Frankfurter Allgemeine Zeitung - 30.08.2019

(Dana P.) #1

SEITE 4·FREITAG, 30. AUGUST 2019·NR. 201 Politik FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


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BERLIN, 29. August. Jahrelang strit-
ten Juristen darüber, ob Lehrerinnen
in Deutschland mit Kopftuch unter-
richten dürfen. Jetzt geht es um Mäd-
chen, die von ihrenEltern mit Kopftü-
chern in die Schulen geschickt werden.
In Österreich wurde im Mai ein Kopf-
tuchverbot für Grundschülerinnen ver-
abschiedet. Auch in Deutschland wird
ernsthaft darüber nachgedacht. Insbe-
sondere in der Union gibt es viel Sym-
pathie für diese Idee. Nach einer Um-
frage hat sich auch die Mehrheit der Be-
völkerung dafür ausgesprochen. Die In-
tegrationsbeauftragte der Bundesregie-
rung, Annette Widmann-Mauz (CDU),
kündigte im Frühsommer an zu prüfen,
ob ein Verbot überhaupt rechtmäßig
wäre.
Terre des Femmes ist der Bundesre-
gierung nun zuvorgekommen. Am Mitt-
woch stellte die Frauenrechtsorganisati-
on das Rechtsgutachten des Tübinger
Verfassungsrechtlers Martin Nettes-
heim vor. Er vertritt die Auffassung,
dass ein Kopftuchverbot an Schulen für
Mädchen unter 14 Jahren mit dem
Grundgesetz im Einklang steht. In dem
42 Seiten langen Gutachten, das dieser
Zeitung vorliegt, erläutert Nettesheim,
dass es zu kurz gegriffen sei, in einem
Verbot stets einen Eingriff in eine indi-
viduelle Freiheit zu sehen. Manchmal
seien Beschränkungen erforderlich, um
die Entwicklung zu einem freien und
selbstbestimmten Leben zu ermögli-
chen. Auf das Kopftuch bezogen, lautet
also die entscheidende Fragestellung,
ob erst durch ein Verbot an Schulen die
Erziehung zur Freiheit möglich wird.
Nettesheim sieht das so. Der grund-
gesetzliche Erziehungs- und Bildungs-
auftrag umfasse nicht nur die Abwehr
von Beeinträchtigungen des Schulfrie-
dens, argumentiert er. Die Aufgabe von
staatlichen Schulen sei es, Schüler an
ein selbstbestimmtes Leben in Autono-
mie heranzuführen. Es gehe nicht dar-
um, die religiöse Orientierung im El-
ternhaus zurückzudrängen. „Erziehung
zur Freiheit“ bedeute aber, „Entwick-
lungswege offenzuhalten, eine Reflexi-
on über den eigenen Lebensweg zu er-
möglichen und deshalb einer vorschnel-
len Festlegung auf bestimmte Lebens-
formen und Rollenmodelle entgegenzu-
wirken“, schreibt Nettesheim.
Dieses Erziehungsziel werde beein-
trächtigt, wenn das schulische Leben
von der Manifestation einzelner Le-
bensformen, etwa einer bestimmten
Art der Religionsausübung, übermäßig
beeinflusst werde – vor allem wenn die-
se mit unverhandelbaren Grundwer-
ten, wie etwa der Gleichstellung von
Mann und Frau, unvereinbar sind. Der
Gesetzgeber dürfe bestimmen, religiös
konnotierte Bekleidung „im verhältnis-
mäßigen Umfang“ fernzuhalten. Es sei
zwar nicht Aufgabe des Staates zu be-
stimmen, ob es das „richtige Verständ-
nis“ des Islam sei, schon vor der Puber-
tät ein Kopftuch zu tragen. Wohl aber
hält es Nettesheim für zulässig, dass
nicht allen Lesarten des Islams der glei-
che Raum gegeben wird. Auf die kon-
krete Situation – also auf die Frage, ob
das Kopftuch das schulische Leben tat-
sächlich dominiert – soll es für die Zu-
lässigkeit des Verbots offenbar nicht an-
kommen. Das wäre auch gar nicht so
einfach festzustellen, schließlich fehlt
es nach wie vor an verlässlichen Daten
darüber, wie viele Mädchen unter 14
Jahren in Deutschland mit Kopftuch
zur Schule kommen.
Ist ein Mädchen durch ein Kopftuch-
verbot überhaupt in seiner Religions-
freiheit beschränkt? Auf den ersten
Blick scheint die Sache klar zu sein,
schließlich schützt das Grundgesetz
nicht nur die innere Überzeugung, son-
dern auch die Lebensführung im Glau-
ben. Nettesheim kommt allerdings zum
Ergebnis, dass Kinder unter 14 Jahren
nicht die „intellektuelle Reife“ aufwei-
sen, die zu einem selbstbestimmten reli-
giösen Leben erforderlich ist. „Kindli-
che Schwärmereien, die unreflektierte
im Kindesalter, die kindliche Anleh-
nung an elterliche Vorgaben und Wün-
sche“ seien keine Ausübung von Religi-
onsfreiheit. Selbst wenn man dies an-
ders sieht – was einige Juristen durch-
aus tun –, wäre so Nettesheim, der Ein-
griff in die Religionsfreiheit aufgrund
des schulischen Erziehungsauftrags ge-
rechtfertigt, ebenso der Eingriff in das
Erziehungsrecht der Eltern.(Kommen-
tar Seite 8.)


jbe.FRANKFURT, 29. August. Die AfD
muss wegen Unregelmäßigkeiten in ih-
rem Rechenschaftsbericht eine Strafe an
den Bundestag bezahlen. Wie ein Spre-
cher der Bundestagsverwaltung dieser
Zeitung mitteilte, wurden Einnahmen
und Ausgaben bei dem vom thüringi-
schen AfD-Vorsitzenden Björn Höcke aus-
gerichteten „Kyffhäusertreffen“ nicht im
Rechenschaftsbericht für das Jahr 2017
angegeben. Das „Kyffhäusertreffen“ fand
auf dem Gebiet des AfD-Kreisverbandes
Nordhausen-Eichsfeld-Mühlhausen statt.
Dieser hätte die eingenommenen 17 084
Euro und 48 Cent an den Landesverband
melden sollen, der wiederum die Beträge
an den Bundesschatzmeister der AfD wei-
terleitet, der einen Rechenschaftsbericht
erstellt. Den Einnahmen standen laut
AfD etwa gleich große Ausgaben gegen-
über. Weil Strafen der Bundestagsverwal-
tung immer das Doppelte des Fehlbetra-
ges betragen, muss die AfD nun 34 168
Euro und 96 Cent bezahlen.
Der Sprecher der thüringischen AfD,
Torben Braga, kündigte eine juristische
Prüfung an. „Die Sache ist noch nicht
rechtskräftig“, sagte er dieser Zeitung.
Der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen hinge-
gen äußerte Skepsis, ob ein Widerspruch
erfolgreich sein kann. „Die Strafzahlung
wird Bestand haben, ein Widerspruch ist
aussichtslos“, sagte Meuthen unter Beru-
fung auf Juristen der Partei. Er „verbuche
das unter Lehrgeld“.

Seit Anfang des Jahres hatten AfD und
Bundestagsverwaltung über den Vorgang
gestritten. Veranstalter des „Kyffhäuser-
treffens“ war nicht die AfD, sondern Hö-
ckes Sammelbewegung „Der Flügel“. Die
Bundestagsverwaltung vertritt laut der
AfD die Auffassung, dass „Der Flügel“ ein
Teil der Partei ist und seine Einnahmen
von der Partei deklariert werden müssen.
Für die AfD ist die Meldung solcher Ein-
nahmen eigentlich ein Vorteil: Je höher
ihre Einnahmen, umso größer ihr Anteil
an der staatlichen Parteienfinanzierung.
Meuthen hatte vor dem Hintergrund im
ZDF-Sommerinterview gesagt, der „Flü-
gel“ sei „nicht Teil der AfD“. Nachdem das
von „Flügel“-Anhängern kritisiert wurde,
hatte Meuthens Ehefrau im Internet ge-
schrieben: „Ihr seid dumm, einfach nur
dumm und widerlich. Ihr kapiert den Kon-
text überhaupt nicht. Wenn Jörg im TV
sagt, dass der Flügel Bestandteil der Partei
ist, wird es richtig teuer für die Partei,
denn dann wären die Kyffhäuserfinanzie-
rungen nicht deklarierte Parteieinnah-
men!“ Seine Frau habe ihm den Kommen-
tar vor der Veröffentlichung vorgelegt und
gefragt: „Kann ich das raushauen?“, sagte
Meuthen dieser Zeitung. Er habe zuge-
stimmt. Die Bundestagsverwaltung sei
aber nicht durch dieses Eingeständnis auf
den Vorgang aufmerksam geworden, der
Rechenschaftsbericht sei viel früher mo-
niert worden. „Wir wussten zu dem Zeit-
punkt schon, dass die Bestrafung nahezu
sicher ist“, sagte Meuthen.

Fraktionsausschluss rechtens
Der Ausschluss der Abgeordneten Do-
ris von Sayn-Wittgenstein aus der
schleswig-holsteinischen AfD-Frakti-
on war rechtens. Das hat das Landes-
verfassungsgericht am Donnerstag ent-
schieden, nachdem Sayn-Wittgenstein
gegen ihren Ausschluss geklagt hatte.
Ihren am Mittwoch vom AfD-Bundes-
schiedsgericht verfügten Parteiaus-
schluss will Sayn-Wittgenstein weiter
nicht akzeptieren und beharrt darauf,
im Amt der schleswig-holsteinischen
Landesvorsitzenden zu bleiben. Der
Deutschen Presse-Agentur sagte sie,
der Landesvorstand stehe weiter zu
ihr. „Ich bin erst Ende Juni gewählt
worden, und während dieser Zeit lief
das Parteiausschlussverfahren – aber
das hat die Mehrheit auf dem Landes-
parteitag offensichtlich nicht daran ge-
hindert, für mich zu stimmen“, sagte
Sayn-Wittgenstein. (jbe.)

Dienstwaffen gestohlen
Elf Dienstwaffen der Bundespolizei
sind nach einem Medienbericht derzeit
als gestohlen oder verloren registriert.
Das geht laut „Neuer Osnabrücker Zei-
tung“ aus der Antwort der Bundesregie-
rung auf eine Anfrage der FDP-Bundes-
tagsfraktion hervor. „Gegenwärtig sind
zehn Dienstwaffen der Bundespolizei
(mit der dazugehörigen dienstlichen
Munition 9 × 19 mm) als gestohlen re-
gistriert“, zitiert die Zeitung aus der
Antwort. Eine weitere Dienstwaffe sei
vor der Übergabe an die Bundespolizei
beim Hersteller verschwunden. Anfang
August war bekanntgeworden, dass seit
März im niedersächsischen Celle eine
Dienstwaffe der Polizei vermisst wird.
Dabei handelt es sich um eine Maschi-
nenpistole vom Typ MP5 des Herstel-
lers Heckler & Koch. (dpa)

Rechte von Soldatenkindern
Die amerikanische Regierung ver-
schärft das Staatsbürgerschaftsrecht.
Im Ausland geborene Kinder von Mili-
tärangehörigen und Diplomaten sollen
künftig nicht mehr automatisch Ameri-
kaner sein. Das teilte die Einwande-
rungsbehörde „Citizenship and Immi-
gration Service“ (CIS) in Washington
mit. Amerikaner, die im Ausland für
die Vereinigten Staaten tätig sind, müs-
sen künftig die Einbürgerung ihrer Kin-
der beantragen, bevor diese das 18. Le-
bensjahr vollendet haben. Eine Ge-
währ für die Erlangung der Staatsbür-
gerschaft besteht nicht. Die neue Richt-
linie soll am 29. Oktober in Kraft tre-
ten und nur für Kinder gelten, die nach
diesem Stichtag geboren werden. (sat.)

Korrektur
Ricardo Salles hat nicht, wie in der
Donnerstagausgabe geschrieben, in
den Vereinigten Staaten studiert, son-
dern in Brasilien. (F.A.Z.)

BERLIN, 29. August. Noch immer rech-
nen sich die Länder die Zahl der Schulab-
brecher schön. Eine besonders hohe Zahl
Abbrecher wird beispielsweise in Meck-
lenburg-Vorpommern damit erklärt, dass
das Land so viele Förderschüler habe, die
häufig keinen Abschluss machen. Doch
die Schulabbrecherstatistik ist auch ohne
solche Ausflüchte lückenhaft. Der Wech-
sel einer Schulart, ein Umzug oder Krank-
heit können nicht vom echten Schulab-
bruch unterschieden werden, weil dazu
die Daten fehlen.Alle bisherigen Statisti-
ken der Länder und anderer Institutionen
zu Schulabbrüchen geben keinen Auf-
schluss über die Gründe von Schulab-
bruch. Bisher gibt es auch keine deutschen
Studien dazu. Bildungsforscher fordern
deshalb ein Bildungsregister mit einer
Schüler-ID, das bisher am Widerstand der
Datenschutzbeauftragten gescheitert ist.
Nun hat Bundesbildungsministerin
Anja Karliczek (CDU) die Länder dazu
aufgefordert, sich aktiv beim Aufbau ei-
nes Bildungsregisters zu beteiligen. Dazu
müssten sich alle Akteure klarwerden, wo
das Schulsystem nicht erfolgreich sei, „so
unterschiedlich die Gründe auch sein mö-
gen. Nur auf der Grundlage einer Analyse
kann man Gegenmaßnahmen ergreifen“,
sagte Karliczek dieser Zeitung.
Schließlich sei jeder Schulabbruch ei-
ner zu viel. Ein qualifizierter Schulab-
schluss sei eine wichtige Voraussetzung
für eine erfolgreiche Ausbildung und die-
se wiederum für den Erfolg im Berufsle-

ben. Die Wirtschaft sei auch davon ab-
hängig, dass Arbeitnehmer gut ausgebil-
det seien. Auch wenn der Schulabbruch
sich wohl nicht ganz verhindern lasse, sei-
en die steigenden Zahlen von Schülern,
die ohne Abschluss die Schule verließen,
ein Ansporn, den Trend wieder umzukeh-
ren. Dazu müsse man mehr über die
Gründe erfahren.
Baden-Württembergs Kultusministerin
Susanne Eisenmann (CDU), die Koordi-
natorin der unionsregierten Länder in
der Kultusministerkonfernz (KMK), un-
terstützt die Initiative für mehr Daten zu
Bildungsverläufen. „Schüler ohne Ab-
schluss sind auf Dauer eine Belastung un-
serer Sozialsysteme. Das kann sich
Deutschland nicht leisten. Deshalb soll-
ten wir uns zutrauen, die Gründe für das
Scheitern zu analysieren“, sagte Eisen-
mann dieser Zeitung. Die Forderung, Da-
ten zu Bildungsverläufen zu erheben, hal-
te sie für berechtigt. Baden-Württemberg
arbeite derzeit an der flächendeckenden
Einführung einer elektronischen Schulsta-
tistik, auch hier sei das langfristige Ziel,
in Zukunft Schülerindividualdaten daten-
schutzgerecht analysieren zu können.
Auch Hamburgs Bildungssenator Ties
Rabe (SPD), Koordinator der sozialdemo-
kratisch regierten Länder, hat sich für ein
Bildungsregister ausgesprochen, wenn es
die Chance eröffnet, „einen genaueren
Blick auf die vielfältigen Ursachen, Ver-
besserungsmöglichkeiten und Handlungs-
optionen zu gewinnen“. (oll.)

H. Bin Dschassim Al Thani 60
In den zwei Jahrzehnten, in denen Ha-
mad Bin Dschassim Al Thani das Ge-
sicht der qatarischen Regierung war,
hat er sein Land als Politiker und als
Großinvestor vertreten. Seit sechs Jah-
ren hat er kein politisches Amt mehr
inne, sondern mehrt als einer der
reichsten Männer der Welt nur noch sei-
nen persönlichen Reichtum und den
Qatars, das die drittgrößten Erdgasvor-
kommen der Welt besitzt. Mit erst 33
Jahren war Hamad Bin Dschassim Au-
ßenminister geworden. Als er 36 Jahre
alt war, setzte sein Cousin Hamad Bin
Chalifa dessen Vater ab und wurde
selbst Emir. Von da an waren die bei-
den Hamads die Motoren der Moderni-
sierung Qatars. Zusätzlich wurde Ha-
mad Bin Dschassim 2007 Ministerpräsi-
dent. Einen Namen machte er sich, als
er in zahlreichen innerarabischen Kon-
flikten vermittelte und 2003 die Ameri-
kaner auf die riesige Militärbasis al
Udaid holte. Im Westen wurde der Au-
tonarr bekannt, als er die gewaltigen
Exporterlöse vor allem in Frankreich,
Großbritannien, Deutschland und der
Schweiz anlegte. An der Deutschen
Bank sind Qatar und er die größten Ein-
zelaktionäre. Er betrieb auch den Kauf
des Fußballklubs Paris Saint-Germain.
2011 stellte sich Hamad Bin Dschassim
in der Arabellion an die Seite der Mus-
limbrüder, womit er den Bruch mit Sau-
di-Arabien riskierte. Als sein Cousin
2013 als Emir zurücktrat, verschwand
auch er von der politischen Bühne. An
diesem Freitag wird Hamad Bin Dschas-
sim, der mindestens 15 Kinder haben
soll, 60 Jahre alt. (Her.)

ZWICKAU, 29. August

P


ia Findeiß weiß nicht mehr, wie oft
es passiert ist. Sie führe kein Tage-
buch darüber, wann Farbbeutel ge-
gen ihr Haus geworfen wurden oder ande-
re Dinge passieren. An die erste Ein-
schüchterung erinnert sie sich jedoch
noch genau. Es war im Februar 2015. Als
sie abends von einer Veranstaltung nach
Hause kam, konnte sie den Schlüssel
nicht ins Schloss schieben. Es war mit
Leim verklebt, darauf ein Aufkleber:
„Ausländer raus“. Wenige Wochen später
schliefen sie und ihr Mann, als sie ein
Klingeln an der Haustür weckte. Vor der
Tür standen 15 Männer, sie grölten: „Wir
wissen jetzt, wo du wohnst. Wir sind das
Volk.“ Ein anderes Mal wurde ihr Haus
mit Farbbeuteln beworfen, die Wind-
schutzscheibe ihres Autos mit Fett be-
sprüht. Zuerst sprach sie nur mit ihrer Fa-
milie darüber. Als Oberbürgermeisterin
müsse man etwas aushalten können,
glaubte sie. Der Zorn richte sich schließ-
lich nicht gegen sie selbst, sondern gegen
das Amt. „Jeder, der für ein solches Amt
kandidiert, muss sich bewusst machen,
dass es nicht nur darum geht, Grundstei-
ne zu legen oder Entscheidungen im
Stadtrat herbeizuführen. Man trägt eine
Last“, sagt Findeiß.
Ihre Haltung änderte sich am 13. Januar
2016, als ein Stein durch ihr Fenster flog.
Darauf war ein Zettel, der ihr verdeutlich-
te, sie solle Angst bekommen. An den ge-
nauen Wortlaut kann sie sich nicht mehr
erinnern. Die SPD-Politikerin erstattete
Anzeige. Und sie machte die Übergriffe öf-
fentlich. Viele Bürger meldeten sich und
drückten ihre Anteilnahme aus. Im Inter-
net aber gab es Hass und Häme. Bei Face-
book schrieb einer über die Steineschmei-
ßer, diese hätten einen Fehler gemacht:
„Die haben keine Granate geworfen.“
Polizeischutz erhält Findeiß nicht. Auf-
grund der Lageeinschätzung sei das nicht
für notwendig erachtet worden, sagt ein
Sprecher der Polizei Zwickau. Es seien
aber vermehrt Streifenwagen am Haus
vorbeigefahren, mit Videoüberwachung
habe man versucht, Täter zu ermitteln.
Ohne Erfolg. Da es in den meisten Fällen
keine Verdächtigen gebe, könne man
auch nicht sagen, ob alle Taten zusam-
menhängen, heißt es aus der Polizei.

Die Hassbotschaften, die Findeiß er-
hält, kommen nicht nur aus Zwickau. Ein
Mann aus Paderborn schreibt ihr 2018:
„Ab ins KZ mit Dir, du dreckige rote ISIS-
Hure!“ Auch an Journalisten und andere
Politiker hat er geschrieben, bei einer
Hausdurchsuchung werden Drogen gefun-
den. Er wird zu zwei Jahren auf Bewäh-
rung und 1000 Euro Geldstrafe verurteilt.
Warum zieht gerade Findeiß so viel
Hass auf sich? Sie regiert Zwickau seit elf
Jahren, 2015 wurde sie mit 62 Prozent wie-
dergewählt. In ihrer Stadt lebten auch die
rechtsextremen Terroristen des NSU.
Findeiß warb dafür, Zwickau nicht aus-
schließlich mit der Terrorbande zu verbin-
den, setzte sich aber auch für ein Denkmal
für die Opfer ein. Es dürfe keinen Schluss-
strich geben, sagte sie im vergangenen
Jahr. Während der Flüchtlingskrise nah-
men die Angriffe zu. Findeiß sprach oft
über die menschenwürdige Unterbrin-
gung. 1600 Flüchtlinge waren zeitweise in
der Stadt mit 90 000 Einwohnern. Und sie
ging mit gutem Beispiel voran. In ihrem
Haus lebte ein Flüchtling. In bestimmten
Kreisen sorgte das für Spekulationen.
Es ist der 23. August 2016. In den Stadt-
teilen Oberplanitz und Cainsdorf hat
Findeiß zum Spaziergang eingeladen.
Zwei Dutzend Bürger haben sich versam-
melt, als die Rufe beginnen. „Sie beher-

bergen IS-Terroristen in Ihrem Haus“,
sagt ein Mann an die Oberbürgermeiste-
rin gerichtet. „Was bekommen Sie da-
für?“ Dabei richtet er die Kamera auf die
Politikerin und die anderen Teilnehmer.
Findeiß sagt ruhig, sie selbst sei eine Per-
son des öffentlichen Lebens, aber keiner
der Bürger müsse sich filmen lassen. Man
könne widersprechen. Immer wieder ru-
fen die Männer: „Was machen die IS-
Flüchtlinge in Ihrem Haus?“ Die Veran-
staltung, die eigentlich Bürgern dazu
dient, ihre Anliegen vorzutragen, wird im-
mer angespannter. Das Video landet spä-
ter im Youtube-Kanal der Männer.
Es ist nicht das erste Mal, dass so etwas
passiert. Bei mehreren öffentlichen Ter-
minen von Findeiß tauchen die drei Män-
ner auf, stören, filmen und stellen es spä-
ter ins Internet. Diesmal aber will
Findeiß Anzeige erstatten. „Ich war es
meinen Mitarbeitern und den Bürgern
schuldig. Wir können uns das so nicht ge-
fallen lassen.“ Ein Jahr später kommt es
zur Verhandlung am Amtsgericht Zwick-
au, die Männer werden wegen übler Nach-
rede und Verleumdung gegen „Personen
des politischen Lebens“ zu acht Monaten
Freiheitsstrafe verurteilt, die zur Bewäh-
rung ausgesetzt werden.
Im Sommer 2019 sitzen zwei der drei
Männer im Berufungsverfahren vor dem

Landgericht Zwickau. Der dritte ist nicht
erschienen. In der Zwischenzeit ist ein wei-
teres Verfahren gegen einen der Angeklag-
ten zu Ende gegangen. Er sprang vor dem
Wohnhaus der Familie Findeiß mit einer
Kamera aus dem Gebüsch, als die Politike-
rin gerade mit ihrem zwei Jahre alten En-
kelkind auf dem Weg zum Friedhof war.
Findeiß war erschrocken, bekam Angst
und fuhr mit dem Kind schnell los. Das Vi-
deo landete später im besagten Youtube-
Kanal. Findeiß’ Sohn erstattete Anzeige,
weil das Kind unerlaubt gefilmt wurde.
1500 Euro Geldstrafe wurden verhängt.
Im Fall des Stadtspaziergangs verteidi-
gen sich Thorsten G. und Maik K. vor
dem Landgericht Zwickau selbst. Und sie
befragen die Zeugen. Die beiden Männer,
einer ist arbeitslos, der andere will dazu
keine Angaben machen,haben das Ge-
richt als Bühne. Ihre Ausführungen sind
lang, die Fragen an die Zeugen gehen häu-
fig am Thema vorbei. Lange lässt der Rich-
ter sie gewähren, bis er sie anweist, sich
auf das Geschehen zu konzentrieren.
Widerwillig halten sie sich daran, beide
streiten ab, die Rufer gewesen zu sein, ob-
wohl Zeugen zumindest einen genau zu-
ordnen können. Der Richter hebt das Ur-
teil des Amtsgerichts auf. Thorsten G.
wird freigesprochen, ihm waren die Rufe
nicht nachzuweisen. Maik K. bekommt
eine Geldstrafe von 1950 Euro wegen üb-
ler Nachrede.
In Zwickau sind die Angeklagten als Stö-
rer bekannt. Staatsanwalt Jörg Rzehak,
der auch die meisten der Anzeigen von Pia
Findeiß verfolgte, sagt, es gebe weit mehr
Fälle. Meist geht es um Beleidigung.
„Aber die meisten trauen sich nicht, das
zur Anzeige zu bringen“, sagt Rzehak.
Findeiß merkt man die Enttäuschung
an. Das Gericht hat ihr in der Berufung
auch aberkannt, eine „Person des politi-
schen Lebens“ zu sein, und die Strafe ab-
gemildert. Ein Politiker muss einen be-
stimmten Rang haben, um von dem Para-
graphen geschützt zu werden. Minister-
präsidenten oder Bundesminister etwa
können sich darauf berufen, obwohl sie es
oft nicht tun. Die Kommunalpolitikerin
Findeiß ist auf sich gestellt. Änderungen
der Gesetze lehnt sie trotzdem ab. Sie
glaubt nicht, dass der Verrohung der Ge-
sellschaft mit dem Recht beizukommen
sei. Nachdem der Mord am Kasseler Re-
gierungspräsidenten Walter Lübcke be-
kannt wurde, machte sich Findeiß einige
Gedanken. „Die Gesellschaft muss han-
deln. Es muss etwas gegen den Hass, ge-
gen die Verrohung unternommen wer-
den“, sagt sie. Die Bundeskanzlerin und
der Bundespräsident hätten sich überaus
deutlich dazu geäußert. „Ich habe aber
den Eindruck, dass die Dimensionen des
Problems bei den Bürgerinnen und Bür-
gern noch nicht angekommen sind.“
Wenn sich nichts ändere, dann gehe kei-
ner mehr in den Städten und Gemeinden
in die Politik. Findeiß selbst will weiter-
machen. Anzeigen will sie keine mehr er-
statten. „Es bringt nichts.“

Erziehung zur


Freiheit


Ein Kopftuchverbot


für Grundschülerinnen?


Von Helene Bubrowski


AfD muss Strafe bezahlen


Einnahmen von „Kyffhäusertreffen“ nicht deklariert


Wichtiges in Kürze


Datenregister gegen Schulabbruch


Länder sollen Bildungsverläufe stärker erheben


Personalien


Unter verschärften Bedingungen


„Es bringt nichts“:Findeiß mit Familienministerin Franziska Giffey Foto Photothek

Für die Herstellung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wird ausschließlich Recycling-Papier verwendet.

Pia Findeiß wurde als


Oberbürgermeisterin


von Zwickau über Jahre


bedroht. Viel konnte sie


dagegen nicht machen.


Auch Anzeige will sie


nicht mehr erstatten.


Von Timo Steppat

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