Andere Wissenschaftler arbeiten ebenfalls mit genetisch
verändertem Hautgewebe. Der Krebsforscher Xiaoyang Wu
von der University of Chicago in Illinois beispielsweise
betreibt entsprechende Studien, freilich mit anderen Zielen
als De Luca. 2017 konnten seine Mitarbeiter und er zeigen,
dass gentechnisch modifizierte Hauttransplantate als
lebende Medikamentendepots dienen können, vergleichbar
etwa den bekannten Nikotin- oder Hormonpflastern.
Mit der Genschere CRISPR-Cas9 fügten die Wissen-
schaftler in das Erbgut epidermaler Stammzellen eine
Variante jenes Gens ein, das für das Hormon GLP1 codiert.
GLP1 reguliert den Blutzuckerspiegel und unterdrückt den
Appetit. Die Genversion, die Wu und sein Team einschleus-
ten, ließ sich durch eine Gabe des Antibiotikums Doxycyclin
aktivieren. Aus den so veränderten Stammzellen züchteten
die Forscher kleine Hautstücke und verpflanzten sie auf den
Rücken von Labormäusen. Verabreichten sie den Tieren
später das Antibiotikum, schütteten die transplantierten
Hautstücke GLP1 ins Blut aus – was bei Nagern, die fett-
reich ernährt wurden, sowohl die Gewichtszunahme ver-
langsamte als auch einen Diabetes verhinderte.
Turbostoffwechsel entfernt Droge sehr schnell
Mit der gleichen Technik hat Wus Arbeitsgruppe zudem
Hautstücke hergestellt, die eine verbesserte Version des
Kokain abbauenden Enzyms BChE erzeugen. Dabei bringen
sie Genmaterial in die Zellen ein, das für ein Protein codiert,
welches die Droge mehr als 4000-mal schneller verstoff-
wechselt als die natürliche Form des Enzyms. Es sollte
Kokain daher sehr schnell aus dem Körper entfernen und
das »High«-Gefühl rasch stoppen.
Verpflanzt auf Mäuse, verhinderten entsprechende
Gewebepräparate, dass die Tiere kokainabhängig wurden,
und unterbanden die Symptome einer Überdosis. Das
scheint ein viel versprechender Ansatz für die Behandlung
von Drogenabhängigen zu sein. Wus Team forscht zudem
über künstliche Transplantate, die als Langzeitbiosensoren
dienen. Sie könnten beispielsweise modifizierte Zellen
enthalten, die als Reaktion auf den Blutzuckerspiegel ihre
Farbe oder Fluoreszenzeigenschaften ändern.
»Viele Wissenschaftler auf dem Feld der Gentherapie
konzentrieren sich auf innere Organe wie die Leber, aber die
Haut ist ein viel besserer Angriffspunkt – wir können ihre
Zellen unbegrenzt kultivieren und sie außerhalb des Körpers
verändern«, zeigt sich Wu überzeugt. »Wir können auch
sehr sorgfältig auswählen, aus welchen Zellen das Trans-
plantat bestehen soll, und so unerwünschte Nebeneffekte
oder fehlerhaft eingebrachte Mutationen vermeiden.«
Studien an Menschen werden allerdings noch ein paar
Jahre auf sich warten lassen. »Aktuell sind wir dabei, die
grundsätzliche Machbarkeit nachzuweisen«, sagt Wu.
»Sobald die Technik stärker etabliert ist und wir das Verfah-
ren sicher im Griff haben, können wir über klinische Tests
nachdenken, aber nicht vorher.«
De Luca führt derweil zwei klinische Studien mit Patien-
ten durch, die an verschiedenen Formen der EBJ leiden.
Längerfristig hat er vor, seinen Behandlungsansatz auf
weitere Hauterkrankungen aus dem Spektrum der Epider-
molysis bullosa hereditaria auszudehnen. Deren diverse
Untertypen können von Mutationen in einem von mindes-
tens 18 Genen verursacht werden und betreffen in den
USA etwa eines von 20 000 Neugeborenen. Indem er sich
auf junge Patienten fokussiert, die am meisten von einer
frühen Behandlung profitieren, hofft De Luca, den größten
Nutzen zu stiften.
»Wenn wir diese Kinder so zeitig wie möglich behan-
deln, verhindern wir, dass Hautschäden überhaupt erst
entstehen, statt sie später heilen zu müssen – und wir
brauchen natürlich nicht so viel Hautgewebe für die Thera-
pie zu züchten, da weniger Körperfläche abzudecken ist«,
betont der Biomediziner. »Hätte man mich vor 30 Jahren
gefragt, ob es möglich sei, die gesamte Oberhaut mit
gezüchteter, genetisch veränderter Epidermis zu ersetzen,
hätte ich mit Nein geantwortet. Jetzt aber haben wir es
getan. Mein Wunsch ist es, dass diese Gentherapie zu
einer echten Behandlungsoption für betroffene Kinder
avanciert – nicht nur in Form einer klinischen Studie oder
eines Machbarkeitsnachweises, sondern als etablierte
Therapiemethode für alle, die sie benötigen.«
Mehr als drei Jahre nach der Rekordtransplantation
seiner Oberhaut ist Hassan der lebende Beweis dafür, dass
dieser Wunsch nicht unrealistisch ist. Der Junge besucht
das Team an der Universität Modena und Reggio Emilia
regelmäßig für Kontrolluntersuchungen. »Damals im
Krankenhaus wog er nur 17 Kilo und lag im Sterben; heute
sehen wir ihn heranwachsen«, sagt De Luca stolz. »Jedes
Mal, wenn er vorbeikommt, gibt es ein großes Fest, und
alle möchten ihn umarmen.«
QUELLEN
Hirsch, T. et al: Regeneration of the entire human epidermis
using transgenic stem cells. Nature 551, 2017
Li, Y. et al.: Genome-edited skin epidermal stem cells protect
mice from cocaine-seeking behaviour and cocaine overdose.
Nature Biomedicine England 3, 2019
Mavilio, F. et al.: Correction of junctional epidermolysis
bullosa by transplantation of genetically modified epidermal
stem cells. Nature Medicine 12, 2006
Yue, J. et al.: Engineered epidermal progenitor cells can
correct diet-induced obesity and diabetes. Cell Stem Cell 21,
2017
© Springer Nature Limited
http://www.nature.com
Nature 564, S. 14–15, 2018
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