Spektrum der Wissenschaft - 08.2019

(Ron) #1

tiert man die Quantenmechanik?«, S. 18). Ein Beispiel dafür
lieferten 1962 Christian Møller und Léon Rosenfeld, die
annahmen, dass quantenmechanische Überlagerungen real
sind. Dadurch würde die Energie aller möglichen Zustände
eines Teilchens die Raumzeit krümmen. Das klingt so weit
logisch, doch leider führt diese Überlegung zu Problemen –
denn die Theorie lässt zu, dass sich Information schneller
als das Licht ausbreitet, was der speziellen Relativitätstheo-
rie widerspricht. Letzte ist jedoch durch unzählige experi-
mentelle Überprüfung inzwischen gefestigt.
Mit solchen Schwierigkeiten kämpft die Quantenphysik
seit ihren Anfängen. Das fiel erstmals Albert Einstein, Boris
Podolsky und Nathan Rosen auf. In einer Arbeit aus dem
Jahr 1935 stellten sie sich zwei Teilchen in einem Zustand
der Form: »Teilchen 1 ruht, Teilchen 2 bewegt sich« und
»Teilchen 1 bewegt sich, Teilchen 2 ruht« vor. So ein System
heißt verschränkt, weil die Eigenschaften beider Teilchen
eng miteinander verbunden sind. Wenn man weiß, dass
sich Teilchen 1 bewegt, ist augenblicklich klar, dass Teil-
chen 2 ruht. Eine Messung des einen Teilchens fixiert also
sofort den Zustand des anderen, egal wie weit sie vonein-
ander entfernt sind.
Einstein, Podolsky und Rosen kamen daher zu dem
Schluss, dass Überlagerungen nicht real sein können und
bloß aus unserer eigenen Unwissenheit folgen. In Wirklich-
keit gäbe es nur eine Realität, die schon vor der Messung
feststeht. Ihrer Ansicht nach war der Formalismus der
Quantenphysik unvollständig.
Der nordirische Physiker John Stewart Bell ging 1964
dieser Schlussfolgerung am CERN nach. Eine Theorie, in
der sich Ereignisse über die von der Lichtgeschwindigkeit
festgelegten Grenzen hinweg beeinflussen, heißt »nicht-
lokal«. Er konnte zeigen, dass jede lokale Theorie mehrere


Ungleichungen erfüllen muss. Falls Einstein und seine
Kollegen also Recht hätten und die Quantenphysik eigent-
lich lokal ist – wir sie aber aus mangelndem Wissen als
nichtlokal wahrnehmen –, müsste sie die bellschen Unglei-
chungen erfüllen. Das lässt sich experimentell testen. 1982
fanden Alain Aspect vom Institut d’Optique in Orsay und
sein Team in einem Versuch mit verschränkten Photonen
heraus, dass sie die bellschen Ungleichungen verletzt. Die
Quantenmechanik ist also tatsächlich nichtlokal. Einstein,
Rosen und Podolsky hatten Unrecht.
Doch was bedeutet das für die spezielle Relativitäts-
theorie? Glücklicherweise befolgt die Quantenmechanik sie
in einer abgeschwächten Form: Verschränkte Teilchen
können sich zwar verzögerungsfrei beeinflussen, man kann
sie aber nicht dazu nutzen, um Information überlichtschnell
zu übertragen.

Überlichtschnelle Übertragung von
Information
Ein ähnliches Problem tauchte wieder auf, als Møller und
Rosenfeld versuchten, die klassische Theorie der Schwer-
kraft mit der Quantenphysik zu verbinden. Nimmt man an,
dass Überlagerungen real sind und zur Krümmung der
Raumzeit beitragen, verändern sich die Formeln der Quan-
tenmechanik. Insbesondere die Schrödingergleichung,
die den zeitlichen Aspekt der Theorie beschreibt, gewinnt
dadurch an zusätzlichen Termen. Dem Physiker Nicolas
Gisin von der Universität Genf fiel 1989 auf, dass diese
Veränderungen überlichtschnelle Informationsübertragung
ermöglichen würden. Das machte Møllers und Rosenfelds
Ansatz zunichte. Doch nicht nur das – Gisin zeigte, dass
jeder zusätzliche nichtlineare Term in der Schrödinger-
gleichung die spezielle Relativitätstheorie verletzt.
Physiker fragten sich daraufhin, ob es überhaupt möglich
ist, eine klassische Theorie der Raumzeit mit der Quanten-
physik zu verbinden, ohne dabei Widersprüche zu erzeu-
gen. Denn die Schrödingergleichung würde dadurch stets
an nichtlinearen Komponenten gewinnen.

Erwin Schrödinger beschrieb in seinem berühmten
Gedankenexperiment eine Katze, die mit einem
instabilen Element (lila Kiste) in einer Box gefangen ist.
Ein Geiger zähler (gelb) ermittelt, ob der Atomkern
zerfällt, und löst in einem solchen Fall einen Mechanismus
aus, der ein tödliches Gift (grün) freisetzt.


DHATFIELD (COMMONS.WIKIMEDIA.ORG/WIKI/FILE:SCHRODINGERS_CAT.SVG); BEARBEITUNG: SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT /

CC BY-SA 3.0 (CREATIVECOMMONS.ORG/LICENSES/BY-SA/3.0/LEGALCODE)
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