Spektrum der Wissenschaft - 05.2019

(Sean Pound) #1

FORSCHUNG AKTUELL


brachten Äcker keine Frucht mehr
hervor, das Vieh fand keine Weiden.
Flüchtlinge überfielen die Nachbar­
staaten und drängten in deren Sied­
lungsgebiete. Das auf einem globali­
sierten Handel basierende Wirt­
schaftssystem der Späten Bronzezeit
musste letztlich kollabieren.
Das Ende dieser Dürrezeit hatten
die Forscher bereits 2009 anhand
von Sedimenten aus der Umgebung
von Tell Tweini bestimmt: Im 9. oder

8. Jahrhundert v. Chr. eroberten Acker­
bau und Viehzucht die Levanteküste


zurück. Auch das passt vielerorts zum
archäologischen Befund: Die Eisenzeit
hatte begonnen, die dunklen Jahrhun­
derte waren vorüber. 
Klaus-Dieter Linsmeier ist Redakteur
und Koordinator Archäologie Geschich­
te bei Spektrum der Wissenschaft.

QUELLE
Kanieswki, D. et al.: 300 ­year drought
frames Late Bronze Age to Early Iron
Age transition in the Near East: new
palaeoecological data from Cyprus and
Syria. In: Regional Environmental
Change. Springer, 2019


Karen Uhlenbecks Leistungen
haben »zu einigen der drama­
tischsten Fortschritte in der
Mathematik der letzten 40 Jahre
geführt«, hieß es bei der Verleihung
des Abelpreises 2019, der als mathe­
matisches Äquivalent des Nobelprei­
ses gilt. Damit würdigte die Norwegi­
sche Akademie der Wissenschaften
das Lebenswerk der Forscherin, die
eine ganze Generation von Mathemati­
kern prägte.
Uhlenbeck kam 1942 in Cleveland
zur Welt. Ihr Interesse an Mathematik
entdeckte die wissbegierige Vielleserin
erst bei einer Einführungsveranstal­
tung an der University of Michigan:
»Die Struktur, Eleganz und Schönheit
der Mathematik hat mich sofort in
ihren Bann gezogen, und ich habe
mein Herz an sie verloren«, erzählt sie
2009 in dem Buch »Mathematicians:
An outer view of the inner world« von
Mariana Ruth Cook. Zudem bot die
mathematische Forschung aus ihrer
Sicht einen weiteren Vorteil: Man hat
die Möglichkeit, völlig allein an einem
Projekt zu arbeiten. In jungen Jahren
schreckte die Wissenschaftlerin

nämlich vor jeder Art von Beruf zu­
rück, in der man viel mit Menschen zu
tun hat.
Mitte der 1960er Jahre begann sie
ihre Doktorarbeit an der Brandeis
University in Massachusetts, wo sie
Richard Palais als ihren Betreuer
wählte. Zu dieser Zeit hatte Palais
zusammen mit Stephen Smale, der
kurz darauf die Fields­Medaille erhielt,
gerade große Fortschritte bei der
Erforschung so genannter harmoni­
scher Abbildungen gemacht. Diese
gehen auf das jahrhundertealte Feld
der Variationsrechnung zurück. Dabei
sucht man nach Formen, die Extrem­
wertprobleme lösen.
Eines der berühmtesten Beispiele
dafür ist das 1696 von Johann Bernoul­
li aufgeworfene »Brachistochronen«­
Problem: Entlang welcher Kurve rollt
eine Kugel am schnellsten von einem
Punkt zum anderen? Auch außerhalb
der Mathematik entpuppen sich
solche Aufgaben als überaus wichtig.
In der Physik lassen sich beispielswei­
se die Bahnkurven von Teilchen durch
Formeln beschreiben, die eine gewisse
Energiegleichung minimieren.

MATHEMATIK


ABELPREIS FÜR


KAREN UHLENBECK


Als erste Frau erhält sie die nobelpreisähnliche Auszeichnung.
In ihren bahnbrechenden Arbeiten vereinte sie die Geometrie
mit der Analysis und erschloss damit ein neues mathemati-
sches Gebiet.

Harmonische Abbildungen sind
ebenfalls Lösungen bestimmter Ex­
tremwertprobleme. Dazu kann man
sich ein unendlich dünnes Haargummi
(quasi ein Kreis) vorstellen, das man
auf ein starres Objekt aufbringt, etwa
eine Kugel. Um zu testen, ob die
Positionierung des Haargummis eine
harmonische Abbildung ist, lässt man
es einfach los: Rollt es sich wegen
seiner elastischen Spannung ab, dann
ist die Abbildung nicht harmonisch.
Verharrt es dagegen im Gleichgewicht,
hat man eine solche Abbildung gefun­
den. Anschaulich gesehen sucht man
also nach einer Form, die das kleinste
elastische Potenzial hat. Mathematiker
sagen, dass in diesem Fall die »Dirich­
let ­Energie« minimal ist.
Auf einer Kugel wird das Haargum­
mi immer einen Kreis beschreiben, der
sich, wenn man ihn leicht anstupst, zu
einem Punkt zusammenzieht. Deshalb
gibt es genau eine harmonische Abbil­
dung auf ihr. Betrachtet man statt
einer Kugel aber eine kompliziertere
Oberfläche mit Löchern, wird es
schwieriger. Man kann das Haargum­
mi beispielsweise um das Loch eines
Donuts wickeln: Dann kann es sich
nicht mehr zu einem Punkt zusam­
menziehen, ohne die Oberfläche zu
verlassen – stattdessen wird es dem
kürzesten Weg um das Loch folgen.

Haargummi trifft Donut
Zudem können harmonische Abbildun­
gen mehr als eine Dimension haben.
In diesen Fällen werden sie nicht mehr
von Haargummis, sondern anderen
verformbaren Objekten beschrieben.
Man kann etwa eine Abbildung su­
chen, die einen elastischen Ball um
einen dreidimensionalen Raum stülpt.
In solchen Situa tionen ist es häufig
schwer, alle möglichen harmonischen
Abbildungen zu finden, weil ein phy­
sikalisches Modell fehlt, aus dem man
erkennt, wie sich die gummiartige
Figur verhalten wird: Ist sie im Gleich­
gewicht, oder wird sie sich abrollen?
Daher entwickelten Mathematiker
eine Methode, um harmonische Lö­
sungen zu konstruieren: Zuerst startet
man mit einer beliebigen Abbildung,
die dann nach und nach so verändert
wird, dass die gummiartige Form in
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