Spektrum der Wissenschaft - 05.2019

(Sean Pound) #1

Herumhüpfende Photonen


Topologische Materialien zeichnen
sich nicht bloß durch jene quanti-
sierten Teilchenflüsse aus, die
meine Kollegen und ich untersucht
haben. Eine ihrer bezeichnendsten
Eigenschaften sind ihre extrem gut
leitenden Oberflächen in Kombina-
tion mit einem isolierenden Inneren.
Auf genau diese Eigentümlichkeit
hat sich Mikael Rechtsman von der
Pennsylvania State University mit
seinem Team konzentriert, um den
vierdimensionalen Quanten-Hall-Ef-
fekt nachzuweisen.
Die Oberfläche und das Innere
eines topologischen Systems unter-
scheiden sich durch ihre jeweilige
Leitfähigkeit. Diese wird in der
Festkörperphysik durch das »Bän-
dermodell« erklärt. In Festkörpern,
die aus unzähligen Atomen beste-
hen, überlappen sich die einzelnen
Atomorbitale, so dass breite Ener-
giebänder entstehen. In diesen
können Elektronen ein kontinuier-
liches Energiespektrum annehmen.
Zwischen den Bändern klaffen
aber Lücken, deren Werte die
Energien der Teilchen nicht haben
dürfen. In Isolatoren müssen Elek-
tronen erst eine große Energielücke
überwinden, bevor sie Strom leiten.
Bei Metallen fehlt diese dagegen,
so dass die Teilchen frei fließen
können.
Ordnet man die Atome eines
gewöhnlichen Isolators so um, dass
während des Vorgangs die Energie-
lücke geöffnet bleibt, ist das Mate-
rial am Ende des Prozesses noch
immer ein Isolator. Auf diese Weise
kann man aber niemals einen
»topologischen Isolator« erhalten.
Während der Umformung des einen
Isolatortyps in den anderen schließt
sich zwangsläufig zumindest kurz-
zeitig die Energielücke.
So ist es auch, wenn man den
räumlichen Übergang zwischen bei-
den Materialklassen betrachtet: An
der Grenzfläche zwischen einem
gewöhnlichen Isolator und seinem
topologischen Äquivalent gibt es


immer einen leitenden Bereich.
Weil Vakuum und Luft gewöhnliche
Isolatoren sind, ist die Oberfläche
topologischer Materialien leitend.
Dieses charakteristische Merkmal
sollte genauso im vierdimensiona-
len Quanten-Hall- Effekt auftreten.
Rechtsman und seine Kollegen
fanden heraus, dass sich die beson-
dere Leitfähigkeit auch in der
topologischen Ladungspumpe
niederschlägt. Der Rand eines wie
in unserem Versuch erzeugten
Übergitters sollte daher leitend
sein. Speist man also den Rand
eines zweidimensionalen Gitters
mit zusätzlichen Teilchen, müssten
diese an den äußeren Grenzen des
Gitters entlangspringen, ohne ins
Innere einzudringen.

Um das zu untersuchen, haben
Rechtsman und sein Team ihre
Ladungspumpen aus Lichtleitern
gebaut und Photonen als Quanten-
simulatoren genutzt. Bei den Licht-
leitern handelt es sich um hauch-
dünne Schläuche, ähnlich Glasfa-
serkabeln, die in einen Glasblock

gefräst sind. Photonen können
ihnen bloß entfliehen, wenn zwei
Lichtleiter eng beisammen stehen.
Variiert man in regelmäßigen
Zeitabständen die Distanz zwischen
den senkrecht in einem Gitter
angeordneten Leitern, entspricht
das einer periodischen Veränderung
des Systems. Allerdings gestaltet
sich dieses Unterfangen sehr
aufwändig. Daher nutzten Rechts-
man und seine Kollegen einen
Trick: Anstatt die Abstände zeitlich
zu variieren, haben sie die Länge
der Lichtleiter, in denen sich die
Photonen ausbreiten, als Zeitrich-
tung identifiziert. Dadurch muss-
ten die Forscher die Leiter bloß
verformen, um so einen Pumpzyk-
lus darzustellen.
Ordnet man gerade Lichtleiter in
einem quadratischen Muster an,
entspricht dieser Aufbau einem
gewöhnlichen Metall. Wenn man
nun Photonen in einen am Rand
befindlichen Leiter strahlt, dringen
immer mehr Lichtteilchen in be-
nachbarte Leiter ein, bis sie sich
schließlich gleichmäßig über das
gesamte Gitter verteilen.
Um ihre Idee zu überprüfen,
führten die Forscher ein solches
Experiment zuerst mit geraden
Lichtleitern durch, die sie aber in
Form eines Übergitters anordneten,
das heißt die Lichtleiter waren nicht
mehr quadratisch in den Glasblock
gefräst. Tatsächlich bewegten sich
die Photonen bloß entlang eines
Rands fort, ohne ins Innere der
zweidimensionalen Anordnung
einzudringen.
Als die Wissenschaftler den
Versuch dann mit gebogenen
Lichtleitern wiederholten, tauchten
die ursprünglich an einem Rand
eingestrahlten Photonen nach
einem Pumpzyklus plötzlich auf der
anderen Seite des Systems auf.
Damit haben die Forscher um
Rechtsman eine weitere Bestäti-
gung des vierdimensionalen Quan-
ten-Hall-Effekts geliefert.

ZILBERBERG, O. ET AL.: PHOTONIC TOPOLOGICAL BOUNDARY PUMPING
AS A PROBE OF 4D QUANTUM HALL PHYSICS. NATURE 533, 2018, FIG. 1B; MIT FRDL. GEN. VON ODED ZILBERBERG, ETH ZÜRICH

Die Forscher frästen dünne, gebo-
gene Lichtleiter in einen Glasblock.
Als sie Photonen in einen am Rand
befindlichen Wellenleiter (unten
links) einstrahlten, breiteten diese
sich bloß entlang des Rands aus
(rot) und tauchten nach einem
Pumpzyklus, welcher der Tiefe des
Glasblocks entspricht, am entge-
gengesetzten Ende (oben rechts)
wieder auf.
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