Jan Christoph Wiechmann hat den
Regenwald vielfach bereist. Nach
seiner Erfahrung will keiner der neun
Amazonas-Staaten den Wald tatsächlich
schützen. Anders als die indigenen Völker
ten von Mato Grosso. Die Kamayurá, eines
von 16 Völkern im Nationalpark, haben
schon Millionengebote für die landwirt-
schaftliche Nutzung ihres Territoriums
erhalten, erklärt Yudi, einer ihrer Anfüh-
rer. Aber sie lehnten alles kategorisch ab.
Sie leben ihr Leben wie vor 500 Jahren,
ernähren sich vom Angeln und etwas
Maniokanbau – ohne jedes Interesse an
der industriellen Nutzung des Amazonas-
beckens. Dringen Fremde in ihren Natio-
nalpark ein, gehen sie mit bis zu 50 Krie-
gern gegen sie vor und verbrennen ihre
Trucks. „Auch mit Kastrationen drohen
wir den Invasoren, das schreckt ab“, sagt er.
„Unsere Kultur des Naturschutzes ist das
einzige Modell, das die Menschheit dauer-
haft überleben lässt.“
Bolsonaros dritter Hauptfeind sind die
Wissenschaftler der staatlichen Institute,
vor allem des angesehenen Nationalen
Instituts für Weltraumforschung, Inpe.
Dessen Leiter, Ricardo Galvão, hat der jäh-
zornige Präsident Anfang August kurzer-
hand gefeuert, weil er das wahre Ausmaß
der Regenwaldzerstörung unter Bolso naro
anhand von Satellitenaufnahmen darge-
legt hat: Danach ist die betroffene Fläche
um sagenhafte 278 Prozent gestiegen. Die
Entlassung hielt Galvão nicht davon ab,
jetzt weitere Daten zu den Waldbränden
zu veröffentlichen: Um 84 Prozent hat sich
die Zahl der Brandherde gegenüber dem
Vorjahr erhöht. Viele werden von Holz-
fällern und Großbauern gelegt, die sich auf
Bolsonaros Pläne zur Industrialisierung
des Amazonas berufen und sogenannte
Feuertage veranstalten.
Weitere Lieblingsfeinde des Präsidenten
sind die Umweltschutzorganisationen –
denen der Präsident unterstellt, sie hätten
die Brände selbst gelegt. „Eine kriminelle
Aktion, um gegen mich und die Regierung
Brasiliens vorzugehen“, wetterte er. „Das ist
der Krieg, dem wir ausgesetzt sind.“
Welche Beweise er habe?, fragten ihn
verblüffte Reporter. Keine, musste er zu-
geben. Es sei sein Gefühl. Was der Grund
sein sollte? „Wir haben ihnen den Geld-
hahn zugedreht“, sagte Bolsonaro. Jetzt
wollten sie die Waldbrände nutzen, „um
die Bilder ins Ausland schicken zu können“
und so auf sich aufmerksam zu machen.
Bolsonaros größte internationale Fein-
de sind derzeit Norwegen, Frankreich und
Deutschland, die damit drohen, Gelder aus
dem milliardenschweren Klimafonds zu-
rückzuhalten. Über Norwegens Protest
sagt der oft unkundige Präsident lapidar:
„Ist das nicht das Land, das Wale am Nord-
pol tötet?“ Und über Deutschland: „Nehmt
euer Geld und helft Angela Merkel dabei,
Deutschland aufzuforsten.“
Dass Bolsonaro umringt ist von Feinden,
glaubt nur er selbst. Aber inzwischen hat
er Gegner. Da sind die Beharrlichen in Bra-
silien, die aufrechten Ibama-Mitarbeiter,
die Indigenen, mutige Wissenschaftler wie
der gefeuerte Ricardo Galvão. Da sind die
protestierenden Bürger, die nicht akzep-
tieren wollen, dass ihre Naturschätze zer-
stört werden, dass der Himmel über São
Paulo am hellen Tage schwarz ist von den
Feuern der Wälder. Und es gibt internatio-
nalen Druck: Die G7 wollen knapp 18 Mil-
lionen Euro Soforthilfe zur Bekämpfung
der Brände in Südamerika aufbringen. Im
September soll bei der UN-Vollversamm-
lung eine Amazonas-Initiative gestartet
werden.
Bolsonaro ist schon kleinlauter gewor-
den, auch weil Berater ihm klargemacht
haben, dass das Freihandelsabkommen
mit der EU auf dem Spiel steht, Einkünfte
von 88 Milliarden Dollar für das krisenge-
schüttelte Brasilien. Und weil in den sozia-
len Medien Kampagnen gestartet wurden,
um brasilianische Produkte zu boykottie-
ren. In der vergangenen Woche mobilisier-
te er das Militär, um bei der Bekämpfung
der Brände zu helfen. 44 000 Soldaten.
Trotzdem ist die Gefahr groß, dass der
unberechenbare Ideologe sich nicht an
Absprachen halten und die Umweltkrimi-
nalität unter der Hand weiter dulden wird.
Der Stabschef der Streitkräfte, Leutnant
Raul Botelho, verriet am vergangenen
Samstag schon den wahren Grund der
Militäraktion: Brasilien nach außen gut
aussehen zu lassen. 2
zwischen zuständig für Razzien gegen Um-
welttäter im Amazonas – aus der Behörde
entlassen.
Bolsonaro ist ein Mann, der sich umge-
ben sieht von Feinden. Ibama, das an-
erkannte staatliche Umweltinstitut, ist so
etwas wie sein Hauptfeind – neben den
Indigenen des Amazonas, neben der Welt-
raumbehörde Inpe, neben Wissenschaft-
lern, neben Greenpeace und Merkel und
Macron, deren Einsatz für den Regenwald
er als koloniales Gebaren kritisiert, neben
so ziemlich allen, die sich für den Erhalt
der grünen Lunge der Welt einsetzen.
Ibama ist die Behörde, die den Amazo-
nas so vehement verteidigt wie keine an-
dere. Wie effektiv die Umweltpolizisten
operieren, konnte der stern beobachten,
bevor Bolsonaro im Januar ins Amt kam,
bei einer Razzia in Mato Grosso, jenem
Bundesstaat, der jetzt am stärksten von
den Bränden betroffen ist.
Die Regenwald-Detektive nutzten Sa-
tellitenaufnahmen und Nachtsichtkame-
ras, sie überflogen den Regenwald mit
Helikoptern, und sobald sie Rodungen
entdeckten, landeten sie und nahmen
Brandstifter oder Holzfäller fest. Der
Hauptermittler, Heitor Peretti, ein selbst
ernannter Sheriff des Urwalds, sagte
damals: „Wenn wir sie beim Abholzen er-
tappen, dürfen wir ihre Maschinen ver-
brennen, das trifft die ins Mark.“ Nur
einen Moment später setzte der Hub-
schrauber zur Landung auf einer gerode-
ten Stelle nahe des Ortes Feliz Natal an,
Peretti nahm zwei überraschte Holzfäller
fest und konfiszierte ihre Maschinen.
Das zeigt: Die Regenwald-Kriminalität
lässt sich bekämpfen. Aber Ibama würde
sehr viel mehr als 500 Umweltpolizisten
brauchen – und einen Präsidenten, der
hinter seiner Behörde steht.
Der zweite Hauptfeind Bolsonaros sind
die Indigenen des Amazonas, jene mehr als
240 Völker, über die er verachtend sagt:
„Schade, dass die brasilianische Kavallerie
nicht so effizient wie die amerikanische
war, die die Indianer ausgerottet hat.“
Er hat noch andere feindselige Sätze
über Ureinwohner parat: „Die Indianer
sprechen nicht unsere Sprache, sie haben
kein Geld, keine Kultur. Sie sind Wilde. Wie
kann es sein, dass sie 13 Prozent unseres
nationalen Territoriums haben?“ Oder
auch: „Indianerreservate sind ein Hinder-
nis für die Agrarindustrie.“
Die Indigenen sind für den Erhalt des
Regenwaldes noch wichtiger als Ibama.
Das versteht man, wenn man sie besucht,
etwa im Xingu-Nationalpark im Nordos-
„ DIE INDIANER
SPRECHEN NICHT
UNSERE SPRACHE,
SIE HABEN KEIN
GELD, KEINE KULTUR.
SIE SIND WILDE“
Jair Bolsonaro
62 29.8.2019