grimmig, dass ich in
großem Bogen ausweiche. Ich sehe schimmernde
Libellen und welche im Bienengewand. Sehe Eis-
vögel, Eichelhäher, Spechte, Kleiber, blitzschnelle
kleine Vögel, die ich nicht kenne. Selten komme ich
an einem Wirtshaus vorbei, aber ich mag es, wegen
der Menschen. Ihre Nähe beruhigt mich.
Nach mehr als sieben Stunden Paddeln erreiche
ich Chamerau in der Oberpfalz und möchte mich
überm Fluss auf die Terrasse meines Gasthauses
setzen. Die Musikkapelle spielt ein Prosit der Ge-
mütlichkeit. Als ich mich nach einem Platz um-
schaue, schauen mich alle ungemütlich an. Keine
Ahnung, wieso. Ich fühle mich plötzlich sehr fremd
und verziehe mich vor das Nebengebäude des Wirts-
hauses, wo mich niemand beachtet und ich in Ruhe
eine Forelle aus dem Regen esse. Danach Nucki-Eis,
das klingt tröstlich. Hände, Arme und der Kopf tun
weh. Trotz Mütze habe ich zu viel Sonne abbekom-
men. Ich will nur noch schlafen.
Am nächsten Morgen kommt Klaus noch ein-
mal, um mich ein Stück weiterzutransportieren.
Wolfi und ich hatten verabredet, die nächste Etap-
pe auszulassen, damit ich die Gesamtstrecke in
fünf Tagen bewältigen kann. Es liegen trotzdem
noch 30 Flusskilometer mit fünf Wehr-Umtra-
gungen bis zum Abend vor mir. Klaus und ich
entscheiden spontan, mein Tagespensum für heute
auf elf Kilometer zu senken.
Allein auf dem Fluss paddeln, habe ich mir vor-
gestellt, ist ein bisschen wie Meditation. Ich und
die Landschaft und das Wasser und die Tiere. Und
wie gut ich mich dabei spüren würde. Doch obwohl
die Strecke ab Walderbach abwechslungsreich und
einfach zu paddeln ist, warte ich nur auf das nächs-
te Flusskilometerschild. Die liebliche, nun nicht
mehr wilde Landschaft der Oberpfalz, der impo-
sante Fluss, die Barockkirchen, die Klosteranlagen,
die Störche: alles egal oder sogar bedrohlich. Mein
Körper lässt mich die 60 Kilometer der letzten zwei
Tage spüren, hinter jeder Flussbiegung wittere ich
Gefahr. Vor einem Wehr höre ich Gejohle. Chauvi-
nistische Fischer, befürchte ich, oder etwas anderes
Schlimmes. Dann stehen da sieben frohe Pfadfinde-
rinnen und Pfadfinder mit dem Chefkanuten
Bernie im Fluss und paddeln ihre Kanadier durch
einen anspruchsvoll-steinigen Wehr-Umlauf. Ob
er mein Kajak durchpaddeln darf, fragt Bernie. So
gern!, sage ich und würde mich am liebsten den
Pfadis anschließen.
Kurz vor Nittenau weist mir ein Mann mit
Hund die richtige Ausfahrt am Fluss, die Frau am
Kiosk sagt: »Griass ena.« Mein Gasthof hat einen
einladenden Innenhof und geht wie mein Zimmer
zum Fluss hinaus. Das Haus am Dorfplatz bei der
Kirche heißt »Haus des Gastes«, das Stadtmuseum
kann man kostenlos besuchen, in der Eisdiele
spricht man Italienisch. In der Apotheke bekomme
ich eine Pflasterberatung. Ich esse griechisch. Ich
bade im Regen und spüre plötzlich, wie sich mein
Körper einschmiegt in den Strom des Wassers. Ich
fühle mich wieder stark. Es sind noch 41 Kilometer
bis Regensburg.
Am Morgen setzt nach mir eine Rentnertruppe
ihre Kanadier in den Fluss. Ich hoffe, die Pfadfinder
wiederzutreffen. Die Arme kennen nun die Bewe-
gung, mit der sie das Paddel heben und senken
müssen, der Regen fließt träge der Donau entgegen,
aber mein Körper ist es gar nicht mehr. Ich paddle
durch weite Wiesen, schöne Mischwälder, immer
wieder Dörfer, in denen Menschen Grundstücke und
Häuser am Wasser haben, um die ich sie beneide.
Und als endlich einmal wieder für ein paar Kilo-
meter imposante Steine in schönen Formen im nun
schon breiten Fluss liegen, bin ich geübt genug, ihn
zu lesen: Ich sehe die Hindernisse unter Wasser recht-
zeitig und weiß, wo ich mich hineingleiten lassen
kann in die Strömung. Es ist ein großes Gefühl. Ich
und das Wasser. Ich und die Landschaft. Ich und die
Tiere. Ich und mein Kajak.
Bereits aus der Ferne blitzen am nächsten Tag
einmal die Türme des Doms von Regensburg zwi-
schen den Baumwipfeln hindurch, die ersten Stadt-
häuser tauchen auf, der Regen ist jetzt breit wie die
Donau, die sich vor mir auftut. Paddler müssen auf
dem Gelände der DLRG anlanden, weiß ich. Aber
wo ist das? In der Schleuse steht ein Frachtschiff, und
von vorn kommt mir ein Donaukreuzfahrtschiff ent-
gegen. Ich bin winzig in meinem Kajak. Ich drehe
mich ein Dutzend Mal um. Keine Pfadfinder. Dann
rette ich mich auf eine Landzunge. Ich hole mein
Handy aus der wasserfesten Dose und google. Ich
bin ganz nah. Ich habe noch einen Müsliriegel aus
der Schnitzmühle. Ich kaue mir fünf Minuten lang
Mut an. Dann steche ich mit kräftigen Schlägen in
die kabbelige Donau.

A http://www.zeit.de/audio

Paddeln: Für ungeübte Paddler reichen 15 Kilometer pro Tag. Allein paddeln geht im
Kajak leichter als im Kanadier, dafür passt nur wenig Ausrüstung ins Boot. Wer in der Gegend
um Viechtach paddeln möchte, geht zu Wolfram Thies’ Verleih Vit & fun: bayerisch-kanada.de
Übernachten: Die Schnitzmühle im Bayerischen Wald, einst nur Gasthof, inzwischen
»Adventure Camp«, bietet Platz zum Zelten, aber auch schicke Zimmer und Tiny Houses
(schnitzmuehle.de). In Nittenau in der Oberpfalz, direkt am Regen, liegt der
Brauereigasthof Jakob, ein sehr sympathischer Familienbetrieb (brauereigasthof-jakob.de)
Besuchen: Zum Abschluss der Tour in Regensburg unbedingt den
nach französischem Vorbild erbauten gotischen Dom ansehen

FLUSSABWÄRTS


Unsere Autorin auf dem Regen – einsame Spitze

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