Das Usher-Syndrom
bietet sich besonders
gut für eine Gentherapie
an, da ihm Mutationen
in einzelnen Genen zu
Grunde liegen
Manche jedoch setzten ihre gentherapeutischen
Arbeiten im Stillen fort, wobei sie sich zunächst auf Zell-
und Tierversuche konzentrierten – in der Hoffnung,
Be handlungsansätze für solch komplexe Erkrankungen
wie Osteo arthritis, Krebs oder auch Diabetes Typ 1 entwi-
ckeln zu können. Zur Sicherheit reduzierten sie die Dosis
der als Genfähren dienenden Viren, um eine überschießen-
de Reaktion des Immunsystems zu vermeiden. Zudem
wendeten sie sich von dem Virustyp ab, der bei Gelsinger
benutzt worden war, und experimentierten stattdessen
mit anderen Arten infektiöser Partikel. Dabei zeichnete
sich eine viel versprechende Alternative zu Adenoviren ab,
nämlich so genannte Adeno-assoziierte Viren (AAV), die
als Genfähren keine Immunkomplikationen auszulösen
scheinen, da sie menschliche Zellen nicht schädigen (siehe
auch Spektrum März 2019, S. 36). Zudem gelang es besser,
die Wirkung der viralen Gentransporter auf bestimmte
Zellen zu begrenzen. »Es geht darum, die richtigen Genfäh-
ren für die richtige Krankheit und die richtigen Zielzellen zu
finden, sie richtig zu dosieren und zu verstehen, wo im
Körper sie ihre Wirkung entfalten«, sagt Cynthia E. Dunbar,
die an den National Institutes of Health (NIH) forscht und
bis vor Kurzem Präsidentin der American Society of Gene &
Cell Therapy war.
Das Interesse an Gentherapie wächst massiv
Die Bemühungen trugen Früchte: Die amerikanische Arz-
neimittelbehörde FDA hat die ersten Gentherapieverfahren
für die Anwendung am Menschen zugelassen. Im August
2017 gab sie grünes Licht für Kymriah, ein gentechnisches
Verfahren zur Behandlung der akuten lymphatischen Leukä-
mie, und im selben Jahr genehmigte sie die erste Genthera-
pie für eine seltene Form angeborener Blindheit. Pharma-
unternehmen und Risikokapitalgeber pumpen nun viel Geld
in dieses Forschungsgebiet, wie Dunbar berichtet. An der
Jahrestagung der American Society of Gene & Cell Therapy
hätten 2018 etwa 3400 Personen teilgenommen; fünf Jahre
zuvor waren es lediglich 1200 gewesen.
Das neu erweckte Interesse an der Gentherapie wendet
sich auch der Behandlung von vererbten Hörstörungen zu.
Viele meinen, zunehmende Taubheit habe vor allem mit
dem Älterwerden oder mit Unfällen zu tun, doch gehören
Hörschäden zu den häufigsten Geburtsdefekten beim
Menschen; sie betreffen etwa 3 von 1000 Neugeborenen.
Genveränderungen zeichnen für mehr als die Hälfte davon
verantwortlich – einschließlich des Usher-Syndroms. Diese
Krankheit bietet sich als Ziel für Gentherapien besonders
an, da die Patienten Mutationen in einzelnen Genen tragen,
deren funktionaler Ersatz die Krankheitsursache und damit
auch die Symptome beheben sollte. Bestimmte Typen der
Erkrankung – etwa jener, unter dem Corderman leidet –,
schreiten relativ langsam fort, was ein Zeitfenster nach der
Diagnose eröffnet, in dem sich die genetisch bedingte
Schädigung stoppen lässt. Der zunehmende Funktionsver-
lust betrifft unter anderem die Haarsinneszellen im Innen-
ohr, die normalerweise von außen eintreffende Schallwellen
in Nervensignale umwandeln, welche sie ans Gehirn weiter-
leiten. Bei Corderman und anderen vom Usher- Syndrom
Betroffenen sorgen defekte Gene dafür, dass die Haarsin-
neszellen nicht mehr richtig funktionieren.
Jene Zellen gentherapeutisch zu behandeln, bietet die
Chance, die Krankheit an der Wurzel zu bekämpfen, statt
mit Hightech-Hörgeräten die Symptome zu lindern. Die
jüngst in Tierversuchen erzielten Erfolge seien »sehr beein-
druckende und viel versprechende erste Schritte«, wie
Theodore Friedmann meint, ein Kinderarzt und Genthera-
pie-Forschungskoordinator an der University of California,
San Diego, der an diesen Arbeiten nicht beteiligt war. Nun
müsse das Verfahren aber noch erfolgreich auf den Men-
schen übertragen werden.
Wie ein solcher Tierversuch abläuft, konnte ich 2016 in
einem Labor der Harvard University beobachten. Ich
schaute dort Bence Gyorgy über die Schulter, der in der
Abteilung für Neuro biologie mit Mäusen experimentierte,
die mit schadhaften Haarsinneszellen gezüchtet wurden;
ihre Gene wiesen ähnliche Defekte auf wie die von Usher-
Syndrom-Patienten. Gyorgy beugte sich über ein solches
Tier, das narkotisiert worden war, und machte einen winzi-
gen Einschnitt hinter dessen Ohr. Von da aus schob er eine
feine Kanüle durch verschiedene Gewebeschichten bis zu
einem winzigen Bereich im Mittelohr, der als Rundfenster-
AUF EINEN BLICK
DIE TAUBHEIT ÜBERWINDEN
1
Hörschäden gehören zu den häufigsten Geburts-
defekten beim Menschen. In vielen Fällen haben sie
genetische Ursachen.
2
Die Gentherapie hat ihre Startprobleme überwunden
und verzeichnet auf einigen Bereichen erste Erfolge.
Sie könnte helfen, erbliche Formen der Schwerhörig-
keit wie das Usher-Syndrom zu behandeln.
3
Mittels veränderter Viren mit therapeutischen Genen
ist es bereits gelungen, Mäuse von angeborener
Schwerhörigkeit zu heilen. Jetzt gilt es, die Methode
auf menschliche Patienten zu übertragen.