Spektrum der Wissenschaft - 05.2019

(Sean Pound) #1

herauszustellen. Diese eröffnen zugleich Verbesserungs-
chancen – nicht nur für die Bestäuber, sondern generell für
Insekten. Hierzu analysierte eine internationale Fachgruppe
von annähernd 100 Expertinnen und Experten, unterstützt
durch die Zuarbeit hunderter weiterer Fachleute von etli-
chen Forschungseinrichtungen, privaten Unternehmen
sowie Nichtregierungsorganisationen, den Kenntnisstand
über Bestäubung und Nahrungsmittelproduktion.
Die zahlreichen Freilandstudien legen den Schluss nahe,
dass die intensive Landwirtschaft die Anzahl, Vielfalt und
Gesundheit der Insekten und damit deren Bestäubungsleis-
tung bedroht. In den gemäßigten Breiten Mitteleuropas
stellt Landwirtschaft seit jeher einen massiven Einflussfak-
tor dar. Viele Tier- und Pflanzenarten haben sich an unsere
Kulturlandschaften angepasst; manche wurden erst über
die Forst- und Landwirtschaft bei uns heimisch. Ändert
sich die Nutzung entweder durch Intensivierung oder auch
durch Nutzungsaufgabe, geschieht das auf Kosten der
Vielfalt in diesen Landschaften.
So ist der heutige Ackerbau durch großflächige, arten-
arme Monokulturen geprägt, in denen Wildkräuter zurück-
gedrängt werden – hier können nur wenige Insektenarten
überleben. Eine häufigere und intensivere Mahd sowie
wiederholtes Umpflügen beeinträchtigen die Tierwelt
ebenfalls. Zusätzlich werden durch Siedlungs- und Straßen-
bau immer mehr Lebensräume zerstört. Naturschutzgebiete
erstrecken sich meist über kleine Flächen, die inselartig von
Nutzland umgeben sind. Den Insektenpopulationen fehlt
durch diese Isolierung der genetische Austausch.
In der Landwirtschaft eingesetzte Pestizide und ihre
Abbauprodukte reichern sich im Boden und in den Gewäs-
sern an. Besonders umstritten sind die so genannten Neo-


nikotinoide, die gegen Schädlinge verabreicht werden, aber
auch das Nervensystem von Bienen beeinträchtigen. 2018
untersagte die EU-Kommission die Nutzung dreier dieser
Insektizide. Durch intensive Düngung sowie durch Auto-
abgase aus der Luft gelangt außerdem vermehrt Stickstoff
in die Böden. Das beeinflusst wiederum Schmetterlingsrau-
pen, die bevorzugt auf Pflanzen leben, die weniger Stick-
stoff brauchen.
Biologische Faktoren spielen ebenfalls eine Rolle. Honig-
bienen werden von eingeschleppten Parasiten wie der
Varroamilbe befallen. Neue Pflanzen, die nach Europa
eingeschleppt werden und sich hier ausbreiten, können
Arten verdrängen, die für heimische Insekten beziehungs-
weise deren Larvenstadien überlebensnotwendig sind.

Wir wissen genug, um zu handeln
In Zukunft dürfte zudem der Klimawandel ein immer
schwerwiegenderes Problem darstellen, denn die sich
verschlechternden klimatischen Bedingungen werden den
Artenschwund noch forcieren. Von höheren Temperaturen
sollte die Insektenwelt zwar eigentlich profitieren. Die
zunehmende Wärme kann allerdings auch in Kombination
mit einem erhöhten Stickstoffeintrag zu einer dichteren
Vegetation führen, womit sich wiederum das Mikroklima
abkühlt. Das vermag klimatische Effekte zu kaschieren.
Die zahlreichen Umweltfaktoren können sich in ihren
negativen Folgen auch gegenseitig verstärken. Letztlich
wird es uns nicht gelingen, alle Ursachen lückenlos zu
belegen und näher einzugrenzen. Aber allein um weiteren
Verschlechterungen vorzubeugen, wäre es wichtig, plausi-
bel erscheinenden Ursachen für das Insektensterben entge-
genzuwirken.
Der IPBES-Bericht empfiehlt Strategien, um die Lebens-
bedingungen von Bestäubern und somit von vielen weite-
ren Insekten zu verbessern – und dadurch letztlich auch
unsere Nahrungsmittelproduktion zu sichern! Die Liste
reicht von sofortigen Maßnahmen zur Risikoreduzierung bis

Der Dunkle Dickkopffalter (Erynnis tages) lebt im
trockenen Grünland. Noch ist die Art verbreitet, manche
Populationen verzeichnen aber bereits Rückgänge.


ALBERT VLIEGENTHART; MIT FRDL. GEN. VON JOSEF SETTELE UND ALBERT VLIEGENTHART
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