Der Spiegel - 31.08.2019

(lily) #1
»Fridays For Future«

»Unterricht nachholen«


Heinz-Peter Meidinger, 64, Schulleiter in
Bayern und Präsident des Deutschen
Lehrerverbandes, über Demonstrationen
während der Unterrichtszeit

SPIEGEL: Herr Meidinger, auch im neuen
Schuljahr protestieren Schüler wieder
gegen den Klimawandel. Müssen sich Leh-
rer darauf vorbereiten, freitags dauerhaft
vor halb leeren Klassen zu unterrichten?
Meidinger:So dramatisch habe ich das
nicht erlebt. Halb leere Klassen mag es in
Ausnahmefällen gegeben haben, die Regel
ist das nicht. Bei den »Fridays for Future«-
Demos beobachte ich ohnehin ein starkes
Stadt-Land-Gefälle. Wenn in Berlin 10 000
junge Menschen demonstrieren, ist das
zunächst mal beeindruckend. In kleineren
Städten und auf dem Land finden die Schul -
streiks hingegen kaum statt – allein schon,
weil die nächste Demonstration unter Um -
ständen Dutzende Kilometer entfernt läuft.
SPIEGEL:Im Juli hat die Stadt Mannheim
Bußgelder gegen Demonstranten ver-

hängt, diese später aber wieder zurück -
genommen. Wie sollen sich Schulen
und Kommunen verhalten?
Meidinger:Ich würde von Bußgeldern
abraten. Sie können nur das letzte Mittel
sein. Sie wurden ja ursprünglich nicht
für Klimaaktivisten, sondern für dauer-
haften Schulabsentismus entwickelt.
An meiner Schule haben wir das so
gehandhabt: Wer erstmals zu einer Demo
geht und eine Schulstunde versäumt,
muss eine Diskussionsrunde zum Thema
Klimaschutz außerhalb der Unterrichts-
zeit organisieren. Bei mehrmaligem Feh-

len muss der Unterricht nachgeholt
werden.
SPIEGEL:Und das klappt?
Meidinger: In den meisten Fällen schon.
Ich erlebe im Übrigen, dass Schüler mit
ihren Fehlzeiten sehr rational kalkulieren.
Die wissen ganz genau, wann sie ohne
Nachteile eine Schulstunde verpassen
können. Die meisten gehen nicht auf jede
Demo, sondern nur alle drei oder vier
Wochen, wenn überhaupt. Vor einer Klas-
senarbeit zum Beispiel fehlt niemand. Die
sind nicht blöd.
SPIEGEL:Auch einige Lehrer möchten
sich für den Klimaschutz engagieren.
Dürfen sie bei den Demos mitmachen?
Meidinger:Ich kenne keine Fälle, in
denen Lehrkräfte selbst den Unterricht
geschwänzt hätten. An Deutschlands Schu-
len gilt das Neutralitätsgebot. Lehrkräfte
dürfen Schüler in ihrer politischen Mei-
nung nicht beeinflussen und sich während
der Dienstzeit nicht politisch betätigen.
Neulich hörte ich von einer Kunstlehrerin,
die mit ihrem Kurs Plakate für die
Demonstration entworfen hat – da ist dann
eine Grenze über schritten. OLB

Tempoverstöße

Zweifel an Blitzern


 Ein Urteil des saarländischen Ver -
fassungsgerichtshofs findet erste Nach -
ahmer in der Rechtsprechung. Dem-
nach sind Geschwindigkeitsmessungen
im Straßenverkehr nur dann gerichtlich
verwertbar, wenn die eingesetzten
Geräte die Rohmessdaten abspeichern
und sich damit das Ergebnis überprüfen
lässt. Das ist aber offenbar bei moder-
nen Lasergeräten nicht der Fall. So
urteilte das Amtsgericht Berlin-Tiergar-
ten im Fall eines Autofahrers, der statt
der erlaubten 60 km/h mit 88 km/h
unterwegs gewesen sein soll: Die fehlen-
de Prüfmöglichkeit verstoße »gegen das
Rechtsstaatsprinzip«. Das Amts gericht
Bautzen erklärte in mehreren Fällen
Messergebnisse für »unverwertbar«.
Das Amtsgericht Suhl zweifelt offenbar
auch daran, mittels Drucksensoren zu
messen, sofern keine Rohmessdaten
abgespeichert werden. Es hat dazu ein
Gutachten in Auftrag gegeben. HIP

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Neuverschuldung

CDU-Politiker stellen


schwarze Null infrage


 Angesichts der schwächelnden Kon-
junktur nehmen die ersten CDU-Politiker
Abstand von einer Politik ohne neue
Schulden. »Wir werden die schwarze Null
nicht mehr auf Dauer halten können«,
sagt CDU-Bundesvorstand Olav Gutting.
»Wir müssen viele Milliarden Euro in For-
schung und Entwicklung, in Infrastruktur
und in den Klimaschutz investieren.«
Außerdem seien dann »auch sinnvolle
Steuersenkungen und eine Korrektur des
Mittelstandsbuckels in der Einkommen-
steuer« möglich, so Gutting. Eine strenge
Haushaltspolitik war bislang ein Kern -
anliegen der Unionsparteien. »Natürlich
ist die schwarze Null die letzte ›Bastion‹
von CDU und CSU – aber wir können
uns trotzdem nicht daran festklammern«,


sagt Gutting, der auch im Vorstand der
Bundestagsfraktion und im Finanz -
ausschuss sitzt. Uwe Schummer, der Vor-
sitzende der Arbeitnehmergruppe der
Unionsfraktion, sagt: »Man spart nicht in
eine Rezession hinein.« Die Union müsse
»antizyklisch denken«, so der CDU-
Mann. »Wir brauchen einen aktiven
Staat.« CDU und CSU drohen nun partei-
interne Konflikte um das Thema Neu -
verschuldung. »Jeder, der sich da im
Moment aus der Union vorwagt, wird
zurückgepfiffen«, sagt Gutting. CDU-
Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer
verteidigte die schwarze Null jüngst als
»für uns unabdingbar«. Auch Karl-Josef
Laumann, Chef der Christlich-Demokra-
tischen Arbeitnehmerschaft, sagt: »Für
mich hat die schwarze Null Bestand.«
Der CSU-Politiker Peter Ramsauer
bezeichnet eine Politik ohne neue Schul-
den als »ein wichtiges identitätsstiftendes
Merkmal für die Union«. FLO, RAN

Außenpolitik

Waffen für die Emirate


 Die Bundesregierung erwägt, wieder
Waffenlieferungen an die Vereinigten
Arabischen Emirate zu genehmigen. Bis-
lang fiel das Golfemirat unter die soge-
nannte Jemen-Klausel des Koalitionsver-
trags. Union und SPD hatten sich darauf
geeinigt, keine Rüstungsgüter an Länder
zu liefern, die unmittelbar am Krieg im

Jemen beteiligt sind. Abu Dhabi hat sich
jedoch zuletzt von Saudi-Arabien, dem
Anführer der Kriegskoalition, distanziert.
Im Juli zogen die Emirate ihre Truppen
aus mehreren Gebieten im Jemen zurück,
was das Verhältnis zu Berlin verbesserte.
Außenminister Heiko Maas (SPD) be -
suchte die Emirate im Juni. Der emirati-
sche Staatsminister Sultan al-Jaber reiste
mehrmals nach Berlin und bat dabei
auch um neue Genehmigungen. CSC, MGB

STEPHAN RUMPF / PICTURE ALLIANCE / SZ PHOTO
Meidinger

MATTHIAS BALK / PICTURE ALLIANCE / DPA

Geschwindigkeitskontrolle
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