Der Stern - 29.08.2019

(Tina Meador) #1

Rolf-Herbert Peters war oft im
Hambacher Forst und hat für den
stern berichtet. Während ihm die
Mahnwachen-Leiter von einem
„neuen Frieden“ vorschwärmten, beklagte ein
FOTO: OLIVER BERG/DPA Altaktivist „rücksichtslose Strukturen“


Wie sind die Räumungskräfte mit Ihnen
umgegangen?
Sie zerlegten in kurzer Zeit alles, auch das
schönste Haus, von Zimmerleuten auf
der Walz gebaut. Das hat sehr wehgetan.
Polizisten wurden mit einer Baggerschau-
fel zu uns herübergehievt. Aktivisten stan-
den unter der Schaufel und riefen: „Keine
Gewalt!“ Ein Polizist hat dann eine Spray-
dose gezogen und ihnen direkt in die
Augen gesprüht. Es gab aber auch freund-
liche, hilfsbereite Polizisten.
Und wie brutal waren Ihre Mitstreiter?
Polizisten wurden mit Zwillen und Fä-
kalien malträtiert.
So etwas habe ich nicht mitbekommen, ver-
urteile es vehement. Im November wech-
selte ich in die Mahnwache an der Landstra-
ße. Sie war von der Versammlungsbehörde
unter Auflagen genehmigt worden: keine
Drogen, kein Alkohol, keine Vermummung.
Die Vorschriften hingen aus. Viele hielten
sich nicht daran. Vor allem eine Gruppe,
die sich „Piraten“ nannte, akzeptierte keine
Regeln. Sie verkündeten, im Wald einen
Staat gründen zu wollen, plünderten die
Spendenschränke, nahmen sich, was sie
wollten: Schlafsäcke, Kleider, Geschirr,
Brot, Süßigkeiten, sie tranken Alkohol im
Mahn wachenzelt, rauchten Joints. Viele
Waldbewohner der ersten Stunde reisten
entnervt und enttäuscht ab, der große Rest
hielt feige Klappe. Solidarität, selbst mit
Gewalt tätern, ist im Hambi sakrosankt.
Die alte Redlichkeit ging verloren?
Ja. Einmal zerlegten Forstleute vom RWE
einige gefällte Fichten im Wald. Ich fragte
sie, warum sie das tun. Sie sagten, damit
wir sie nicht zum Bauen nutzen können.
Später erschien ein Video vom Hambi, The-
ma: RWE fällt Bäume! Aber das stimmte
nicht. Die Bäume waren nicht mit Ketten-
sägen gefällt worden, sondern von Wald-
bewohnern. So eine Verleumdung kann ich
doch nicht unterstützen!
Am Ende wurden Sie selbst Opfer.
Ja. Es war ein Sonntagnachmittag. Die
Mahnwache war voller Gäste. Ich bat einen
Typen namens Dave, der vermummt war,
die Maske abzulegen. Er weigerte sich. Ich
nahm mein Handy, um den Leiter der
Mahnwache anzurufen, und verließ dafür
das Zelt. Dave glaubte offenbar, ich hätte
ihn fotografiert und wolle ihn nun bei der
Polizei anschwärzen. Er griff zu einem
gespendeten Brot und schleuderte es auf
mich. Ich ging in meinen Mondeo, verrie-
gelte die Türen. Als ich die Nummer wähl-

te, krachte ein Fuß gegen meine Seiten-
scheibe. Dave riss am Türgriff und trat
wütend Beulen ins Blech: „Die mach ich
kaputt!“ Ich dachte nur, wenn die Scheibe
zerbirst, tritt der dir den Schädel ein. Es war
entsetzlich. Niemand half mir.
Wie konnten Sie fliehen?
Ich rief die Polizei in Kerpen an und bat um
Hilfe. Sie fragte, ob jemand mit Zwille da
sei, ich musste mit Ja antworten. Wir einig-
ten uns darauf, dass ich zu ihnen nach Ker-
pen komme. Ich fuhr los, stand völlig unter
Schock, konnte kaum lenken. Immer wie-
der klingelte mein Handy. Der Sanitäter
der Mahnwache. Er fragte nicht, ob er mir
helfen könne, sondern redete auf mich ein:
„Dreh um, das kannst du nicht machen, zur
Polizei fahren! Das regeln wir hier alles
unter uns.“ Telefonterror. Auch die Polizei
rief zweimal an und fragte, ob ich es wirk-
lich zu ihnen schaffe. Am nächsten Tag
hat Dave in einem neuen Wutanfall mein
Auto noch mal bearbeitet. Wirtschaftlicher
Totalschaden. Zwei Monate verfolgte mich
das Ereignis wie ein Trauma.
Warum half Ihnen niemand?
Im Hambi wurde nicht mal ein Kranken-
wagen gerufen, wenn jemand von nachts
bis nachmittags im Drogendelirium lag.
Wegen Wahrung der Anonymität. Außer-
dem hatten alle Schiss vor jeder Art Blau-
licht. Nach dem Autotreten bekam ich von
der Mahnwache Hausverbot, weil ich ge-
wagt hatte, die Polizei einzuschalten. Ich
habe meine Sachen zusammengepackt
und bin zurück in die Eifel. In der Folgezeit
habe ich noch einige Male Hambi besucht,
mir dabei die Kapuze tief ins Gesicht
gezogen. Schon zuvor wurde ich oft als
„Bullenschlampe“ oder „Kapitalisten fotze“
beschimpft. Jetzt hieß es, ich sei eine „Ge-
fährderin“. Ein „Agent Provocateur“ – als
wäre ich von RWE geschickt. Absurd.
Sie stehen trotzdem zum Ziel: „Hambi
bleibt“?
Ohne Wenn und Aber. Was bis zum Herbst
gelaufen ist, war absolut gut und sinnvoll
für das Klima. Ich würde es immer wieder
tun. Und auch immer wieder den mensch-
lichen Dialog mit Sicherheitsleuten und
der Polizei suchen. 2

29.8.2019 85
Free download pdf