RODUNGSSTOPP – ABER DIE PROTESTE GEHEN WEITER
Der Hambacher
Forst, ein uralter
Laubmischwald von
rund 200 Hektar,
soll dem Braunkohle-
tagebau weichen.
Seit rund sieben
Jahren wird er von
Aktivisten in Baum-
häusern besetzt,
um Fällungen zu
verhindern. Im ver-
gangenen September
ließ Eigentümer RWE
rund 70 Baumhäuser
räumen – viele
wurden seitdem neu
gezimmert. Nach
dem Regierungsbe-
schluss, bis 2038
aus der Kohle auszu-
steigen, hat RWE
bis Herbst 2020
einen Rodungsstopp
versprochen und will
den Erhalt prüfen.
Zentrum des Wider-
stands vor Ort ist die
„Mahnwache“, eine
genehmigte Dauer-
versammlung im Zelt
an der Landstraße
- Dort sagt die
Schichtleitung, die
als „Julie“ bekannte
Dorle Becker habe
„Betretungsverbot“,
weil sie „nachweislich
mit der Polizei zu-
sammengearbeitet“,
gegen „basisde-
mokratische Grund-
sätze“ verstoßen
und den „sozialen
Frieden“ gestört
habe. Für den bruta-
len Angriff auf sie sei
man „nicht zustän-
dig“ gewesen, er sei
einige Meter außer-
halb der Mahn-
wachenzone passiert.
staltet. Ich fragte zwei junge Männer, die
am Boden kunstvoll Stämme zusammen-
banden, was ich ihnen Gutes tun könne,
falls ich noch mal wiederkäme. Einer, so alt
wie mein Sohn, mit einem schönen, klaren
Gesicht, sagte: „Ein Liederbuch.“ Auf der
Heimfahrt musste ich weinen vor Rüh-
rung. Ich war auf einer Waldorf-Schule und
habe selbst viel musiziert. Das passte.
Es war eine wunderbare, positive Atmo-
sphäre. Undenkbar, dass hier jemand ge-
walttätig werden könnte.
Also kamen Sie wieder.
Klar, schon nach ein paar Tagen mit einem
Sack voll Brot und Teilchen von unserem
Demeter-Bäcker. Die Waldbesetzer leben
ja von Spenden aus der Bevölkerung.
Später habe ich auch eine Japansäge und
Kletterseile in den Wald geschmuggelt.
Den Griff hatte ich unter der Bluse ver-
steckt, das superscharfe Blatt, in Küchen-
handtuch und Pappe eingepackt, auf dem
Rücken. Die Seile waren um die Hüfte ge-
wickelt, darüber eine Jacke. Dann bin ich,
geschminkt und ziemlich schick gekleidet,
an den Polizisten vorbeigeschlendert. Sie
haben nur meinen Rucksack kontrolliert.
Ich hätte vor Freude brüllen können.
Dachten Sie nicht: Das ist Unrecht?
Nein. Das Recht von Hambi-Eigentümer
RWE war mir egal, Bäume sind für mich
keine Wirtschaftsgüter. Uns ging es in die-
ser Zeit noch wirklich darum, den Wald zu
retten. Mich bewegt bis heute zutiefst, wie
Menschen, deren wunderbare Bauwerke
bei der Räumung bestialisch zerstört und
die dann auch noch in den Knast gesteckt
wurden, sich gleich wieder an den Wieder-
aufbau machten. Heute gibt’s im Wald viel
mehr Baumhäuser als je zuvor. Alles zer-
siedelt, der Wald leidet darunter.
Was waren das für Menschen, die mit
Ihnen im Wald lebten?
Sehr viele kluge, bewusste von unter 18 bis
über 60. Alle gingen in der Regel besonnen
und achtsam miteinander um. Auf Bäume
durfte nur klettern, wer wirklich gut aus-
gebildet war. Wer Gewalt säen wollte, hat-
te in der Gemeinschaft kaum eine Chance.
Nach der Räumung allerdings herrschte
gegenüber der Polizei aufgrund mancher
Vorfälle Misstrauen und Feindseligkeit.
Irgendwann sind Sie in den Wald gezogen.
Da ich im öffentlichen Dienst in der Ju-
gendarbeit tätig bin, musste ich in der
Regel mit meinem Ford Mondeo immer
zwischen Arbeit und Hambi pendeln, 220
Kilometer am Tag. Aber an Wochenenden
und in den Herbst- und Weihnachtsferien
habe ich durchgehend dort gelebt.
220 Kilometer am Tag? Wo bleibt da das
Klimagewissen?
Das hat sich gemeldet. Aber es ging eben
nicht anders. Ich wusch für die Besetzer
zu Hause die Wäsche, der Kofferraum war
immer proppenvoll. Dann brachte ich oft
säckeweise Produkte vom Bäcker mit.
Drei Monatsgehälter hat mich das Ganze
sicherlich gekostet.
Wo haben Sie die erste Nacht im Wald ver-
bracht?
Ich wollte unbedingt ins Baumhaus-
dorf „§11“. Im Hambi-Camp bekam
ich dunkle Klamotten zur Tarnung, eine
Mütze und eine riesengroße Jacke, die
ich wie einen Schlafsack verwenden
konnte. Dann habe ich mich mit zwei
anderen auf den Weg gemacht, sieben
Stunden. Es war wie im Krieg. Überall
Polizei. Suchscheinwerfer. Als ich im „§11“
ankam, schlief ich erschöpft am Lagerfeu-
er ein, den Kopf auf einem Brett. Irgend-
ein liebevoller Mensch hat mich zuge-
deckt. Im Morgennebel waren wir dann
plötzlich von Polizisten und Forstleuten
eingekesselt.
„ WER ERNSTHAFT KLIMA UND
WALD SCHÜTZEN WILL, BRAUCHT
SICH NICHT ZU VERMUMMEN“
Greta Thunbergs
umstrittener
Auftritt im
Forst – neben
einer vermummten
Aktivistin
84 29.8.2019