Spektrum der Wissenschaft - 05.2019

(Sean Pound) #1
Frank A. Farris, Professor für Mathematik an der Santa
Clara University in Kalifornien, hat sich intensiv mit Tape-
tenfunktionen und deren Symmetrien befasst. Für ihn sind
die üblichen Tapetenmuster, auch solche mit dieser oder
jener Spiegelsymmetrie, nicht mehr als eine Aufwärm-
übung. Spannender wird es bei den komplizierteren Sym-
metrien, die in den kristallografischen Gruppen vorkom-
men. Das sind vor allem Drehungen um ein Drittel oder ein
Sechstel des Vollwinkels sowie die zugehörigen Spiege-
lungen.
Farris bewältigt diese Dreier- und Sechsersymmetrien
auf einem originellen Umweg: über die dritte Dimension.
Statt die Ebene mit Quadraten zu pflastern, füllt er den
Raum mit Würfeln und sucht Funktionen, die in jedem
dieser Würfel dasselbe Bild bieten. Solche dreifach perio-
dischen Funktionen dreier Variablen sind nicht schwer zu
finden. Für den Anfang liefert f(x, y, z) = sin x + sin y + sin z
ein geeignetes Beispiel. Und wie oben darf man Terme wie
sin 2 x oder cos 5 z – genauer: eine Variable mal eine ganze
Zahl, darauf angewandt die Sinus- oder die Kosinusfunk-
tion – nach Belieben kombinieren.
Um am Ende eine dreizählige Symmetrie zu erhalten,
muss man jedoch die Tapetenfunktion symmetrisch be-
züglich jeder zyklischen Permutation der drei Variablen
wählen, das heißt, sie muss genauso aussehen wie zuvor,
wenn man x durch y, y durch z und z durch x ersetzt. Ein
nichttriviales Beispiel ist f(x, y, z) = sin x sin 2 y cos 3 z
+ sin 2 x cos 3 y sin z + cos 3 x sin y sin 2 z.
Nun greife man aus dem ganzen Raum eine Ebene
heraus, und zwar diejenige, die durch die Endpunkte aller
drei Einheitsvektoren geht. Das sind die Punkte, die man
erhält, wenn man vom Ursprung des Koordinatensystems
einen Schritt nach rechts, nach hinten beziehungsweise
nach oben geht. Die Ebene ist schief in jeder Hinsicht;
aber die drei genannten Punkte bilden auf ihr ein gleichsei-
tiges Dreieck, und unsere Funktion bleibt unverändert,
wenn wir das Dreieck und mit ihm die ganze Ebene um
120 Grad drehen. Diese Aktion ist nämlich nichts weiter
als die oben genannte zyklische Permutation der drei
Variablen.
Also bildet unsere Funktion auf dieser Ebene ein drei-
zählig-symmetrisches Muster (siehe Bild links und rechts
oben). Außerdem ist es nach wie vor eine Tapete, das

heißt, es ist periodisch bezüglich zweier aufeinander
senkrecht stehender Vektoren. Denn unsere Ebene geht
nicht nur durch die drei Punkte, die sie definieren, sondern
außerdem durch unendlich viele Gitterpunkte; das sind die
Eckpunkte der Füllung mit den Würfeln. Und da die ur-
sprüngliche Funktion laut Voraussetzung an jedem Gitter-
punkt gleich aussieht, muss das ebenso für ihre Ein-
schränkung auf die schiefe Ebene gelten.
Das ist alles ganz nett, geht jedoch nicht über das
hinaus, was man auch durch mehrfache Anwendung von
Verschiebungen, Drehungen und Spiegelungen auf eine
»Urkachel« erreichen kann. Farris kommt nun auf etwas
wirklich Neues, indem er zwei Dimensionen höher steigt:
in den fünfdimensionalen Raum. Dort scheitert zwar unser
anschauliches Vorstellungsvermögen, aber die Mathema-
tik funktioniert weitgehend unverändert.

Die linke Abbildung zeigt die Tapete zu der Funktion
f(x, y, z) = sin x sin 2 y cos 3 z + sin 2 x cos 3 y sin z
+ cos 3 x sin y sin 2 z in der Ebene, die durch die Gleichung
x + y + z = 0 definiert ist. Die Farbgebung ist die gleiche
wie in den Bildern unten links. Bei der rechten Abbildung
hat der Mathematiker Frank Farris die Farbgebung der
dreizählig­symmetrischen Tapete aus einem echten Land­
schaftsfoto (Mitte) erzeugt.

CHRISTOPH PÖPPE MIT FRDL. GEN. VON FRANK FARRIS


Fünfzählig­symmetrische Pseudotapete von Frank Farris.

MIT FRDL. GEN. VON FRANK FARRIS

MIT FRDL. GEN. VON FRANK FARRIS
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