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FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Immobilien FREITAG, 30. AUGUST 2019
BERLIN,29. August
D
as Parkhaus als Logistikimmobi-
lie? Was absurd klingt, wird in
Stuttgart ganz konkret auspro-
biert. In der Parkgarage Zeppelin-Carrée
dient ein Teil des Parkraums in den frü-
hen Morgenstunden als Umschlagplatz,
wo Pakete auf Lastenfahrräder verteilt
werden. Das vom Bundesverkehrsminis-
terium geförderte Projekt trägt nach Wor-
ten des Parlamentarischen Staatssekre-
tärs Steffen Bilger nicht nur dazu bei,
Parkhäuser optimal auszulasten, sondern
ist auch „ein beeindruckendes Beispiel
moderner City-Logistik“.
Solche Beispiele wünschen sich die
Kommunen dringend. Denn wer im Zen-
trum einer größeren deutschen Stadt
wohnt, kennt zur Genüge die Probleme,
die mit dem boomenden Online-Handel
verbunden sind: Zustellfahrzeuge parken
in zweiter Reihe und behindern so den
Verkehr; überforderte Zusteller hasten
mit Bergen von Paketen durch die Stra-
ßen; und viele Empfänger warten vergeb-
lich auf die angekündigte Sendung. In Zu-
kunft wird sich das Problem der soge-
nannten letzten Meile sogar noch ver-
schärfen: Laut einer Analyse der Unter-
nehmensberatungsgesellschaft Oliver
Wyman wird sich die Zahl der ausgelie-
ferten Pakete bis zum Jahr 2028 bundes-
weit fast verdreifachen.
Gefordert durch diese Entwicklung ist
auch die Immobilienwirtschaft. Durch
den zunehmenden E-Commerce ergebe
sich ein „Bedarf an zusätzlichen Räum-
lichkeiten für die Distribution, die bei
dem ohnehin bestehenden Flächenman-
gel in den urbanen Zentren nicht ohne
weiteres bereitgestellt werden können“,
stellt Sabine Barthauer fest, Mitglied des
Vorstands des Immobilienfinanzierers
Deutsche Hypo. „Hier sind innovative Lö-
sungen gefragt.“
Eine dieser innovativen Lösungen ist
das eingangs erwähnte Projekt Park up in
Stuttgart, das vom Parkhausanbieter Ap-
coa, dem Fraunhofer-Institut für Arbeits-
wirtschaft und Organisation IAO sowie
weiteren Partnern getragen wird. „Als
Apcoa beschäftigen wir uns mit inner-
städtischer Logistik, weil wir uns nicht
mehr nur als Parkraumbewirtschafter ver-
stehen, sondern auch als Mobilitätsanbie-
ter“, begründet Niels Christ, Director Di-
gital Sales & Alliances, das Engagement
seines Unternehmens. Ziel ist es nach sei-
nen Worten, das Projekt auf andere Groß-
städte in Deutschland und dem übrigen
Europa – zunächst auf Berlin – zu über-
tragen. Ganz einfach dürfte das aller-
dings nicht sein. Für Lastenfahrräder mit
ihrem engen Wendekreis reiche der Platz
in den Parkhäusern zwar aus, sagt Christ.
„Falls aber zukünftig elektrifizierte Last-
kraftwagen zur Anlieferung in die Park-
häuser einfahren sollten, müssten ge-
meinsam mit unseren Logistikpartnern
neue Lösungen gesucht werden.“
Bei einem weiteren vom Bund geför-
derten Modellvorhaben in Berlin haben
die Verantwortlichen großer Zustell-
dienste auf dem Areal einer Straßen-
bahn-Wendeschleife im Stadtteil Prenz-
lauer Berg mehrere Container aufge-
stellt. Diese dienen ebenfalls als Mikrode-
pots, von denen aus Lastenräder die letz-
te Meile bedienen. Das Besondere daran
ist, dass dafür gleich fünf konkurrierende
Anbieter (darunter DHL, Hermes und
DPD) kooperieren. Genau daran kranke
es ansonsten, kritisiert Kuno Neumeier,
Geschäftsführer des auf Logistikimmobi-
lien spezialisierten Beratungsunterneh-
mens Logivest. Er wünscht sich inner-
städtische Mikrodepots, in denen End-
kunden die bestellten Waren abholen
können. „Dafür“, stellt Neumeier fest,
„müssten aber die konkurrierenden Pa-
ketdienstleister zusammenarbeiten, was
bislang leider nicht der Fall ist.“
Trotz der seit Jahren laufenden Dis-
kussion über die Bedeutung der letzten
Meile für die Immobilienwirtschaft
kann Neumeier nach eigenen Worten
nicht erkennen, „dass sich innerstädti-
sche Logistikimmobilien als eigene As-
setklasse etabliert haben“. Einen wichti-
gen Grund dafür sieht der Fachmann dar-
in, dass in den Innenstädten kaum Flä-
chen für Logistik zur Verfügung stehen,
da für die wenigen freien Grundstücke
andere Nutzungen eine höhere Rendite
versprechen. „Die Topmieten, die für in-
nerstädtische Logistikflächen aktuell ge-
zahlt werden, liegen oft unter dem, was
Nutzungsalternativen wie Büro oder
Wohnen an Mieterträgen erzielen kön-
nen“, erläutert Neumeier.
Konsequenterweise richtet sich der
Blick verstärkt auf schlecht ausgelastete
Bestandsimmobilien. Das können neben
Parkhäusern auch Einkaufszentren und
Kaufhäuser sein, die wegen des Online-
Handels unter wachsendem Leerstand
leiden. Ihre Nutzung für Logistikzwecke
nennt Neumeier einen „sehr interes-
santen Ansatz“. Konkrete Beispiele da-
für haben allerdings noch Seltenheits-
wert. Mit Spannung verfolgen Branchen-
kreise deshalb das 2018 vereinbarte
Gemeinschaftsunternehmen zwischen
der Kaufhauskette Karstadt und dem
Logistikanbieter Fiege, bei dessen Be-
kanntgabe Karstadt-Chef Stephan Fan-
derl die Karstadt-Filialen als „Logistik-
standorte“ bezeichnete.
Etwas häufiger finden sich innovative
Projekte an Standorten, die sich zwar
nicht in der Innenstadt, aber auch nicht
auf der grünen Wiese befinden. „In stadt-
nahen Gewerbegebieten gibt es ver-
mehrt Ansätze, zweistöckige, befahrbare
Logistikimmobilien zu bauen“, konsta-
tiert Logivest-Chef Neumeier. Ein Bei-
spiel dafür ist eine Lagerhalle, die der
Projektentwickler Segro in München-
Daglfing für Amazon errichtet hat. Auch
andernorts prüfe Segro diese Möglich-
keit, sagt Tim Rosenbohm, Director of
Light Industrial des britischen Industrie-
immobilien-Konzerns. „Weil damit aller-
dings extreme bauliche Anforderungen
und entsprechend hohe Baukosten ver-
bunden sind, kommt eine solche Lösung
nur für besondere Standorte in Frage.“
Ähnlich sieht das der Entwickler P3
Logistic Parks. „Vertikale Lösungen wer-
den vor allem in dichtbesiedelten Räu-
men wie München oder dem Rhein-
Ruhr-Gebiet künftig eine immer größere
Rolle spielen“, lässt sich Sönke Kewitz,
Geschäftsführer von P3 Deutschland, zi-
tieren. Tatsächlich nimmt die entspre-
chende Entwicklung allmählich Fahrt
auf: Garbe Industrial Real Estate bei-
spielsweise sucht passende Standorte für
ein Produkt, das auf zwei Ebenen Logis-
tik- mit Gewerbenutzungen kombiniert.
Und Four Parx, ein anderer Entwickler
von Logistikimmobilien, hat angekün-
digt, an drei Standorten in deutschen Bal-
lungszentren zweistöckige Lagerhallen
bauen zu wollen. In Hamburg steht nach
Unternehmensangaben die Erteilung der
Baugenehmigung kurz bevor. Für das Ob-
jekt gebe es bereits eine Vielzahl von
Mietinteressenten, sagt Marcus Jung-
heim, Geschäftsführender Gesellschaf-
ter der Four Parx GmbH. Für die Flächen
kalkuliere das Unternehmen „mit Mie-
ten wie auf dem Büromarkt“ – und der
Markt nehme das an.
Allerdings können Logistik- und Immo-
bilienbranche allein nach Überzeugung
von Logivest-Chef Neumeier das Pro-
blem der letzten Meile nicht lösen. In der
Pflicht seien vielmehr auch die Online-
Käufer. Jedenfalls hofft Neumeier, „dass
die Endkunden endlich akzeptieren, dass
der Erstversand und die Retouren nicht
mehr umsonst sein können. Das würde
die Retourenquote und damit den Waren-
tourismus deutlich verringern und so
dazu beitragen, die Verkehrsprobleme in
den Innenstädten zu lösen.“
I
st es plausibel, dass es in Deutschland
bald negative Bauzinsen geben wird?
Wenn man sieht, wie die Bauzinsen in letz-
ter Zeit gesunken sind, würde man bei ei-
ner Verlängerung der Kurve sehr bald im
Negativen landen. Bis runter zu 0,03 Pro-
zent für Baudarlehen auf zehn Jahre unter
ganz speziellen Umständen sind die Zin-
sen schon gesunken. Allerdings ist das si-
cherlich kein kontinuierlicher Prozess, die
erste Bank mit negativen Bauzinsen müss-
te schon noch mal bewusst eine geschäfts-
politische Entscheidung treffen. Für die
Wahrscheinlichkeit von negativen Bauzin-
sen könnte man auch anführen, dass es so
etwas in Dänemark schon gegeben hat. Al-
lerdings gibt es in Dänemark, anders als
hierzulande, häufiger Baudarlehen mit va-
riablen Zinsen, die an einen Referenzzins-
satz gekoppelt sind und so mit diesem ins
Minus rutschen können. In Deutschland
passiert das nicht so automatisch. Eine
Bank müsste sich entscheiden, im Wettbe-
werb mit anderen Instituten um interes-
sierte Darlehensnehmer aktiv einen nega-
tiven Zinssatz anzubieten.
Warum sollte sie das tun? Warum sollte
sie jemandem Geld dafür schenken, dass
sie ihm für einige Zeit Geld leihen darf?
Aus Marketinggründen, wäre eine Mög-
lichkeit, so wie Internetplattformen das
von Zeit zu Zeit mit Ratenkrediten zu Ne-
gativzinsen zu tun pflegen. Ein anderer,
fundamentalerer Grund wäre: Wenn die
Banken mit Einlagen überrannt werden,
für die sie nichts zahlen müssen oder so-
gar ein Verwahrentgelt bekommen, selbst
aber für Einlagen bei der Notenbank im-
mer höhere Negativzinsen entrichten müs-
sen – dann könnte irgendwann der Punkt
kommen, an dem es sich für sie lohnt, sehr
risikoarme Baukredite mit sehr wenig Ver-
waltungsaufwand mit einem kleinen Nega-
tivzins auszuleihen. Das wäre eine Zäsur.
Neben Pflegeimmobilien errichten Sie
inzwischen auch Schulen in Deutsch-
land – gibt es da inhaltliche Verbindun-
gen?
Tatsächlich hat Hemsö mehr als zehn
Jahre Erfahrung mit Schulen. In Schwe-
den und Finnland gehören uns mehr als
100 Bildungsimmobilien. Nur in Deutsch-
land sind wir damit noch ganz am An-
fang. Bildungs- und Pflegeimmobilien ha-
ben durchaus einige Gemeinsamkeiten,
etwa dass die Erträge im Wesentlichen
aus der öffentlichen Hand kommen. Zu-
dem sind beides Betreiberimmobilien,
weshalb die Restwertentwicklung der Im-
mobilien ganz anders ist als zum Beispiel
bei Wohn- oder Büroimmobilien. In mei-
nen Augen die wichtigste Gemeinsam-
keit ist jedoch die starke Abhängigkeit
der Bedarfszahlen beider Immobilienseg-
mente von der Demographie. Diese Zah-
len lassen sich leicht ermitteln, sie sind
berechenbar und vorhersehbar. Es gibt
weniger Überraschungen, mehr Planbar-
keit. Auch wenn sich die Politik noch im-
mer damit schwertut, das in tatsächliche
Planungen umzusetzen.
Können Sie den Bau von Schulen besser
und billiger als der Staat?
Es ist ja normalerweise nicht der
Staat, der Schulen baut, sondern es sind
die Gemeinden. Ihnen gegenüber hat
Hemsö den großen Vorteil, dass wir viel
mehr Expertise haben. Das betrifft nicht
nur unsere Immobilien- und Projektent-
wicklungsexpertise allgemein, sondern
auch ganz spezifisch den Bau von Schu-
len. Eine durchschnittliche Stadt baut
vielleicht eine Schule in zwanzig Jahren.
Hemsö baut in vier bis fünf Jahren zwan-
zig Schulen. Dadurch haben wir
Knowhow und Erfahrungswissen, das
Kommunen einfach nicht haben können.
In Schweden haben wir zudem interes-
sante Modelle für Zwischen- und Parallel-
nutzungen der Schulgebäude entwickelt,
etwa in den Ferien oder für Abendschu-
len. Davon könnten auch deutsche Kom-
munen profitieren.
Gibt es Chancen auf Synergien, wenn
Bau und Verwaltung eines Gebäudes in
einer Hand liegen?
Das ergibt sich vor allem aus der An-
gleichung der Interessen. Wenn derjeni-
ge, der ein Gebäude errichtet, es anschlie-
ßend auch verwaltet, hat er Interesse dar-
an, möglichst solide zu bauen. In Schwe-
den ist Hemsö bei allen Schulneubauten
für die Projektentwicklung ebenso wie
für die anschließende Instandhaltung zu-
ständig. Somit übernehmen wir von An-
fang an langfristig Verantwortung. Aus
Mietersicht ist das optimal, wenn derjeni-
ge, der die Standards und die Qualität am
Bau festlegt, auch für die Instandhaltung
geradestehen muss. Denn alles, woran er
beim Bau spart, muss er hinterher selbst
ausbaden.
Es gibt negative Beispiele dafür, dass
der Staat viel Geld verliert, wenn er den
Bau und die Verwaltung von Schulen an
Privatunternehmen auslagert. Was ant-
worten Sie den Kritikern darauf?
Vorweg muss ich sagen, dass in der
Vergangenheit in vielen Fällen die Kri-
tik berechtigt war. Da haben einige Un-
ternehmen intransparente Modelle ent-
wickelt, die für die öffentliche Hand nur
schwer durchschaubar waren. Die Lö-
sung dafür ist komplette Transparenz.
In Zossen beispielsweise, wo Hemsö ak-
tuell zusammen mit der Gemeinde eine
Schule baut, haben wir alle Pläne, alle
Geldflüsse und die ganze Organisation
offengelegt. Die Stadt Zossen ist Mitei-
gentümer der Immobilie und hat da-
durch Zugriff auf alle Unterlagen. Zu-
dem verdient Hemsö mit der Projektent-
wicklung nichts. Wir haben keine Vor-
abprovision oder ähnliches erhalten,
wir bekommen keine Margen, während
die Schule errichtet wird. Geld, in Form
von Miete, fließt erst in unsere Rich-
tung, wenn das Gebäude fertig ist und
genutzt wird. Dabei sind wir weiterhin
nur Miteigentümer, zusammen mit der
Gemeinde. Das Risiko liegt also bei
Hemsö genauso wie bei der Gemeinde.
Dementsprechend haben wir genau das-
selbe Interesse wie die Zossener: dass
die Baukosten im Rahmen bleiben, der
Bau pünktlich und in hoher Qualität fer-
tiggestellt wird und der Schulbetrieb rei-
bungslos laufen kann. Das Zauberwort
ist echte Partnerschaft: Hemsö und die
Stadt Zossen sind als gemeinsame Ei-
gentümer Partner auf Augenhöhe. Das
ist in meinen Augen das Modell der Zu-
kunft.
Die Fragen stellteMichael Psotta
Negative Bauzinsen
Von Christian Siedenbiedel
Aus der Wohnungspolitik der
DDR nichts gelernt?Seite I 3
Der anhaltende Boom
des Online-Handels
setzt Zustelldienste und
die Immobilienbranche
unter Druck. Gefragt
sind neue Lösungen für
die letzte Meile. Ideen
gibt es durchaus.
Von
Christian Hunziker
Vier Fragen an:Jens Nagel, Immobilieninvestor Hemsö
Wenn es in den Städten immer enger wird
Herausforderung für die Immobilienbranche:Schlechte Logistik sorgt für Verkehrshindernisse. Foto Stefanie Silber
„Schulen können wir besser bauen“
Über die Auslagerung des Baus und der Verwaltung von Schulen an Privatunternehmen