Süddeutsche Zeitung - 06.09.2019

(Michael S) #1
vonphilippschneider

M


an muss sich einwenig durch
dieBotanik kämpfen imKönigli-
chenPark vonMonza,umnach-
zuvollziehen, wie dieFormel1einstwar,
als dieRennfahrer morgens nicht ahnen
konnten, ob sie am Abend ihrHotelzim-
mer wiedersehen würden. Abseits der
Streckevon heute trifft man auf diealten
Steilkurven, diecurva sopraelevata di
Monza.Umgebenvonsattem Grün und
umweht vomDuft desWaldes, wirkensie
so, als hätten sie einenPakt geschlossen
mit derNatur,umsichals in Beton gegos-
sene Zeitzeugen gegen ihrenVerfall zu
stemmen. Diealten Steilkurven erzählen
Geschichtenvonmenschlichem Leicht-
sinn,vonder Verachtung desTodes.Und
auch davon, wieeng derToddennoch im-
merverwoben sein wirdmit dem Renn-
sport. Ganz egal, wie sehr sich der
Mensch müht,Technik und Streckenfüh-
rung so zu optimieren, dass er meint,völ-
ligeKontrolle bei unkontrollierbarenGe-
schwindigkeiten zu erhalten.


1922 wurdenMonzas Steilkurven ge-
baut, 1954 erneuert, vier Mal kreisten
hier die Piloten derFormel 1.AufReifen,
diefast so schmalwaren wie dievonMo-
fas. DieFahrer trugenkeine Sicherheits-
gurte und Lederkappen stattHelmen.
1961 donnerten sie ein letztes Mal durch
dieKurven, dieaus derNähe betrachtet
steil aufragen wie Gefängnismauern.
Graf BerghevonTripsverunglückte hier
bei der Anfahrt zurParabolica-Kurve–
seinFerrari prallte gegen die Drahtabzäu-
nungvorden Zuschauern, 15Menschen
wurden getötet, 60weitereverletzt. Berg-
he vonTrips wurde aus dem Rennwagen
geschleudert, brach sich dasGenick,ver-
starbunmittelbar.Monza hat einige
Rennfahrer das Leben gekostet, auchIta-
liensNationalhelden Alberto Ascari. 1962
traute sich dieFormel1den Irrsinnsritt
durch die Steilkurven nicht mehr zu. Ra-
santwarder Kurs noch immer.1970ver-
starbauchJochen Rindt inMonza.
DerUnfalltoddes Formel-2-Piloten
AnthoineHubertvoreinerWoche in Spa
hat dieSzene auch deshalb so erschüt-
tert,weil eskeine ungewöhnlichenUm-
stände gab, die seinemTodvorausgegan-
genwaren. Jules Bianchi, dasvorHubert
letzteTodesopfer imFormel-Sport,war
2014 in Suzuka mit einem Krankolli-
diert, der damit beschäftigtwar, den Sau-
bervonAdrian Sutil aus derGefahrenzo-
ne zu bergen. Bianchirammte ein Hilfsge-
fährt, dasvorder Streckenbegrenzung
stand und so zu einer größerenGefahr
wurde als derWagen, den eswegschaffte.
BeimUnfallHuberts gab eskeine Steil-
kurven, auchkeinen Kran. Erverstarb
nach einem gewöhnlichen Renngesche-
hen. Ausgangs der berühmten Eau-
Rouge-Senke, an jener Stelle, an der die
Rennwagen in Spa mitHochgeschwindig-
keit den Berg hinaufrasen,war er erst mit
der Begrenzungsmauer kollidiert und
dann wieder im rechten Winkel zurück
aufdie Strecke geschleudertworden. Wie
einTorpedo stach ihm derWagenvonJu-
an ManuelCorreaindie Seite, traf ihn an
einer Stelle, an der das Chassiswenig ge-
schützt ist und zerteilte dasAuto.


Nach demTodHuberts hat der Interna-
tionaleAutomobilverbandUntersuchun-
gen angekündigt.Sie kreisen auch um
dieFrage, ob sich dasUnglück hättever-
hindern lassen, gäbe es in der Raidillon,
derKurvenach der Eau-Rouge-Senke,
keine asphaltierteAuslaufzone.Vorder
Kollisionwar Correa neben dieStrecke
auf dieehemaligeBoxenausfahrtdes Kur-
ses geraten, um einem drittenFahrzeug
auszuweichen.Angesichts des passablen
Belags unter den Reifen gab es für Correa
keinen Grund zurTempodrosselung.Na-
thalie Maillet, dieGeschäftsführerin der
Rennstrecke, kündigte an, siewarte das
Ergebnis derUntersuchungen ab; die
Streckenführungwerde gleich bleiben,
da aber in Spa auch ein 24-Stunden-Ren-
nen fürMotorräderveranstaltetwerden
soll, würden in der Raidillon ohnehin „ge-
wiss Kiesbetten eingerichtet“.
Ein bisschen bauen siewohl wieder
um.Weil es sich als Trugschluss erwiesen
hat,dass die Eau Rouge angeblichihren
Schrecken verloren hat. Marcus Ericsson,
der ehemalige Sauber-Pilot, hatte vor
zweiJahren noch erzählt, dieseKurvefah-
re er „im Schlaf“,sie sei„viel zu einfach“.
UndLewis Hamilton sagte, es handle sich
nicht einmal mehr um eineKurve. Sie
meinten, lästern zu dürfen,weil die Pilo-
ten Eau Rouge heutzutage mitVollgas
durchqueren. Früher,als dieWagen aero-
dynamisch noch nicht so ausgereift und
dieKurveschmalerwar,galt sie als die
größteMutprobe derFormel 1. DieStei-
gungnach derTalfahrt beträgt fast18Pro-
zent. DieFahrer sehen erst den Berg,
dann den Himmel.Nurkaum dieKuppe.
„I survived Eau Rouge“, er habe Eau
Rougeüberlebt,ließ sichJacques Ville-
neuve einst auf seineAutogrammkarten
drucken. Daswarangemessen. Denn
überlisten, ganz aus derWelt schaffen,
lässt sich derTodbei Geschwindigkeiten
jenseits der 300 km/h garantiert nie-
mals.Auch wenn die Rennfahrer ihm so
gerne ins Gesicht lachen.


vonjohannesknuth

Salzburg–Und dann ist er endlich da, die-
serMoment, auf den sie seit Tagen,Wo-
chen, achwas, Monaten hingefiebert ha-
ben. Im ehemaligen GusswerkinSalzburg
brennen Scheinwerfervonder Decke, es
herrscht eine nervöse Stille, wiewenn sich
im Theatergleich derVorhanghebt. Man
hört nur dieWortfetzen der TV-Moderato-
ren, die ein paarMeter neben der Bühne
stehen, auf der Marcel Hirscher gleich eine
Dreiviertelstunderedenwird.Verkündet
er,der weltbeste Skirennfahrer derWelt
ausAnnabergimSalzburger Land, tatsäch-
lich, dass er nicht mehr Skirennenfahren
mag? Überrascht er doch noch alle?„Klei-
ner Schmäh,ichmach eh weiter“? Das ös-
terreichischeFernsehen ist livedrauf, na-
türlich.„Wir hoffen noch auf einWunder,
dieHoffnung stirbtjazuletzt,“, raunt der
Moderator imweißenHemd und grauen
Sakko.Neben ihm steht AlexandraMeiss-
nitzer,blonderVokuhila, langesweißes
Kleid, siewar malGesamtweltcupsiegerin
und ist heute TV-Expertin. Im Skisport ist
es ja wie mit derMode, manches bleibt, al-
leskommt irgendwann wieder.
In Woaheit,wie siehier sagen, sindam
Mittwochabend natürlich alle nach Salz-
burggekommen, um das zu hören,waseh
schon durchgesickert ist: dass Marcel Hir-
scherwahrhaftig nicht mehrweiterfahren
wird. Seit einerWoche, als HirschersAuf-
tritt in Salzburgbekannt wurde, laufen sie
in Österreich schon mit den Abschiedswe-
hen im Kreis, es wirdspekuliert,vermel-
det, dementiert und zurückgeblickt, es ist

eine Art nationaler Après-Ski. 120 Repor-
ter haben sich für denAuftritt angekün-
digt („aus allerWelt!“), derORFüberträgt
zurbesten Sendezeit, siehaben deshalb so-
gar eineWahlsendungverschoben. Aber
Hirscher ist ja nicht SebastianKurz, Kanz-
lera.D., er ist längst eine Skilegende, und
Siege im Alpinsport befeuern in Österreich
noch immerdas Nationalgefühlwie kaum
etwas anderes.Auch wenn man oft nicht so
genauweiß, ob das jetzt einewahrhaftige
Größe ist, diesesSkination-Sein, oder ob
siesich umsoverkrampfter dieser Größe
versichern, je mehr diese inWoaheit dahin-
schmilzt in ZeitenvonKlimawandel und
sinkenden Einnahmen der Ski-Industrie.
Aber das ist jetzt, im Salzburger Guss-
werk,jaehwurscht.Wenn eine Skilegende
schon mal zurücktritt, dann richtig.
HirschersAbschied ist am Mittwoch seit
denMorgenstunden das Dauerthema, am
Nachmittag spielt Ö3, die Gute-Laune-Ra-
diowelle, ein paar Grußbotschaften ein:
„Mehr als Sie erreicht haben, kann man als
Skifahrer kaum erreichen“, sagt Alexander
Vander Bellen, der Bundespräsident; ehe-
maligeKollegen gratulieren,vonFelixNeu-
reuther bis LindseyVonn.Unddann: „In
nicht mal mehr zwei Stunden wirdsich ent-
scheiden, ob dieser 4. September einfür Ös-
terreich historisches Datum wird“,sagt die
Ö3-Moderatorin feierlich, sieschaltet jetzt
rüber zuAdiNiederkorn, dem Reporter,

„der wirklich immer an Marcels Seitewar,
bei seinen großen Siegen, als er frischver-
liebtwar–und du lässt ihn auch heute
nicht allein, oder?“Niederkorn enttäuscht
nicht, erweiß schon, dassVaterFerdinand
Hirscher,„derFerdl“,heuer am Abend
nichtdabei ist. „Der ist so nah amWasser
gebaut, derwill sichervermeiden, dasssei-
ne Tränen um dieWelt gehen.“Dafür gibt
Stefan IllekAuskünfte, HirschersPresse-
sprecher.„Wird’ssehr emotional wer-
den?“,fragt Niederkorn. „Für michschon“,
sagt Illek, „aber das interessiert jakeinen.
Für Marcel aber auch, und man wirdse-
hen, wie er damit umgeht.“
Das Gusswerk in Salzburg ist einer die-
ser rustikal-edlen Event-Bauten, außen
braune Backsteine und Schornstein, drin-
nenweißer Putz; ein paar Querstreben und
eiserne Gusstöpfesind noch erhalten. Im
Hauptsaalist das Licht bläulich-dunkel,
kleiderschrankgroße Bildschirme zeigen
FotosvonHirscher aus seinen zwölf Profi-
jahren. Er ist meist in Siegerpose, zu Be-
ginn sind dieblondenHaare noch wusche-
lig und die Schultern schmal, mit der Zeit
hat er sich einen blonden Bart zugelegt
(und einen kräftigen Oberkörper,aber das
Dopinggeraune hat er immer zurückgewie-
sen). Manche seiner 20 Kristallkugeln, für
dieSiegeimGesamtweltcup und denDiszi-
plinenwertungen, sind hinter Glasschei-
ben ausgestellt. Als hätten sieihm schon
mal sein eigenesMuseumeingerichtet.
Hirscher lässt den Rummel stoisch über
sich ergehen. Als es losgeht, wirdnoch mal
ein Film eingespielt,der ihn als Überfigur
inszeniert,Hirscher, wie er Gewichtewuch-
tet, Hirscher in Schräglagen auf Ski, die
nur er halten kann, Hirscher im Ziel, die
Kommentatoren kreischen. Er tritt auf die
Bühne,weißesT-Shirt, blaueJeans,weiße
Socken und Sneakers. Die erste Fragerun-
de mit Marco Büchel, ebenfalls Ski-Pensio-
nist und jetzt TV-Experte, ist angenehm un-
aufgeregt nach all demPathos zuvor.„Ich
mach’s kurz und schmerzlos“,sagt Hir-
scher:Jetzt aufzuhören, sei eine „ganz a
schlaueIdee“, es habe„vieleGründe“ gege-
ben. Aber im Grunde ist esrecht einfach.

Er,der sich immer zu „150 Prozent“ in den
Sport gekniet hat(und seit einemJahr Va-
ter ist), ist müde,körperlich und mental.
„Mein Akku lädt nicht mehr so schnööö
auf wiemit 18“,sagt er,außerdemwolleer
aufHöhe seiner Kraft gehen. Hirscher hat
sich in zwölfJahren imHochleistungsge-
schäft nur zweimalernsthaftverletzt(zwei
Knöchelbrüche), und das in einemGe-
schäft, in dem Kreuzbandrisse fast so ge-
wöhnlich sind wie eine laufendeNase im
Winter.Esist seinletzter großer Erfolg.
Undnochwasfällt jetzt auf: sein Lä-
cheln. Es ist so ein dankbares, erleichtertes
Lächeln, eines, das man in denvergange-
nenJahrenvonihm selten so gesehen hat.
Hirscher setzt jetzt noch mal zu einem
Lauf durch seine Karrierean, die ersten
Jahre, dieHeim-WM 2013 in Schladming,
als vielenTeamkollegen dieNervenversa-
gen und er nicht nur sein erstes WM-Gold

gewinnensoll, sondern auch dieHoffnun-
gen derNation rettenmuss. DieSchlagzei-
lenkann er noch heute aufsagen, „keine
einfache Zeit“,sagt er.Aber er hat schon da-
mals diese„Coolness, damit umzugehen;
diehast du mitgekriegt oder nicht“.Und so
sieht er es fortan fast als heilige Pflicht an,
all seinPotenzialzuheben, auchwenn er
dadurchinÖsterreich einLeben unter stän-
diger Beobachtung führt. SeinAusrüster
fertigtvorjedem Winter 100Paar Ski an, je
40 fürSlalom und Riesenslalom, 20 für die
Speed-Rennen, undvorjedem Lauf testen
siesolange, bis Hirscher das Paar gefun-
den hat, das ihm noch eine Zehntelsekun-
de mehr schenkt.Estreibt ihn oft in die Er-
schöpfung, fast ins Burnout, aber es ist der
„Schlüssel zu allem“, wie Hirscher nun
sagt, denn:„Was ichbeim Material rausho-
lenkann, mussichnicht schneller fahren.“
Dann dankt er seinemVater,„der Master-

mind“,der diesesJagen nach Zehntelse-
kunden perfektioniert hat.WasHirscher
höflich ausspart: dass sie am Anfang noch
belächeltwurden im mächtigen Österrei-
chischen Skiverband; der Skitrainer Hir-
scher und sein Sohn, der„wie Ziegenpeter“
auf einerHütte in den Salzburger Dolomi-
ten aufgewachsen ist, ohne Strom undwar-
mesWasser,dafür mit Kühen, Fröschen,
Schlangen. HirschersSkitechnik sei un-
möglich, sagen die schlauenÖSV-Trainer
damals, aber Hirschervertraut dann doch
seinemVater.Erstspäter,nach den ersten
Erfolgen,finanziert ihm derVerband ein ei-
genesTeam, mit Trainern, Servicekräften,
Physiotherapeut, Pressesprecher.
Hirscher hat sich oft schwer damit ge-
tan, dass dieHeimat nach seinen ersten Sie-
gen immer wieder Siege erwartet, aber in
Woaheit,sagterjetzt, habe er sich diese Er-
wartungen immer zu eigen gemacht. Er
versprüht nicht das Charisma einesNeu-
reuthers, den sieinÖsterreich für dessen
Schmäh lieben, er fährtnie nackt den
Hang herunter wie Rainer Schönfelder,er
hat nicht diesegewaltigen biografischen
Brüchewie Hermann Maier, derwenigeTa-
ge nach seinem gewaltigen Sturz inNaga-
no 1998 zweiOlympiasiege holt. Hirscher
stand immer für Zielstrebigkeit und maxi-
malen Ertrag, aber er wurde so auch „einer
der wenigenAthleten, bei denen dieReali-
tät größer geworden ist als dieTräume“,
wieerjetzt sagt. Daskommt in einer Skina-
tion dann doch ganz gut an.
ZumAbschluss dürfen auch dieRepor-
ter in SalzburgFragen stellen, sie fragen
unter anderem,obesbaldein Marcel-Hir-
scher-Museummit allen Kristallkugeln ge-
ben wird(„Schaun ’mer mal“), ob er ein
Buch schreiben will („Frühestens mit 60“)
undoberauchdieJournalistenvermissen
werde(„Den einen oder anderen schon“).
WaserinZukunft tun wird, lässt er offen,
er freuesichjetzt erst einmal, dass er in al-
lerRuhe frühstückenkönne.Und ein Come-
backwerde es sicherauch nicht geben, zu-
mindest nicht als Skirennfahrer.Dann ap-
plaudieren alle, Hirscher lächelt noch ein-
mal, dankbar,erleichtert. Dann ist erweg.

NewYork–2014warein richtigtolles Jahr
fürGrigorDimitrov: drei Turniersiege,
Viertelfinale bei denAustralian Open,Halb-
finale in Wimbledon. „BabyFederer“ nann-
ten sieden damals 23Jahrealten Bulgaren,
er war der designierteNachfolger der so ge-
nannten„großen Vier“(RogerFederer,Ra-
faelNadal,Novak Djokovic undAndyMur-
ray).Erfuhr im Sportwagen durch die kali-
fornische Strandstadt Manhattan Beach,
daneben saßFreundinMariaScharapowa,
zu der Zeit die Prinzessin im Frauentennis.
Ja,das Lebenmeinte es gut mit Dimitrov.
2019 dagegenwarein derart schlimmes
Jahr für Dimitrov,dass er sich nicht daran
erinnern will.Formkrise,Verletzung an
derrechten Schulter,jedes Turnier anders
und dochstets mit dem gleichen Ergebnis:
Dimitrov scheiterte früh, imJuli inAtlanta
in der ersten Runde anKevin King,Num-
mer 405 derWelt.Erplumpsteauf Rang78,
„BabyFederer“ nannte ihn längstkeiner
mehr. Er warvielmehrdie Symbolfigur je-
nerGeneration, die aufgrund der Domi-
nanzder großen Vierkein Grand-Slam-
Turnier gewinnenkönnen.„Tiefer geht es
nicht für einen Sportler“,sagte er nachAt-
lanta. Das Leben schien es nicht besonders
gut mit ihm zu meinen.
Nach dem Fünfsatzsieg gegenFederer,
gegen den er davorinsiebenVersuchen
stetsverloren hatte, steht Dimitrov im US-
Open-Halbfinale, und er teilte den Repor-
tern mit entwaffnender Ehrlichkeit mit,
dass er darüber mindestens so erstaunt sei
wiealleanderen. Sein TrainerRadek Stepa-

nek und Berater AndreAgassiwaren gar
nicht erst mit nachNewYork gekommen.
„Ein Tritt in den Hintern“, sagt Dimitrov,er
solleseine Probleme bei einem Turnier
mal gefälligst alleinelösen–„und dannle-
ge ichsoeinen Lauf hin“.
Dimitrovwirkte gegenFedererwie eine
verbesserteVersion seiner selbst aus dem
Jahr 2014: ein technisch feinerSpieler mit
grazilen Bewegungen, der trotz zweimali-
gen Satzrückstandes nicht fatalistischwur-

de wiesonst.„Ichhätte nicht aufgegeben,
selbstwenn ichzweiSätze hinten gewesen
wäre“, sagt er: „Ich hätteweiterversucht,
ihn zu ärgern, bewegen, beschäftigen.“ Da
scheint einer erwachsen geworden zu sein
und es gut mit dem Leben zu meinen.
Der überraschende Erfolg führt zu einer
interessantenKonstellation im Halbfinale:
Dimitrov,28, spielt gegen den 23Jahre al-
ten DaniilMedwedew(Russland), der gera-
de einen derart grandiosen Sommer erlebt,

dass er nicht nur inWashington undMont-
réal jeweils das Endspiel erreicht und die
US-Open-Generalprobe in Cincinnati für
sich entschieden hat, sondern es inNew
York alswohl erster Sportler derGeschich-
te schaffte, sich erst mit dem Publikuman-
zulegen und es dann für sich zu begeistern.
Das andere Semifinale bestreiten Matteo
Berrettini, 23, und RafaelNadal, 33.
„Die jungen Spielerklopfen an dieTür“,
hatteFederer schonvordem Turnier ge-
sagt:„Und das Klopfen wirdimmer lauter.“
Federer,Djiokovic, Nadal undMurrayhat-
ten sich bisher–aus egoistischen Gründen
–gemeinsam gegen diese Tür gestemmt,
dieinden vergangenen 14Jahren nurvon
StanWawrinka (insgesamt drei Grand-
Slam-Siege in 2014, 2015 und 2016),Juan
Martín delPotro (US Open 2009)und Ma-
rin Cilic(US Open 2014)beschädigtworden
ist; wirklich eingetreten hat sieniemand.
Nunhaben sichFederer und Djokovic be-
reits verabschiedet, und auch wenn es zwi-
schender lädiertenlinken Schultervon Djo-
kovicund demZwickenimRücken des
Schweizer MaestroskeinenZusammen-
hang gibt, sokönnte es doch eine Botschaft
sein, dassdiese unfassbareÄra im Männer-
tennis in nicht so fernerZukunft enden
wird.Murrayhat das Ende seiner Karriere
bereits prognostiziert,erhat in dervergan-
genenWoche bei den RafaNadal Open auf
Mallorca imAchtelfinale gegenMatteo Vio-
la verloren, den 267.der Weltrangliste.
Bleibt als Türsteher der Typ, nach dem
dieses Challenger-Turnierbenannt ist:Na-

dalgibt bei diesen US Open den grimmigen
bouncer,der jedenVersuch der Eindringlin-
ge, dieseTür endlich zu beseitigen, humor-
losabwehrt, gegenDiego Schwartzman(Ar-
gentinien)gewann er am Mittwochabend
trotz Krämpfen in denUnterarmen 6:4,
7:5, 6:2. Genau das ist ja bislang das Pro-
blem derGenerationdanachgewesen:Fe-
derer,Djokovic undNadal hatten jeweils
heftige Krisen, mindestens einerwarje-
doch in der Lage, die Burgzubeschützen.

„Ich habe ein paarFehler gemacht, das
warnicht perfekt“,sagteNadal, nach ei-
nem Sieg ohne Satzverlust gegen einen
überaus giftigen Gegner wohlgemerkt.
Nungibt es dieGeneration nach derGene-
ration danach, nebenMedwedewund Ber-
rettini noch AlexanderZverev, Stefanos
Tsitsipas(Griechenland) und Karen Chat-
schanow(Russland). „Langsam fügen sich
dieDinge zu einem stimmigen Bild“,sagt
Dimitrov,der diePartiegegenFederer tat-
sächlich als „einePartiewie jede andere“
bezeichnete: „Ich bin bereit für mehr!“
Es dürfte spannend werden im Männer-
tennis, und dass es das Leben gerade sehr
gut mit DimitrovundMedwedew meint,
lässt sich daran erkennen, dass einer der
beiden am Sonntag um die US-Open-Tro-
phäe spielen wird. jürgen schmieder

Schwachgegen dieGroßen
Grigor DimitrovsBilanzgegen dieTennis-Elite

Zweimal Olympiasieger
Eckdaten zu MarcelHirschers Karriere
Viele hätten seinenStil gernekopiert–esschaffte nur
keiner,soauf denBeinen(undSkiern) zu bleibenwie er:
Marcel Hirscher,seitMittwochabend imRuhestand.
FOTOS: JEAN-CHRISTOPHEBOTT /DPA,KERSTIN JOENSSON/AP

Après-Ski


Wird’s ein historischerTag?Gibt’sbald sogarein Marcel-Hirscher-Museum?Wennder beste SkirennfahrerderWelt seineaußergewöhnliche
Karrierebeendet, dannist die Skination Österreich nicht nur am Abendseines Rücktritts malwieder so richtigSkination

MOTORSPORT

Beifahrer


Tod


DasKlopfenwirdlauter


Die Halbfinalisten bei den US Open: DaniilMedwedew,GrigorDimitrov,Matteo Berrettini–undRafael Nadal, der den grimmigenTürsteher gibt


Federer, Djokovic undNadal
hatten Krisen. Einer aber hat
immer die Burgbeschützt

InMonza starb Graf Berghevon


Trips.DannwarSchluss mit dem


Irrsinnsritt durch dieSteilkurven


DerWeltverband prüft, ob die


Auffahrt nach Eau Rougein Spa


umgestaltetwerden muss


DEFGH Nr.206,Freitag ,6.September2019 SPORT HF3 29


Grigor Dimitrov, 28Jahre. FOTO: REUTERS

Grigor Dimitrov,28, ist auch deshalb nur kurz un-
ter denTop5der Welt geführtworden,weil er ge-
gen dieSpieler mit mehr als einem Grand-Slam-
Triumph so erfolglos ist: Der Sieg gegenRoger Fe-
derer im Viertelfinale der US Open z.B.warder
erste gegen den Schweizer im achtenVersuch.
Die Bilanz gegen die fünf großen Gegner:

Dimitrov–Djokovic1:8 (0:2 bei Grand Slams)
EinzigerSieg 2013 auf Sand in Madrid.
Dimitrov–Nadal1:12 (0:2 bei Grand Slams)
EinzigerSieg 2016 bei einemTurnier in China.
Dimitrov–Federer1:7 (1:2 bei Grand Slams)
ErsterSieg am Dienstag in NewYork.
Dimitrov–Wawrinka4:7 (0:4 bei Grand Slams)
Nur einSatzgewinn bei vier Grand Slams.
Dimitrov–Murray3:8 (1:2 bei Grand Slams)
ErsterGS-Sieg 2014 in Wimbledon.

MarcelHirscher,geboren am 2. Februar 1989,
gab seinWeltcup-Debüt am 17.März 2007 inLen-
zerheide. Esfolgten bemerkenswerte Zahlen:
Weltcup-Starts: 245,Weltcup-Siege: 67.
Weltcup-Podestplätze: 138.
2xOlympiasieger (Riesenslalom undKombinati-
on 2018),1xOlympia-Silber(Slalom 2014).
5xWeltmeister(Slalo m2013,Kombination 2015,
Slalom 2017,Riesenslalom 2017,Slalom 2019).
2xMannschafts-Weltmeister (2013, 2015).
8x Gesamtweltcupsieger (2012-2019),6x Diszi-
plin-Weltcupsieger Riesenslalom (2012, 2015-
2019),6xDisziplin-Weltcupsieger Slalom (2013-
2015, 17-19),5xÖsterreichs „Sportler des Jah-
res“,4x„Welt-Skifahrer“ (2012, 15, 16, 18).DPA
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