Spektrum der Wissenschaft - 05.2019

(Sean Pound) #1
AUF EINEN BLICK
IST DAS NOCH KUNST?

1


Schon seit Jahrzehnten nutzen Menschen Computer,
um Kunstwerke zu schaffen.

2


Die neuen technischen Entwicklungen ermöglichen es
nun Maschinen, eigenständig Bilder zu kreieren,
ohne dass eine Person den Schaffensprozess steuert
oder gar kontrolliert.

3


Maschinelles Lernen kann außerdem dabei helfen,
kunstgeschichtliche Zusammenhänge offenzulegen
oder die kreative Leistung eines Werks zu bewerten.

INFORMATIK


KREATIVE COMPUTER


Inzwischen erschaffen fortgeschrittene Algorithmen
eigenständig außergewöhnliche Bilder – ohne
Zutun eines menschlichen Künstlers. Das revolutio-
niert bisherige Auffassungen von Kunst.

Ahmed Elgammal ist Professor für Computer­
wissenschaften und Direktor des Art and
Artificial Intelligence Laboratory an der Rutgers
University in New Jersey.

 spektrum.de/artikel/1634766

stark muss ein Mensch ein Werk dafür mindestens beein­
flusst haben?
Als Direktor des Art and Artificial Intelligence Laboratory
an der Rutgers University in New Jersey habe ich mich mit
solchen Fragen beschäftigt. Insbesondere interessiert mich,
ab wann ein Mensch die Anerkennung an eine Maschine
abtreten sollte.
In den letzten 50 Jahren gab es viele Künstler, die ihre
Werke mit Hilfe von Algorithmen erzeugt haben. In dieser
so genannten algorithmischen Kunst visualisiert man ein
gewünschtes Ergebnis mit Hilfe eines Computers, indem
man ihm detaillierte Befehle gibt. Einer der Ersten, der diese
Kunstform praktizierte, war der britische Grafiker Harold
Cohen, der 1973 das Programm AARON entwickelte. Die
Software, die Cohen während seiner Karriere immer weiter
nachbesserte, diktiert einer Maschine genaue Zeichen­
bewegungen.
In den letzten Jahren hat sich die Technologie allerdings
weiterentwickelt. Inzwischen produzieren Computer
mit KI ­Programmen eigenständig Bilder. Sie folgen dabei
keinen festen Regeln, sondern lernen das menschliche
Ästhetikempfinden, indem sie tausende Kunstwerke analy­
sieren.
Die meisten KI­Bilder entstehen aus einer bestimmten
Klasse von Algorithmen, den »generative adversarial
networks« (GANs), die Ian Goodfellow 2014 mit anderen
Informatikern an der Université de Montréal während
seiner Doktorarbeit entwickelte. Sie verdanken ihren Na­
men (»adversarial« heißt gegnerisch) den zwei separaten
Teilen, aus denen sie bestehen: Während der eine Baustein
Zufallsbilder erzeugt, lernt der andere über die Eingabe,
wie man diese Bilder beurteilt, und wählt die besten aus.

Beabsichtigte Innovation oder Versehen?
Um ein KI­Kunstwerk zu schaffen, muss man also zuerst
eine Sammlung von Bildern erstellen, mit denen man den
Algorithmus speist. Das Programm versucht sie zu imitieren
und kreiert mehrere eigene Exemplare. Aus den Ergeb­
nissen pickt man diejenigen heraus, die man verwenden
möchte.
Manchmal entstehen dabei Bilder, die selbst den Künst­
ler überraschen, der den Prozess leitet. Beispielsweise
produzierte das GAN von Caselles­Dupré, Fautrel und
Vernier eine Reihe deformierter Gesichter, obwohl sie ihrem


Am 25. Oktober 2018 verkaufte das Auktionshaus
Christie’s in New York erstmals ein mittels künstlicher
Intelligenz (KI) produziertes Kunstwerk – für umgerech­
net mehr als 380 0 00 Euro. Das Gemälde mit dem Titel
»Portrait of Edmond Belamy« ist Teil einer neuen Kunst­
form, die durch maschinelles Lernen entsteht. Die in Paris
lebenden Künstler Hugo Caselles­Dupré, Pierre Fautrel und
Gauthier Vernier hatten ein Computerprogramm mit tausen­
den Porträts gefüttert und es so die Grundprinzipien von
Ästhetik »gelehrt«. Es kreierte daraufhin das hochpreisig
verkaufte Bild, das ein deformiertes Gesicht zeigt.
»Das Gemälde ist nicht das Produkt eines menschlichen
Geistes«, stand in der Beschreibung von Christie’s. »Es
wurde von künstlicher Intelligenz geschaffen, einem Algo­
rithmus, der durch eine algebraische Formel definiert ist.«
Wenn ein Computerprogramm eigenständig Bilder erzeugt,
kann man das Ergebnis dann als Kunst bezeichnen? Wie
Free download pdf