25 km
Athen
GRIECHENLAND
Ägäis
MITTELMEER
Peloponnes
Hydra
Sifnos
Paros
Naxos
Mykonos
Antiparos
Amorgos
Kimolos
Folegandros
Milos
EUROPA
AFRIKA
Kle
ine
Ky
kl
ad
en
Piräus
Vielleicht auch wegen der Werbung, die
den Nerv der Menschen traf. Ein bisschen
leiser als früher. Melancholisch auch. Die
Vergangenheit war größer als die Zukunft.
Das prägt die Gesellschaft.
Um zu verstehen, was mit Griechenland
passiert ist, genügen ein paar Zahlen. Um
gut ein Drittel ist die griechische Wirt-
schaft geschrumpft, das ist einem Indus-
trieland in Friedenszeiten noch nie pas-
siert. Im Schnitt haben die Menschen etwa
ein Drittel ihres Einkommens verloren.
Vier von zehn Griechen verdienen heute
weniger als 700 Euro brutto, jeder zweite
Rentner bekommt weniger als 500. Im EU-
Vergleich ist die Armutsquote nur in Bul-
garien und Rumänien höher.
Eine letzte Zahl vielleicht, das Ergebnis
all dessen: Mindestens eine halbe Million
Griechen sind ausgewandert, 88 Prozent
davon Akademiker.
So eine Krise schafft ein Davor und ein
Danach. Die Griechen haben sich ange-
wöhnt, von „der neuen Normalität“ zu
sprechen. In dieser Normalität passiert
vieles gleichzeitig. Den einen geht es bes-
ser, die anderen leiden nach wie vor. Man
sitzt in einer Athener Seitengasse in einer
neuen Cocktailbar, umgeben von schönen
Menschen. Aber blickt man nach oben, ist
da eine verrußte Fassade, hinter der schon
lange niemand mehr lebt.
Eine Straße ist voll mit Ateliers junger
Schmuckdesigner, in der nächsten sind An-
archisten in verfallene Villen eingezogen.
In einem Hinterhof hat ein Concept
Store aufgemacht, kombiniert mit Arbeits-
räumen für Kreative und einer Kunstgale-
rie. In der Gasse nebenan liegen zehn Jun-
kies und stechen sich Nadeln in den Arm,
kein Polizist beachtet sie.
Es gibt einen Aufbruch, es bewegt sich
etwas. In Athen erfinden sich ganze Vier-
tel neu, in denen vor zwei, drei Jahren noch
die Häuser leer standen. Man isst und
trinkt eigentlich nur in Bars und Restau-
rants, die gerade erst eröffnet haben. Es
gibt Raum für Ideen, die Mieten sind im
europäischen Vergleich immer noch nied-
rig. Alles Neureiche ist verschwunden. Die
Stadt fühlt sich an, als wäre sie auf der
Suche nach sich selbst.
Im „Couleur Locale“, einem Dachterras-
sencafé mit Blick auf die Akropolis, sitzen
zwei Freunde und Geschäftspartner. Sie
heißen Jeannie Dimitrakopoulou und Ni-
kos Kastranakis, aber in ihrer E-Mail-
Signatur nennen sie sich nur „Jeannie &
Nikos“, machen wir es genauso.
Es ist ein Sommermorgen, und Jeannie
& Nikos erzählen von ihrem Neuanfang.
„Man sollte in Griechenland kein Unter-
nehmen gründen“, sagt Nikos. „Würde nie-
mand machen.“ Sie machen es gerade.
Das Neuanfangen, das Umorientieren,
es ist etwas, worin die Griechen Übung
haben. Seit Generationen. Als sich Nikos
vor einigen Jahren in den Flieger setzte
und sein Glück in London suchte, war das
nur fortgesetzte Familiengeschichte,
schon seine Eltern arbeiteten in Saudi-
Arabien. Jeannies Großeltern mussten
als Griechen die heutige Türkei verlassen,
sie kam in Melbourne zur Welt, später
gingen ihre Eltern zurück nach Athen, hier
wuchs sie auf.
Jeannie betrieb in Athen ein Reisebüro,
Nikos war auf der Suche nach etwas Neu-
em. Er hatte Jahre in seinem Büro in einer
Bank in der Londoner City verbracht. Zu-
sammenbrüche: zwei. Er kündigte, was ihn
vor eine Wahl stellte. In London bleiben
und bei seinem Bruder, der auch in der
Stadt lebte, auf dem Sofa schlafen. Oder:
zurück nach Athen, wo die Mieten niedrig
genug waren, um ein paar Monate lang
nachzudenken. In einer eigenen Wohnung.
Nikos überlegte zum ersten Mal, was er
wirklich wollte. In London war sein Leben
schnell gewesen, zu schnell. Was für ein
Start-up würde in Griechenland funktio-
nieren? Es musste mit Tourismus zu tun
haben, der einzigen Branche, die florierte.
Jeannie & Nikos, die sich von früher
kannten, verband ihre Liebe zu Roadtrips
über den Peloponnes, sie mögen die leeren
Straßen, die Dörfer hinter den Bergen, die
vergessenen Tavernen, die Buchten am
Meer, die man nur mit dem Boot erreicht.
„Das Gute an der Krise ist“, sagt Nikos,
„dass sie uns dazu brachte, ins Ausland zu
gehen und damit Neues zu sehen, auf neue
Ideen zu kommen.“
Nikos wusste von den „digitalen Noma-
den“, die nicht ins Büro gehen, sondern an
ihrem Laptop immer dort arbeiten, wo sie
sich gerade aufhalten. In Thailand, in Süd-
amerika. Oder auf einer griechischen Insel.
Daneben gibt es „remote workers“, die an
einem Ort sesshaft werden, den sie mögen,
auch wenn er Tausende Kilometer von
ihren Kollegen entfernt liegt.
Es sind die Kunden von „Erratic Paths“,
einer Art Reisebüro des 21. Jahrhunderts,
das Jeannie & Nikos gerade aufbauen.
SEIT GENERATIONEN
HABEN SIE ÜBUNG
DARIN, NEU
ANZUFANGEN
Neustarter Jeannie & Nikos
gründeten gegen alle Zweifel ein
eigenes Reisebüro
Die Inseln So könnte es gehen: mit
der Fähre von Piräus aus nach Sifnos,
weiter nach Milos und Kimolos.
Dann Folegandros. Hoch auf die
größeren Inseln Paros und Naxos.
Über die kleinen Kykladen (Iraklia,
Schinoussa, Koufonsi) nach Amorgos.
Oder andersrum. Das ist Freiheit
ROUTE 1
30 29.8.2019
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