Spektrum der Wissenschaft - 08.2019

(Ron) #1
Hyperbolic Plane / Pseudosphere
(2005)

Daina Taimina begann ihr geometrisches Hand-
werk in den 1990er Jahren, als die heute pensio-
nierte Mathematikerin von der Cornell University
einen Kurs zu hyperbolischer Geometrie gab. In
der Schule begegnen uns meist nur ebene Flä-
chen, auf denen es beispielsweise nur genau eine
Gerade gibt, die parallel zu einer vorgegebenen
Geraden durch einen Punkt außerhalb dieser
verläuft. Auf hyperbolischen Flächen gibt es
dagegen mehrere solcher Objekte. Das liegt daran,
dass diese Flächen eine konstante negative Krüm-
mung haben – sie ähneln einem Sattel. Ein Beispiel
dafür sind die krausen Ränder von Grünkohl.
Taimina wollte handfeste Modelle hyperboli-
scher Flächen kreieren, um ihren Studenten einen
anschaulichen Eindruck negativer Krümmung zu
vermitteln. Weil sie schon fast ihr ganzes Leben
lang häkelt, war das ihr Mittel der Wahl. Mit einer
Häkelnadel und Garn bewaffnet, begann sie hyper-
bolische Flächen zu erzeugen. Das hier gezeigte
Exemplar ist eine so genannte Pseudosphäre, die
überall negativ gekrümmt ist. Sie ist gewisserma-
ßen das »Gegenteil« einer gewöhnlichen Kugel-
oberfläche, die in jedem Punkt eine positive
Krümmung hat.
Taimina kann sich guten Gewis-
sens als Erfinderin der »hyperboli-
schen Häkelarbeit« bezeichnen:
Inzwischen hat sie Dutzen-
de solcher Modelle in
allerlei Farben herge-
stellt – das größte
wiegt knapp acht
Kilogramm.

Einige Wissenschaftler halten es deshalb für falsch,
Mathematik und Kunst strikt voneinander zu trennen. Sie
versuchen beide Fächer zu verbinden, indem sie Probleme
in der abstrakten Sprache von Zahlen und Gruppen formu-
lieren und ihre Antworten in Metallen, Kunststoffen, Höl-
zern oder auf dem Computerbildschirm suchen. Sie weben,
zeichnen und bauen. Viele »mathematische Künstler«
tauschen sich jährlich auf der internationalen Bridge-Kon-
ferenz aus oder treffen sich auf der alle zwei Jahre stattfin-
denden Gathering 4 Gardner, benannt nach Martin Gardner,
der 25 Jahre lang die beliebte Kolumne »Mathematical
Games« für das Magazin »Scientific American« schrieb.
In den vergangenen Jahren hat das Interesse an mathe-
matischer Kunst immer stärker zugenommen, was sich in
der wachsenden Menge von Ausstellungen und akademi-
schen Zeitschriften zu diesem Thema zeigt. Die Anfänge
des gegenwärtigen Booms reichen bis zum Ende des


  1. Jahrhunderts zurück. Inzwischen decken Künstler
    allerdings ein deutlich breiteres Spektrum an mathemati-
    schen Gebieten ab und verwenden modernere Werkzeuge
    beim Bau ihrer Kunstwerke. 


LITERATURTIPP
Gamwell, L.: Mathematics and Art: A Cultural Story. Princeton
University Press, 2015
Die kulturelle Geschichte von Mathematik und Kunst, von der
Antike bis heute

DAINA TAIMINA

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