Frankfurter Allgemeine Zeitung - 30.08.2019

(Dana P.) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Wirtschaft FREITAG, 30. AUGUST 2019·NR. 201·SEITE 19


Herr Homann, der Ausbau der Erneuer-
baren ist ins Stocken geraten. Neue
Windräder an Land werden kaum noch
gebaut, dafür gehen bald die ersten al-
ten Anlagen aus der Förderung und
dann auch aus der Produktion heraus.
Ist das Ziel von 65 Prozent Ökostrom
bis 2030 überhaupt noch zu schaffen?


Auf jeden Fall muss dafür der Ausbau
kräftig beschleunigt werden. Deshalb hat
das Wirtschaftsministerium am 5. Sep-
tember zu einem Windkraft-Gipfel gela-
den, auf dem die Dinge angepackt wer-
den müssen. Nicht mit neuen Zielbe-
schreibungen, sondern ganz handfest. Da-
bei sind vor allem die Bundesländer ge-
fragt. Denn vieles, an dem es hakt, fällt
in ihre Hoheit.


Zum Beispiel?


Wer mehr Windkraft will, muss mehr
Flächen für Anlagenstandorte auswei-
sen. Und Abstandsregeln daraufhin über-
prüfen, ob nicht zu viel des Guten getan
wird. Beides sind Themen für die Landes-
politik. Der Naturschutz beansprucht
sein Recht, und, vielleicht am wichtigs-
ten, in der Bevölkerung wächst der Un-
mut über die vielen Windräder. Bürgerin-
itiativen und die Angst vor möglichen
Klagen halten die Verfahren auf. Das ist
für jeden Politiker, gerade auch in den
Kommunen, eine sehr komplizierte Ge-
mengelage. Auf Seiten des Bundes wird
auch über die sehr strengen Vorschriften
der Flugsicherung zu reden sein, die re-
gelmäßig zu Konflikten führen.


Umso größer ist der Ärger darüber, dass
die Netzagentur auch noch die Ober-
grenze für den Windkraftausbau in
Norddeutschland herabgesetzt hat.
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident
Daniel Günther wirft Ihnen vor, die Er-
neuerbaren auszubremsen.


Das ist eine Scheindiskussion, die von
den wirklichen Schwierigkeiten ablenkt.
Jeder weiß doch, dass der neue Deckel
überhaupt keine Wirkung entfalten wird.
Wir werden da zum Prügelknaben ge-
macht.


Das scheint Sie nicht sonderlich aufzu-
regen.


Nein. Die Rolle als Prügelknabe gehört
zu unserer Aufgabenbeschreibung. Aber
darüber sollte man bitte nicht vergessen,
dass es die Politik ist, die handeln muss.


Ministerpräsident Günther verlangt,
die regionalen Beschränkungen für
den Windkraftausbau einfach ganz zu
streichen. Das ist eine klare politische
Ansage.


Es gibt für die Beschränkungen, auch
wenn sie gegenwärtig keine Wirkungen
haben, eine gute Begründung: die man-
gelnden Netzkapazitäten, um den Wind-
strom auch abzutransportieren. Der Aus-


bau von Windkraft und Leitungen muss
Hand in Hand gehen. Sonst wird es für
die Stromkunden noch teurer, weil noch
mehr Windräder noch öfter gegen Ent-
schädigungszahlungen vom Netz genom-
men werden müssten. Mit der Streichung
der Beschränkung würde man das Signal
geben: Wir verzichten künftig wieder auf
eine Koordination von Windzubau und
Netzausbau.

Insgesamt wurden schon im ersten Quar-
tal fast 500 Millionen Euro fällig, um
die Sicherheit der Stromnetze zu ge-
währleisten, ein neuer Rekord für drei
Monate. Ist damit der Höhepunkt er-
reicht?
Angesichts der üblichen Schwankun-
gen lässt sich das nicht seriös vorhersa-
gen. Wir hatten nach den aktuellen Zah-
len im vorigen Jahr Systemsicherheitskos-
ten von 1,4 Milliarden Euro. In der Ten-
denz rechne ich mit einem weiteren An-
stieg. Zum einen wird es noch einige Jah-
re dauern, bis die benötigten Leitungen
fertiggestellt sind. Mit dem Zubau der Er-
neuerbaren werden deshalb zumindest
vorübergehend noch mehr Eingriffe in
den Kraftwerkspark notwendig werden.
Zusätzlich werden die neuen EU-Vor-
schriften für den grenzüberschreitenden
Stromhandel den Aufwand in die Höhe
treiben.

Warum das?
Die Regeln schreiben uns vor, dass wir
an den Grenzen von 2021 an mehr Kapa-
zität für den europäischen Stromhandel
bereithalten müssen. Diese steigt jähr-
lich an, bis Ende 2025 das vorgegebene
Zielniveau erreicht ist. Das wird das in-
nerdeutsche Netz weiter belasten und er-
fordert zusätzlichen Redispatch, also
Schutz vor Überlastung durch Kraft-
werksdrosselung. Da liegt ein Risiko für
noch mal deutlich steigende Kosten. Hier
gibt es nur einen Ausweg: Wir brauchen
neue Leitungen, um die Engpässe im
deutschen Netz zu beheben.

Von den geplanten neuen Höchstspan-
nungsleitungen ist erst ein Bruchteil ge-
baut. Werden die sogenannten Stromau-
tobahnen rechtzeitig in Betrieb sein?
Von den insgesamt erforderlichen
7700 Kilometern im Übertragungsnetz
sind aktuell rund 1100 Kilometer fertig-
gestellt. Den Fortschritt allein in gebau-
ten Kilometern zu messen vermittelt
aber ein schiefes Bild. Wichtig ist, dass
wir in den Planungs- und Genehmigungs-
verfahren aktuell gut vorankommen und
uns da im Rahmen der Terminvorgaben
bewegen. Insgesamt sind 4600 Kilometer
im Genehmigungsverfahren. Da ist eine
gewisse Zuversicht angebracht. Aber klar
ist, dass wir mit Hochdruck dranbleiben
müssen. Verzögerungen im Netzausbau
kosten die Stromkunden nicht nur sehr
viel Geld, sie erhöhen auch das Risiko für
die Versorgungssicherheit.

Zwei der vier Übertragungsnetzbetrei-
ber, nämlich Tennet und 50 Hertz, gehö-
ren ganz oder mehrheitlich ausländi-
schen Geldgebern: Tennet ist zu hundert
Prozent beim niederländischen Staat,
50 Hertz wird indirekt zu 80 Prozent
vom belgischen Staat kontrolliert. Hän-
gen der Netzausbau und damit der Er-
folg der deutschen Energiewende also
vom Wohlwollen und der Investitionsbe-
reitschaft unserer Nachbarländer ab?

Zunächst einmal haben auch Tennet
und 50 Hertz natürlich großes Interesse
am deutschen Netzausbau, weil sie daran
verdienen wollen. Und sie sind der Sicher-
heit der Stromversorgung verpflichtet
und werden von uns reguliert. Auf der an-
deren Seite sitzen die Aufsichtsräte nicht
in Deutschland und haben auch andere In-
teressen zu berücksichtigen. Und da gibt
es auch mal Anzeichen dafür, dass bei der
Bereitstellung von Finanzierungen nicht
allein im Interesse der deutschen Energie-
wende gehandelt wird. Da wird sehr ge-
nau geprüft, wie viel Kapital nach
Deutschland fließt.

Sollte Datteln IV, das fast fertige neue
Kraftwerk von Uniper, noch ans Netz
gehen?
Die ältesten und schmutzigsten Kraft-
werke zuerst stillzulegen hätte für den
Klimaschutz eine gewisse Logik. Wir prü-
fen allerdings nur die Folgen für die Netz-
stabilität.

Im Juni war vorübergehend zu wenig
Strom im Netz, Regelenergie wurde

knapp. Wie dicht waren wir am Black-
out?
Ein Blackout war nicht zu befürchten.
Gleichwohl war die Lage ernst.

Haben Sie die Ursachen inzwischen er-
mittelt?
Es gibt darüber bisher nur Mutmaßun-
gen, unsere Untersuchung ist noch nicht
abgeschlossen. Waren es tatsächlich Feh-
ler in der Wetterprognose? Haben die Bi-
lanzkreisverantwortlichen in riskanter
Weise spekuliert, so dass kurzfristig
nicht genügend Regelenergie bereit-
stand? Das Ausmaß der angeblichen
Fehlprognosen war jedenfalls auffällig
groß.

Wann rechnen Sie mit Ergebnissen?
Jedenfalls noch nicht zur nächsten Sit-
zung unseres Beirates. Viel wichtiger ist,
dass die Netzbetreiber nun mehr Regel-
energie vorhalten und diesen Bedarf situa-
tionsabhängig anpassen, um Risiken für
die Versorgungssicherheit zukünftig zu mi-
nimieren. Außerdem haben wir ein Maß-
nahmenpaket auf den Weg gebracht. Ge-

fährliche Unterdeckungen der Bilanzkrei-
se sollen sich nicht lohnen. Vorgänge wie
im Juni dürfen sich nicht wiederholen.

Springen wir zum neuen Mobilfunkstan-
dard 5G. Die Konzerne wollen ihre Net-
ze bauen, aber warten noch auf die Zu-
teilung der Frequenzen aus der Aukti-
on. Warum dauert das so lange?
Das Ergebnis der Auktion bestimmt,
wer welche Menge Spektrum erhält – je-
doch nicht, wer an welcher Stelle im Fre-
quenzband liegt. Die vier Teilnehmer
hatten deswegen Gelegenheit, sich über
eine Aufteilung zu verständigen. Weil
eine vollständige Einigung nicht erzielt
wurde, hatten wir über die Zuordnung
zu entscheiden. Dann gab es haushalts-
rechtliche Fragen, denn die Zahlungs-
frist läuft noch bis in den September.
Das ist jetzt ebenfalls geklärt. Auf An-
trag der Unternehmen können die Fre-
quenzen jetzt also jeweils zeitnah zuge-
teilt werden. Und um das auch klarzu-
stellen: Die angeblich so späte Zutei-
lung der Frequenzen wird den Bau der
Netze nicht um einen Tag verzögern.

Vielleicht aber die Sicherheitsvorgaben
für die Netzwerkausrüster, die man zum
Bauen benötigt. Es fehlten immer noch
die neuen Kriterien, die wegen des
Streits um Huawei kommen sollten.
Wie steht es damit?
Wir haben dazu im Frühjahr – vor der
Auktion – Eckpunkte veröffentlicht. Die
Unternehmen wissen also, was wir pla-
nen. Es geht dabei nicht speziell um Hua-
wei. Die Sicherheitsbedingungen, die
wir zusammen mit dem BSI festlegen,
gelten für jeden Anbieter und alle techni-
schen Komponenten, egal ob aus Schwe-
den, Finnland oder Asien. Im Herbst wol-
len wir die Anforderungen veröffentli-
chen.

Der Neuling 1&1 Drillisch braucht eine
Vereinbarung zum nationalen Roaming,
bevor er loslegen kann. Mussten Sie da-
bei schon als Schlichter heran?
Erfreulicherweise geht das bislang
ohne uns. Wir haben jedenfalls noch kei-
nen Hilferuf bekommen. Und ich hoffe
auch sehr, dass die Verhandlungen bald
zum Erfolg führen. Ich erwarte, dass die
Unternehmen alles tun, um zu kommer-
ziellen Lösungen zu kommen. Die Bun-
desnetzagentur steht zwar als Schieds-
richterin bereit. Die Unternehmen soll-
ten aber nicht vorschnell den Weg zum
Regulierer suchen, ohne ernsthaft ver-
handelt zu haben. Ein Einschalten des
Regulierers muss die Ausnahme sein. Je
schneller ein viertes Netz entsteht, desto
besser für die Verbraucher und den Wett-
bewerb.

Trotz der Versorgungsauflagen aus der
Auktion will die Bundesregierung nun
auch noch eine staatliche Infrastruktur-
gesellschaft aufbauen, damit die Funklö-
cher auf dem Land schneller verschwin-
den. Wird das helfen?
Die Politik wird ja zu diesem Schluss
gekommen sein, sonst würde sie das
nicht diskutieren. Andererseits weiß ich
aus eigener Erfahrung, wie lange es dau-
ert, eine Behörde oder eine neue staatli-
che Gesellschaft aufzubauen. Da stellt
sich dann schon auch die Frage, ob das
die ideale Lösung ist, wenn man den Bür-
gern schnelle Verbesserungen in der Mo-
bilfunkversorgung liefern möchte.
Das Gespräch führteHelmut Bünder.

dc.BERLIN, 29. August. Die Tariflöhne
der Arbeitnehmer in Deutschland sind in
diesem Frühjahr ungewöhnlich kräftig ge-
stiegen. Im Durchschnitt lagen sie im
zweiten Quartal 2019 um 3,8 Prozent hö-
her als ein Jahr zuvor, wie das Statistische
Bundesamt am Donnerstag mitteilte. Seit
2010 hatten die Statistiker nur einmal ei-
nen ähnlich starken Anstieg im Vergleich
mit einem Vorjahresquartal gemessen. In
die Messung fließen in diesem Fall neben
den laufenden Monatslöhnen auch tarifli-
che Sonderzahlungen ein. Die Steigerung
der tariflichen Monatslöhne ohne die Son-
derzahlungen lag in diesem Frühjahr bei
2,9 Prozent. Dies ist der siebtstärkste An-
stieg seit 2010 in einem solchen Quartals-
vergleich.
Die angesichts der schwächelnden Kon-
junktur überraschend hohen Werte las-
sen sich allerdings teilweise durch Sonder-
effekte im öffentlichen Dienst erklären.
Für diesen Bereich ermittelten die Statisti-
ker diesmal sogar Tariflohnsteigerungen
von 5,3 Prozent einschließlich der Sonder-
zahlungen. Demgegenüber betrugen die
gemessenen Zuwachsraten im verarbei-
tenden Gewerbe, also in den Kernberei-
chen der Industrie, wie auch im Handel
um weniger als 2 Prozent. Das Baugewer-
be bewegte sich hingegen mit plus 4,6 Pro-
zent ebenfalls im oberen Tabellenfeld.
Die hohen Steigerungen im öffentli-
chen Dienst haben indes auch den Grund,
dass dort in diesem Frühjahr gleich mehre-
re Entwicklungen zusammentrafen: Für
die mehr als zwei Millionen Beschäftigten
von Bund und Kommunen trat im April
die zweite Stufe ihres Tarifabschlusses aus
dem Frühjahr 2018 in Kraft, und zwar in
Höhe von 3,1 Prozent. Da die erste Stufe
von 3,2 Prozent erst nach dem zweiten
Quartal 2018 ausgezahlt worden war, wirk-
te sich aber nun auch sie noch auf die aktu-
elle Steigerungsrate aus. Zudem flossen
Nachzahlungen aus dem jüngsten Tarifab-
schluss für die eine Million Landesbediens-
teten in den aktuellen Quartalswert ein.
Ähnlich hohe Steigerungsraten ermittel-
ten die Statistiker daneben auch in Bran-
chen, in denen sich die Tarifpolitik häufig
am öffentlichen Dienst orientiert. Das gilt
etwa für die Wasser- und Entsorgungswirt-
schaft, wo die Tarifverdienste um 6,4 Pro-
zent stiegen. Im Bereich „Kunst, Unterhal-
tung und Erholung“, zu dem etwa Biblio-
theken, Museen und Zoos zählen, stiegen
die Tarifverdienste sogar um 6,5 Prozent.

sibi.FRANKFURT, 29. August. Die Infla-
tion in Deutschland ist im August gefal-
len. Wie das Statistische Bundesamt in
Wiesbaden am Donnerstag aufgrund vor-
läufiger Daten berichtete, legten die Ver-
braucherpreise um 1,4 Prozent im Ver-
gleich zum Vorjahreszeitraum zu. Im Juni
und Juli hatte die Teuerung noch 1,6 bezie-
hungsweise 1,7 Prozent betragen. Dämp-
fend wirkten die Energiepreise, die nur
noch um 0,6 Prozent stiegen. Unter ande-
rem war im August der Ölpreis gefallen
auf zuletzt rund 60 Dollar je Barrel (Fass
zu 159 Liter) für die Nordseesorte Brent.
Auch Benzin war billiger geworden. Mehr
mussten Verbraucher dagegen für Nah-
rungsmittel zahlen. Die Inflation im ge-
samten Euroraum wird im Moment wegen
möglicher neuer Schritte der Europäi-
schen Zentralbank aufmerksam verfolgt.

bee. FRANKFURT, 29. August. Die
schwächelnde Wirtschaft in Deutschland
macht sich allmählich auf dem Arbeits-
markt bemerkbar. So stieg die Zahl der
Arbeitslosen im August um 44 000 auf
2,319 Millionen, wie die Bundesagentur
für Arbeit (BA) am Donnerstag mitteilte.
Ein Zuwachs ist in der Sommerzeit zwar
üblich, er fiel dieses Jahr jedoch unge-
wöhnlich kräftig aus. Und: Schon zum
dritten Mal in diesem Jahr gab es selbst
unter Herausrechnung jahreszeitlich be-
dingter Schwankungen einen Anstieg –
wenn auch im August nur minimal um


  1. Die Arbeitslosenquote stieg um 0,
    Prozentpunkte auf 5,1 Prozent. „Die kon-
    junkturelle Schwächephase hinterlässt
    am Arbeitsmarkt leichte Spuren, insge-
    samt zeigt er sich aber robust“, sagte der
    Vorstandsvorsitzende Detlef Scheele.
    Die Rekordjagd der vergangenen Jahre
    mit stets sinkenden Arbeitslosenzahlen
    scheint also zumindest vorläufig zum Er-
    liegen zu kommen. Das bedeutet bislang
    allerdings nicht, dass sich die Lage am Ar-
    beitsmarkt verschlechtert, wie jüngst die
    Bundesbank konstatierte: „Sie ist viel-
    mehr nach wie vor ausgesprochen gut.“
    Bundesarbeitsminister Hubertus Heil
    (SPD) teilte am Donnerstage ebenfalls
    mit, der Arbeitsmarkt bleibe „stark“.
    Das zeigt sich auch daran, dass
    Deutschland weiter Stellen aufbaut, sogar
    im verarbeitenden Gewerbe, zu dem etwa
    die chemische Industrie, der Maschinen-
    bau und die schwächelnde Autoindustrie
    zählen. Die Zahl der sozialversicherungs-
    pflichtig Beschäftigten in der Industrie
    stieg nach Angaben der BA im Juni im
    Vergleich zum Vorjahr um 69 000. Der Be-
    schäftigungszuwachs hat jedoch deutlich
    an Schwung verloren, wie Zahlen des Sta-
    tistischen Bundesamtes zeigen. So gab es
    im Juli in Deutschland knapp 45,3 Millio-
    nen Erwerbstätige, 374 000 oder 0,8 Pro-


zent mehr als ein Jahr zuvor. Im Dezem-
ber hatte die Veränderungsrate gegen-
über dem Vorjahr noch 1,2 Prozent betra-
gen, im Mai 1 Prozent. Vor allem Auslän-
der, Frauen und ältere Menschen tragen
zum Anstieg bei. Auch der Bedarf der Un-
ternehmen an Fachkräften bleibt weiter
hoch: Zuletzt waren allein der BA rund
800 000 offene Stellen gemeldet, tatsäch-
lich dürften es noch deutlich mehr sein.
Die Aussichten für die kommenden
Monate sind zwar nicht rosig, aber auch
nicht dramatisch. Die lokalen Arbeits-
agenturen rechnen einem Frühindikator
des Instituts für Arbeitsmarkt- und Be-
rufsforschung zufolge damit, dass die Ar-
beitslosenzahlen saisonbereinigt steigen
werden, die Beschäftigung aber ebenfalls
weiter wächst. An den zuletzt viel beach-
teten Zahlen zur Kurzarbeit lässt sich bis-
lang jedoch keine Krise ablesen. Im Juni

wurde nach vorläufigen Daten der BA an
45 000 Arbeitnehmer konjunkturelles
Kurzarbeitergeld gezahlt, das in wirt-
schaftlichen Schwächephasen Entlassun-
gen verhindern soll. BA-Chef Scheele er-
innerte am Donnerstag daran, dass es
vor Ausbruch der Finanzkrise im Jahres-
durchschnitt um die 100 000 gewesen sei-
en. Im Krisenjahr 2009 kletterte die Zahl
sogar auf fast 1,5 Millionen. Arbeitsminis-
ter Heil betonte, Deutschland sei auf
„den klar absehbaren langfristigen Struk-
turwandel“ ebenso vorbereitet wie auf
die schwer einzuschätzenden, kurzfristi-
gen weltwirtschaftlichen Risiken durch
den Brexit und den Handelsstreit zwi-
schen China und den Vereinigten Staa-
ten. Dafür habe man die nötigen Instru-
mente und die entsprechenden finanziel-
len Rücklagen bei der BA.(Eine Frau für
alle Fälle, Seite 22.)

Die Rekordjagd neigt sich dem Ende zu


Zahl der Arbeitslosen steigt leicht – zugleich baut Deutschland weiter Stellen auf


Jochen Homann Foto dpa

Inflation in Deutschland


sinkt auf 1,4 Prozent


ami.BERLIN,29. August. Im Jahr 2023
will der Bergbaukonzern Leag den Be-
trieb des Braunkohletagebaus Jänschwal-
de bei Cottbus einstellen. Doch statt in
vier Jahren könnte das jetzt schon in
drei Tagen passieren. Denn vom 1. Sep-
tember an verfügt die Leag mit großer
Wahrscheinlichkeit nicht mehr über ei-
nen gültigen Hauptbetriebsplan – falls
ein anderes Gericht ihr nicht noch eine
Atempause verschafft. Die nüchterne
Entscheidung der Richter birgt politi-
schen Sprengstoff: Am Sonntag wird in
Brandenburg und Sachsen gewählt. Die
Zukunft der Kohlereviere und die der
dort Beschäftigten sind herausragende
Wahlkampfthemen.
Die Stilllegung des Tagebaus folgt aus
einer Entscheidung des Oberverwal-
tungsgerichts Berlin-Brandenburg vom
Donnerstag (Az. OVG 11 S 51.19). Des-
sen 11. Senat hat den Beschluss des Ver-
waltungsgerichts Cottbus vom 27. Juni
bestätigt, mit dem dieses einem Eilan-
trag der Deutschen Umwelthilfe stattge-
geben hatte. Die Umwelthilfe hatte sich
gegen die Zulassung des Hauptbetriebs-
plans für den Tagebau Jänschwalde für
das Jahr 2019 mit Wirkung vom 1. Sep-
tember 2019 an gerichtet.
Die Cottbusser Richter der ersten
Instanz hatten beanstandet, dass eine
ausreichende Umweltverträglichkeitsprü-
fung für den Tagebau fehle. Diese hätte
die Leag bis zum 31. August beibringen
müssen. Das Unternehmen sieht sich je-
doch nicht in der Lage, die Frist einzuhal-
ten, und hatte deshalb am Mittwoch eine
Fristverlängerung bis Mitte oder Ende
November beantragt. Über diese Verlän-
gerung sei noch nicht entschieden, sagte
ein Sprecher des Verwaltungsgerichts
der Deutschen Presse-Agentur am Don-
nerstag. Nach Lage der Dinge wäre diese
Verlängerung die letzte Chance der


Leag, einen vorzeitigen Abbaggerstopp
zu vermeiden.
Nach Darstellung der Leag hatte sie
die erforderlichen Unterlagen bei den Be-
hörden eingereicht. Diese hätten aber
festgestellt, dass – auch wegen des ge-
richtlich ausgeweiteten erheblichen Un-
tersuchungs- und Prüfumfanges – die
Zeit für eine sachgerechte und sorgfälti-
ge Untersuchung und Prüfung zu knapp
sei. Die zurückliegenden vier Wochen
Prüfzeit hätten zudem gezeigt, dass die
von der Leag eingereichten Unterlagen
durch weitere Angaben zu ergänzen sei-
en. Hat der Beschluss Bestand, dürfte sie
nur noch notwendige zeitweilige Siche-
rungsarbeiten in der Grube ausführen,
etwa zur Stabilisierung der Böschung
oder der Sicherung des Grundwassers.
Der Hauptbetriebsplan hätte ohne
eine Prüfung der Verträglichkeit der tage-
baubedingten Grundwasserabsenkung
mit den Schutzzielen der umliegenden,
Moor- und Feuchtgebiete umfassenden
Natura-2000-Gebiete nicht zugelassen
werden dürfen, urteilten die Berliner
Richter. Nur auf der Grundlage könne
ein Verstoß gegen das Verbot einer Beein-
trächtigung der Schutzziele der betroffe-
nen Natura-2000-Gebiete sicher ausge-
schlossen werden. Auch habe die Leag
Zeit gehabt, sich auf den Stopp am 1. Sep-
tember einzustellen.
Die Deutsche Umwelthilfe hieß die Ent-
scheidung der Richter gut. Sie hätten de-
ren Einwände gegen die Genehmigung
des Tagebaus vollumfänglich bestätigt.
Der Beschluss dürfte kurzfristig keine
energiewirtschaftlichen Folgen, etwa auf
die Versorgungssicherheit mit Strom, ha-
ben, da das Kraftwerk Jänschwalde auch
aus anderen Tagebauen mit Brennmateri-
al beliefert werden kann. Allerdings dürf-
ten damit die Erzeugungskosten steigen,
der Betrieb unwirtschaftlicher werden.

Gericht schließt Braunkohlegrube


In Jänschwalde sollen ab Sonntag die Bagger stillstehen


Im Gespräch: Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur


41

43

39

1) Umstellung der Statistik im Juli 2010: Die geförderten Stellen des zweiten Arbeitsmarktes sind nicht mehr enthalten. 2) Veränderung in Prozentpunkten.
3) 55 Jahre und älter. 4) Unter 25 Jahre. 5) Länger als ein Jahr arbeitslos. Quelle: Bundesagentur für Arbeit / F.A.Z.-Grafik Niebel

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2,

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J F M A M J J A S O N D J

080910 13 15 16 18 1917141211

Ältere Arbeitslose3)
Junge Arbeitslose4)
Langzeitarbeitslose5)

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1,
0,

5,
4,
6,

20201515

2017

2016


  • 0,

  • 0,
    ±0,


496 000
243 000
724 000


  • 202

  • 2 660

  • 83 000


in Millionen

in Deutschland

Deutschland
West
Ost

Arbeitslose

Arbeitslose

Quote
in Prozent

Veränderung
zum Vorjahr2)

zum Vorjahr

Veränderung

091 0 11 13 18 191716151412

Arbeitslose in Millionen Offene gemeldete Stellen

Erwerbstätige in Millionen

Die Zahl der Arbeitslosen steigt

200 000

400 000

600 000

800 000

757950008000 1)1)

20201818
2,
(August 2019)

2,
(August 2019)

45,
(Juli 2019)

„Die sichere Stromversorgung wird teurer werden“


chs.PARIS, 29. August. Die Franzosen
versuchen den Streit mit den Vereinigten
Staaten über die französische Digitalsteu-
er weiter zu entschärfen. Wie der franzö-
sische Finanzminister Bruno Le Maire
am Donnerstag ankündigte, werde Frank-
reich mit den Vereinigten Staaten und
der OECD eine Arbeitsgruppe gründen,
um rasch eine internationale Lösung zu
finden. „Wir wollen die technischen Ar-
beiten beschleunigen, damit im ersten
Halbjahr 2020 eine internationale Eini-
gung auf Ebene der OECD möglich ist“,
sagte Le Maire. Die OECD solle bis Ende
dieses Jahres einen „formellen Vor-
schlag“ vorlegen. Die Vereinigten Staa-
ten sind über die seit diesem Jahr greifen-
de Digitalsteuer Frankreichs sehr erbost,
weil sie weitgehend amerikanische Digi-
talkonzerne trifft, und hatten mit einer
Steuer auf französischen Wein gedroht.
Daraufhin kündigte Präsident Emmanu-
el Macron auf dem G-7-Gipfel in Biarritz
an, dass Frankreich die französische Digi-
talsteuer in jenem Umfang den betroffe-
nen Unternehmen zurückerstatten will,
der über die noch zu findende internatio-
nale Steuer hinausgehe. Le Maire fügte
jetzt hinzu, dass Frankreich die Rücker-
stattung auch dann schon beginnen wer-
de, „wenn eine internationale Regelung
noch nicht von allen OECD-Mitgliedern
ratifiziert wurde“. Sollte 2020 eine inter-
nationale Einigung erzielt werden – von
einer Gruppe von Staaten, deren Um-
fang von Frankreich noch nicht definiert
wurde –, dann würde der französische
Fiskus die für 2019 eingegangenen Zah-
lungen teilweise erstatten.
Die französische Digitalsteuer trifft
rund 30 speziell als „Digitalunterneh-
men“ definierte Konzerne, die mindes-
tens einen Umsatz von 25 Millionen
Euro digitalen Umsatz in Frankreich und
750 Millionen Euro auf der Welt erzie-
len. Der Steuersatz beträgt 3 Prozent.

Paris will Streit über die


Digitalsteuer entschärfen


Öffentlicher Dienst


lässt Tarifverdienste


kräftig steigen


Deutschlands oberster


Regulierer für Strom


über die stockende


Energiewende und


die Abhängigkeit


von ausländischen


Investoren.

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