Frankfurter Allgemeine Zeitung - 30.08.2019

(Dana P.) #1

SEITE 20·FREITAG, 30. AUGUST 2019·NR. 201 Wirtschaft FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


pwe.TOKIO, 29. August. Die südkoreani-
sche Regierung will sich mit einer drasti-
schen Ausweitung der Staatsverschuldung
dem schwachen Wirtschaftswachstum ent-
gegenstemmen. Nach dem Etatentwurf
für das kommende Jahr sollen die Staats-
ausgaben im kommenden Jahr auf den Re-
kord von 513,5 Billionen Won (380 Milliar-
den Euro) steigen. Das sind 8 Prozent
mehr als zuvor, wenn der schon für dieses
Jahr beschlossene Zusatzhaushalt einbe-
rechnet wird. Die Neuverschuldung soll
netto von etwa 2 Prozent des Bruttoin-
landsprodukts – wie für 2019 erwartet –
2020 auf 3,6 Prozent des BIP klettern. Hö-
her lag das Haushaltsdefizit zuletzt wäh-
rend der globalen Finanz- und Wirtschafts-
krise 2008/2009. Der linksliberale Präsi-
dent Moon Jae-in bleibt damit seiner wirt-
schaftspolitischen Linie treu, den Einfluss
des Staats in Asiens viertgrößter Wirt-
schaft zu vergrößern. Im vergangenen
Jahr hatte Moon die Staatsausgaben in
ähnlichem Ausmaß steigen lassen.
Die Regierung rechtfertigt den schul-
denfinanzierten Ausgabenschub mit der
deutlichen Eintrübung der Konjunktur.
Die Zentralbank des stark vom Außen-
handel abhängigen Landes hatte die
Wachstumsaussichten für dieses Jahr zu-
letzt von 2,5 auf 2,2 Prozent herabge-
setzt. Nicht wenige privatwirtschaftliche
Prognostiker sehen die Wachstumsrate
aber schon bis auf 1,4 Prozent fallen. Fi-
nanzminister Hong Nam-ki verwies auf
Risiken für die Konjunktur, weil die Inves-
titionen der Unternehmen und der Ex-
port weiter schleppend verliefen. Die Re-
gierung betont auch Unsicherheiten
durch die verschärften Exportkontrollen,
die Japan eingeführt hat. Südkoreas Un-
ternehmen leiden unter der wirtschaftli-
chen Abschwächung in China und in der
Welt. Die Opposition und viele kleine
Unternehmen kritisieren, dass Moon mit
drastischen Erhöhungen des Mindest-
lohns viele niedrig bezahlte Beschäftigte
in die Arbeitslosigkeit getrieben habe.
Die Zentralbank hatte den Leitzins im

Juli überraschend von 1,75 auf 1,5 Pro-
zent gesenkt und damit eine Zinswende
eingeleitet. Die Zentralbank wird an die-
sem Freitag abermals über die Geldpoli-
tik beraten. Eine weitere Zinssenkung

wird aber erst für den Oktober erwartet.
Zur Finanzierung der Staatsausgaben
will die Regierung im kommenden Jahr
Staatsanleihen im Rekordwert von 60,
Billionen Won ausgeben. Im vergange-
nen Jahr waren es 33 Billionen Won.

MORGEN IN

BERUF UND CHANCE

Kostenloses Probeabo
069 7591-3359, http://www.faz.net/probeabo

ANZEIGE

loe.BERLIN, 29. August. Noch ist das
Engagement der deutschen Wirtschaft in
Afrika überschaubar. Nur rund ein Pro-
zent der deutschen Direktinvestitionen
im Ausland fließen bislang auf den Konti-
nent, Stand April 2019 waren es nach An-
gaben der Bundesbank rund 9 Milliarden
Euro. Andere europäische Länder wie
Frankreich und Großbritannien sind dies-
bezüglich deutlich aktiver. Nicht zu ver-
gessen China, das seine Investitionen in
Afrika zuletzt stark ausgebaut hat.
Doch die Einstellung in der deutschen
Wirtschaft wandelt sich, wie eine neue
Führungskräfteumfrage im Rahmen des
Elite-Panels des Instituts für Demoskopie
in Allensbach zeigt. In Auftrag gegeben
hat die Befragung die auf Afrika fokussier-
te Initiative Global Perspectives. Dem-
nach halten es 67 Prozent der Befragten
aus Politik und Wirtschaft für sehr wich-
tig, weitere 29 Prozent für wichtig, dass
sich Afrika gut entwickelt – nicht zuletzt
aus eigenem Interesse. Die in Afrika akti-
ven Manager sind überzeugt, dass Europa
auf lange Sicht mit einer enormen Zuwan-
derung konfrontiert sein wird, wenn es in
Afrika keine großen Wachstumsregionen
gibt. Hinzu kommt: „Das Engagement Chi-
nas, aber auch das anderer Staaten wie der
Türkei, Indien, der Vereinigten Staaten
und Brasilien haben sicherlich dazu beige-
tragen, dass die deutsche Wirtschaft ein
gesteigertes Interesse am Kontinent hat“,
sagt Ingrid Hamm, Mitgründerin von Glo-
bal Perspectives.
Das größte Wachstumspotential schrei-
ben die Führungskräfte Ländern wie Gha-
na, Äthiopien und Senegal zu. Südafrika
und Nigeria werden schon als etablierte
Volkswirtschaften gesehen. Als wichtigs-
te Wachstumsbranchen gelten die Bau-
wirtschaft, die Landwirtschaft, die Ener-
giebranche und die medizinische Versor-
gung. Doch die Umfrage unter mehr als
500 Entscheidern zeigt auch, dass es in
der Wirtschaft noch mehr Skeptiker als in
der Politik gibt. Während zwei Drittel der
befragten Politiker sagen, dass die Chan-
cen in Afrika überwiegen, sieht die Mehr-
zahl der Manager derzeit trotz aller öko-
nomischen Chancen noch mehr die Risi-
ken: Korruption, politische Instabilitäten
und Rechtsunsicherheit. „Die Unterneh-
men betonen, dass man vor Ort die Bedin-
gungen erleben muss und auch kontinuier-
lich die Entwicklung in den verschiede-
nen afrikanischen Staaten beobachten
muss, um Entscheidungen über wirt-
schaftliche Aktivitäten in Afrika zu tref-
fen“, sagt Renate Köcher, Geschäftsführe-
rin des Instituts für Demoskopie Allens-
bach (IfD).
Was die Korruption betrifft, gilt nicht
so sehr die Privatwirtschaft als Problem,
sondern der Umgang mit staatlichen Stel-
len. Und dass andere Länder – allen voran
China – sich der Korruption weniger ent-
schlossen entgegenstellen. „Für mehr In-
vestitionen deutscher Unternehmen benö-
tigt die Industrie bessere wirtschaftliche
Rahmenbedingungen in Afrika“, sagt Ste-
fan Mair, Mitglied der Geschäftsführung
im Industrieverband BDI. Amerikanische
Unternehmen würden gezielt von ihrer Re-
gierung unterstützt, indem die Zahlung
von Entwicklungshilfe daran gekoppelt
werde, dass die Unternehmen Infrastruk-
turprojekte durchführen könnten.

Gestern Anzug, heute Kleid
Wer als Mann geboren wurde und sich
als Frau fühlt oder umgekehrt, hat es
im Beruf nicht immer leicht.

Ein Pate fürs Studium
Wer aus dem Ausland an die Uni
kommt, hat oft jede Menge Fragen.
Buddy-Programme können helfen.

mfe.FRANKFURT, 29. August. Der Ei-
serne Steg in Frankfurt ist eine romanti-
sche Fußgängerbrücke über den Main.
Hier flanieren Einheimische und Touris-
ten aus aller Welt, das Geländer ist ge-
spickt mit Liebesschlössern. Bei Volksfes-
ten dagegen geht es auf dem Steg weni-
ger friedlich zu, weil Kriminelle die en-
gen Treppenaufgänge und das Gedränge
für Taschendiebstähle und sexuelle Beläs-
tigung ausnutzen. Während des Muse-
umsuferfests Ende August hat die Frank-
furter Polizei daher extra eine Kamera in-
stalliert, um den Brennpunkt im Rahmen
der gesetzlichen Möglichkeiten per Vi-
deo zu überwachen.
Das hellgraue Gerät hing in drei Meter
Höhe an einem Laternenpfahl an der
Südseite der Brücke, wo man es leicht für
einen Teil der Beleuchtung hätte halten
können, wäre da nicht das blau-weiße
Schild des Polizeipräsidiums Frankfurt
am Main mit dem Hinweis gewesen: „Die-
ser Bereich wird videoüberwacht.“ Das
Polizeipräsidium setzt das Gerät laut ei-
nem Sprecher seit 2018 punktuell ein
und nutzt daneben weitere Kameras. Ein
weiterer Grund für die Überwachung des
Stegs war nach Angaben des Polizeispre-
chers die bei Volksfesten und großen
Menschenansammlungen steigende Ge-
fahr extremistischer und islamistischer
Gewalttaten.
Hersteller der Kameras ist das chinesi-
sche Unternehmen Hikvision, das ausge-
feilte Überwachungstechnik in alle Welt
liefert und 2018 auch in Frankfurt ein
Büro eröffnet hat. Von dort soll der
deutschsprachige Markt im wahrsten
Sinn des Wortes ins Visier genommen
werden. Hikvision bezeichnet sich als glo-
balen Marktführer. Es handelt sich um
keinen asiatischen Billiganbieter, son-
dern um einen in der Sicherheitsbranche
anerkannten Pionier. Auch Laien be-
kannt wurde das Unternehmen, weil
durch ein Datenleck aufflog, wie engma-
schig China unter anderem mit Hilfe von
Hikvision-Technik die vorwiegend musli-


mische Bevölkerung in seiner Provinz
Xinjiang überwacht (F.A.Z. vom 20. Fe-
bruar 2019). China begründet das damit,
Terroristen zu bekämpfen. Amerikas Prä-
sident Donald Trump kritisierte die Über-
wachung als Menschenrechtsverletzung
und will amerikanischen Unternehmen
verbieten, Hikvision zu beliefern. Ameri-
kanischen Behörden ist es seit 2018 ver-
boten, Überwachungstechnik und Diens-
te von chinesischen Unternehmen wie
Hikvision einzukaufen. Das soll Spiona-
ge verhindern.
Von der Eroberung des Weltmarkts
hält das den an der Technologiebörse in
Shenzhen notierten Überwachungsspe-
zialisten jedoch nicht ab. Auch die Frank-
furter Verkehrsgesellschaft VGF hat an
ausgewählten Haltestellen 31 Notruf-
und Informationssäulen mit Hikvision-
Kameras installiert. In 17 davon sind die
Kameras nach Angaben eines VGF-Spre-
chers integriert, bei den anderen befin-
den sich die Kameras in der Nähe, etwa
unter der Decke oder in der Wartehalle.

Sie schalten sich allerdings nur ein, wenn
Fahrgäste oder Passanten den Alarm akti-
vieren. Laut VGF handelt es sich um ein
abgeschottetes Netz, dessen Daten nicht
öffentlich zugänglich seien. Zudem wür-
den die hessischen Bestimmungen zum
Datenschutz eingehalten. Die Entschei-
dung für Hikvision als Lieferant sei im
Rahmen einer öffentlichen Ausschrei-
bung gefallen, bei der es um technische
Anforderungen ging.
Die Technik war auch bei der Anschaf-
fung durch die Frankfurter Polizei ent-
scheidend. „Das Polizeipräsidium Frank-
furt am Main setzt unterschiedliche Ka-
meramodelle der Firma Hikvision ein“,
wie ein Sprecher der Behörde der F.A.Z.
sagte. Die Geräte seien von einer Arbeits-
gruppe der hessischen Polizei empfohlen
worden und könnten von allen Dienststel-
len in Hessen angeschafft werden. Die
Aufnahmen vom Museumsuferfest am Ei-
sernen Steg wurden verschlüsselt direkt
ins Präsidium übertragen und nur dort
im Rahmen der gesetzlichen Regeln und

Fristen gespeichert. Nicht nur in Frank-
furt kommt Hikvision-Technik zum Ein-
satz. Das Bundesinnenministerium setzt
ebenfalls Kameras des chinesischen Her-
stellers zur Überwachung seines Gelän-
des ein, wie eine parlamentarische Anfra-
ge des FDP-Politikers Konstantin Kuhle
kürzlich ergab.
Auch das im November 2018 eröffnete
Firmenparkhaus des Versandhändlers
Otto in Hamburg ist mit Hikvision-Kame-
ras ausgestattet. Sie helfen dabei, Mitar-
beiter ohne Zeitverlust automatisch auf
freie Plätze zu lotsen. Laut einem Unter-
nehmenssprecher zeichnen die Parkhaus-
kameras jedoch keine Bilder von Perso-
nen, Fahrzeugen oder Nummernschil-
dern auf. Sie seien auf den Asphalt gerich-
tet und könnten mit ihrer schwachen Auf-
lösung von nur 1,3 Megapixeln lediglich
erkennen, welche Parkplätze frei oder be-
setzt seien. Auch werden die Kamerada-
ten laut Otto nicht gespeichert. Ethische
Vorbehalte spielten bei der Wahl des An-
bieters offenbar keine Rolle. Das Mitar-
beiterparkhaus ausgerüstet hat der Sicher-
heitsspezialist Videte IT aus Neumünster,
mit dem Otto schon seit 2010 zusammen-
arbeitet. Videte IT hat die Hikvision-Gerä-
te bei einem Großhändler bestellt. „Hikvi-
sion bietet ein breites und innovatives Pro-
duktprogramm“, sagt Tobias Bauer, Ge-
schäftsführer von Videte IT. Dabei stün-
den Preis und Leistung in einem guten
Verhältnis.
Neben den harmlosen Asphaltspähern
im Otto-Parkhaus hat Hikvision jedoch
auch intensivere Überwachungstechnik
im Angebot. Die südafrikanische Metro-
pole Kapstadt etwa hat die Straße zu
dem wohlhabenden Vorort Sea Point mit
Hikvision-Kameras ausgestattet, die ge-
zielt Nummernschilder erkennen. Laut ei-
ner Projektreferenz auf der Unterneh-
menswebsite sei die Kriminalität in dem
südafrikanischen Vorort dank der Über-
wachung um fast zwei Drittel gesunken.
Vorher sei die Gegend regelmäßig von
Einbrechern heimgesucht worden, die
mit dem Auto anrückten.

DJIBOUTI/FRANKFURT, 29. August.
Eine Schönheit ist der staubige Flecken
in Ostafrika nicht gerade. Für den franzö-
sischen Dichter Arthur Rimbaud, der
sich am Horn von Afrika zeitweilig als
Waffenhändler verdingte, war Djibouti
nur „diese hässliche Kolonie“. Im Reise-
führer steht, dass hier früher einmal ein
Teil von „Planet der Affen“ gedreht wur-
de. Und ein djiboutisches Sprichwort lau-
tet: „Bevor er dieses Land durchquert,
macht selbst der Schakal sein Testa-
ment.“ Es ist sehr heiß und trocken. Im
Schatten kauern ein paar junge Männer
und kauen die Volksdroge Kat. Gleichgül-
tig blicken sie auf einen französischen Mi-
litärkonvoi, der vorbeidonnert und Staub
aufwirbelt.
Über dem Golf von Tadjourah rattern
derweil amerikanische Hubschrauber in
Richtung ihrer Basis Camp Lemonnier in
der Nähe des Internationalen Flugha-
fens. Derzeit sind rund 4000 amerikani-
sche Soldaten hier stationiert. Djibouti
mit weniger als einer Million Einwohner
ist Basis für etliche Militärlager. Bundes-
wehrsoldaten starten von hier aus ihre
Aufklärungsflüge im Kampf gegen die Pi-
raterie. Als Kaserne dient ihnen das She-
raton Hotel. Italiener und Japaner haben
hier ihre Stützpunkte, sogar die Saudis
planen einen. Auch die ehemalige Kolo-
nialmacht Frankreich ist weiter präsent.
Mit dem größten Selbstbewusstsein
aber treten die Chinesen auf. Sie unter-
halten mittlerweile in Djibouti eine eige-
ne Marinebasis, ihre erste in Afrika. Und
sie bauen in Afrika wie die Weltmeister.
Vor kurzem stellten sie die 750 Kilome-
ter lange Bahnverbindung von Djibouti
zur äthiopischen Hauptstadt Addis Abe-
ba fertig – für 3 Milliarden Dollar. Mit Dji-
boutis Präsident Ismail Omar Guelleh er-
öffneten sie im vergangenen Jahr eine
Sonderwirtschaftszone, die 4800 Hektar
groß werden und deren Bau rund 3,5 Mil-
liarden Dollar kosten soll. Das werde
„das Eingangstor für ganz Afrika!“, jubel-
te Guelleh bei der Einweihung.
Die strategische Lage ist herausra-
gend. Rund 20 000 Schiffe passieren je-
des Jahr den Golf von Aden. 90 Prozent
des Handelsvolumens zwischen Afrika,
Asien und Europa, ein Drittel des globa-
len Seehandels müssen durch ein sieben
Kilometer breites Nadelöhr namens Bab
al-Mandab geschleust werden. In Djibou-
ti häufen sich mittlerweile aber auch Zwi-
schenfälle zwischen den beiden Super-
mächten Amerika und China. Die Ge-
heimdienst-Direktorin des U.S. Africa
Command, Heidi Berg, klagte neulich,
Chinesen hätten versucht, sich heimlich
Zugang zu Camp Lemonnier zu verschaf-
fen. Zudem habe Peking in Djibouti Droh-
nen stationiert, die Luftoperationen stö-
ren könnten. An die hundert Militärmis-
sionen in 20 Ländern Afrikas unterhal-


ten die Amerikaner – doch seit einiger
Zeit beobachten sie mit Sorge die ver-
stärkten Ambitionen Chinas auf dem
Kontinent.
Auch den wirtschaftlichen Vormarsch
der Chinesen beargwöhnt Washington
zusehends. Noch vor gut einem Jahr-
zehnt waren die Vereinigten Staaten der
größte Handelspartner, doch dann zogen
die Chinesen an ihnen vorbei. Der chine-
sisch-afrikanische Handel ist mit etwa
170 Milliarden Dollar Volumen inzwi-
schen dreimal so groß wie der amerika-
nisch-afrikanische. Beispielsweise ver-
kauft der Konzern Transsion aus Shenz-
hen in Afrika millionenfach seine billi-
gen Smartphones der Marken Tecno und
Itel, mehr als Samsung. Auch Transsion
produziert mittlerweile in Äthiopien.
China wiederum hat afrikanischen
Ländern seit dem Jahr 2013 fast 90 Milli-
arden Dollar Kredite gegeben, rechnen
die Forscher der China Africa Reserach
Initiative von der Johns Hopkins Univer-
sity vor. Andere Ökonomen meinen, das
verdeckte Kreditvolumen sei noch viel
größer. Die Chinesen haben damit große
Infrastrukturprojekte in Afrika verwirk-
licht: Hunderte Kilometer Bahnlinien in
Äthiopien und Kenia, in Nigeria und
Uganda, große Hafenanlagen (jüngst
wurde etwa in der Walfischbucht in Nami-
bia ein Containerhafen eröffnet), Flughä-
fen, Brücken, Kraftwerke, Fabriken. Auf
fast allen großen Baustellen sind chinesi-

sche Konzerne aktiv. Die Konzerne Hua-
wei und ZTE haben in mehr als 30 Län-
dern Afrikas Telekommunikationsnetze
errichtet. Insgesamt 10 000 chinesische
Unternehmen sollen in ganz Afrika aktiv
sein.
Wie stark sich die Gewichte verschie-
ben, zeigen die Daten zu ausländischen
Direktinvestitionen von Unctad, einer Be-
hörde Vereinten Nationen. Innerhalb
von zehn Jahren hat sich der Bestand chi-
nesischer Direktinvestitionen in Afrika
verzehnfacht, auf 43 Milliarden Dollar
nach den jüngsten Zahlen von 2017.
Noch liegen Frankreich, Amerika und
Großbritannien mit 60 Milliarden Dol-
lar, 50 Milliarden Dollar und 46 Milliar-
den Dollar davor, doch stagnieren oder
schrumpfen ihre Investitionsbestände in
Afrika. Deutsche kommen nur auf 10 Mil-
liarden Euro. Die Volksrepublik könnte
sich bald an die Spitze der Auslandsinves-
toren in Afrika schieben. China hat be-
sonders viel im rohstoffreichen Kongo in-
vestiert, fast 4 Milliarden Dollar. Auch in
Algerien, Äthiopien, Sambia, Kenia und
Tansania haben chinesische Investoren
geklotzt. Ostafrika soll der südliche End-
punkt des Pekinger Megaprojekts „Neue
Seidenstraße“ werden.
Auf dem China-Afrika-Gipfeltreffen
in Peking hat Präsident Xi Jinping vor
knapp einem Jahr weitere 60 Milliarden
Dollar an Investitionen, Krediten und Hil-
fen versprochen. Wobei die „Hilfe“ natür-
lich nicht uneigennützig gemeint ist, ge-

nauso wenig wie die rund 10 Milliarden
Dollar Entwicklungshilfe, die aus Wa-
shington jährlich nach Afrika fließen.
Der Vormarsch der Chinesen hat – mit
einiger Zeitverzögerung – eine Reaktion
aus den Vereinigten Staaten hervorgeru-
fen. Präsident Donald Trumps Sicher-
heitsberater John Bolton warnte im De-
zember 2018 in einer Rede: „Große
machtpolitische Wettbewerber, nament-
lich China und Russland, sind dabei, ih-
ren finanziellen und politischen Einfluss
über Afrika zu erweitern.“ Die Chinesen
nutzten Schmiergelder und dubiose Ab-
kommen, um ganze Regierungen gefügig
und Länder zur Beute zu machen; Staa-
ten wie Sambia treibe Peking in eine
Schuldenfalle und übernehme dort wich-
tige Unternehmen. Dem wolle man et-
was entgegensetzen. Die Antwort darauf
soll eine neue Initiative namens „Prosper
Africa“ sein, ein Wirtschaftsförderplan.
Allerdings blieb es bei der vagen Ankün-
digung.
Erst sieben Monate nach Boltons Rede
wurde es etwas konkreter. Die stellvertre-
tende Handelsministerin Karen Dunn
Kelley präsentierte auf dem US-Africa
Business Summit in Maputo, der Haupt-
stadt von Moçambique, Mitte Juni einige
Details. Im Wesentlichen wird es aber
darauf hinauslaufen, dass die amerikani-
schen Behörden und Initiativen für Ent-
wicklungshilfe und Handelskooperation
besser zusammenarbeiten sollen, um
amerikanischen Unternehmen zu helfen,

in Afrika Fuß zu fassen, zu investieren
und zu handeln. Judd Devermont, Afri-
ka-Direktor beim Center for Strategic
and International Studies in Washington,
ist nur mäßig beeindruckt. „Wenn man
mal vom verbalen Getöse absieht, ist das
ein Koordinierungsmechanismus – eine
notwendige, aber ungenügende Reform“,
findet er.
Bezeichnend ist, dass Washington nur
eine stellvertretende Ministerin nach Ma-
puto schickte, die zu einem Dutzend afri-
kanischen Staats- und Regierungschefs,
Dutzenden Ministern und insgesamt tau-
send Konferenzbesuchern sprach. Wäh-
rend in Peking der Präsident persönlich
die afrikanischen Herrscher empfängt,
schickt Amerika nur die zweite Politiker-
reihe. Immerhin gab es noch während
der Konferenz in Maputo ein großes In-
vestitionsprojekt zu verkünden: Der texa-
nische Ölkonzern Anadarko will für 25
Milliarden Dollar ein Gasfeld vor der
Küste Moçambiques erschließen – „die
größte ausländische Direktinvestition in
der Geschichte des Landes“, freute sich
Präsident Filipe Nyusi. Zehntausende Ar-
beitsplätze sollen damit geschaffen wer-
den. „Mit diesem Projekt werden Bauern-
kinder später Ärzte, die Kinder von Berg-
arbeitern Anwälte“, hofft Präsident Nyu-
si.
Insgesamt war Afrikas wirtschaftliche
Entwicklung aber enttäuschend schwach
in den vergangenen Jahren. Der Titel „Lö-
wen auf dem Sprung“, den einst die Bera-
ter von McKinsey erfanden, um das Po-
tential zu rühmen, ist verblasst. Nach 15
Jahren mit kräftigen Wachstumsraten
bremste 2016 der Rückgang der Rohstoff-
preise die Konjunktur abrupt ab. Seitdem
blieb das Wirtschaftswachstum mickrig:
nur knapp 3 Prozent im Durchschnitt für
Subsahara-Afrika. Kaum mehr als das Be-
völkerungswachstum von 2,7 Prozent,
das eine Zunahme um fast 30 Millionen
Menschen je Jahr bringt. Je Kopf verbes-
serte sich die Lage also kaum auf dem
Kontinent.
Und dennoch: Afrika hat riesiges Po-
tential. Da sind zum einen die gewaltigen
Bodenschätze, zum anderen die wachsen-
de Bevölkerung des Kontinents, die sich
bis 2050 auf 2,5 Milliarden verdoppeln
soll. Das bietet potentiell einen riesigen
Absatzmarkt. Und auch die geopolitisch-
militärische Bedeutung Afrikas nimmt
klar zu. Das zeigen auch die diplomati-
schen Offensiven vieler Staaten. Seit
2010 wurden mehr als 300 neue Botschaf-
ten und Konsulate in afrikanischen Län-
dern eröffnet. China ist überall präsent;
in jüngerer Zeit haben aber auch die Tür-
kei und Japan neue Auslandsvertretun-
gen eröffnet. Und die Türkei baut mit ih-
rer Religionsbehörde Diyanet Moscheen.
In Djibuti hat sie gerade die größte Mo-
schee Ostafrikas fertiggestellt.
Viele afrikanische Autokraten neh-
men gerne das Geld, das ihnen Peking
und andere bieten. Aber nicht alle Projek-
te stoßen auf Gegenliebe. Die chinesi-
schen Pläne für einen Megahafen mit
Sonderwirtschaftszone im tansanischen
Bagamoyo für 10 Milliarden Dollar hat
Tansanias Präsident John Magufuli in die-
sem Sommer gestoppt. Chinas Bedingun-
gen – eine Einnahmegarantie für 33 Jah-
re und 99 Jahre Pachtvertrag – seien so
hart, dass „nur Verrückte sie akzeptieren
könnten“, schimpfte Magufuli. So lasse
man sich nicht ausbeuten.

Interesse deutscher


Führungskräfte an


Afrika wächst


Überwachungstechnik aus China filmt in Frankfurt


Das umstrittene Tech-Unternehmen Hikvision erobert auch Deutschland


Der Wettlauf um Afrika gewinnt an Tempo


Mitten in Afrika:Ein von Chinesen errichteter Gewerbepark in Djibouti Foto Picture Alliance

Südkorea macht kräftig Schulden


Asiens viertgrößte Wirtschaft kämpft gegen den Abschwung


Mit Gärtner auf der Blumeninsel
Marin Müller hat schon viel gesehen
auf der Welt. Die Botanik auf der
Mainau findet er aber einzigartig.

Alles unter Kontrolle:Bewegliche Überwachungsanlage in Frankfurt Foto Mark Fehr

China investiert viele


Milliarden Dollar in Afrika.


Das beunruhigt Washington


zusehends. Doch Amerikas


Gegenoffensive bleibt


seltsam schwach.


Von Thilo Thielke


und Philip Plickert

Free download pdf