letzt Marktanteile abgegeben – und zwar überwie-
gend an kleine und mittelgroße Unternehmen.
Was ist bei Ihnen schiefgelaufen?
MS: Die Großen haben vor allem auf ihre großen
Mitbewerber geschaut. Die Voraussetzungen sind
ebenfalls neu. In der digitalen Welt sind die Ein-
trittsbarrieren für ein neues Produkt immer gerin-
ger geworden. Wir hier am Tisch könnten jetzt in
unsere Küche gehen und einen neuen Schokorie-
gel erfinden – das ist gar nicht so schwer, wenn
man ein paar Grundkenntnisse mitbringt. Hätten
wir das vor 30 Jahren auch machen können? Ab-
solut. Hätten wir den Riegel vor 30 Jahren in den
Markt bekommen? Eher nicht. Heute gibt es eben
digital sehr viel bessere und billigere Möglichkei-
ten, ein Produkt zu bewerben oder, wenn der Han-
del ablehnt, es direkt im Netz zu verkaufen. So
finden viele von diesen kleinen und mittelgroßen
Unternehmen in den Markt.
Frau Rützler, haben Sie die Großen nicht gewarnt?
HR: Die gesamte Branche weiß, dass sie in den
vergangenen fünf bis zehn Jahren zu sehr auf ihre
eigenen Marktanteile geschaut hat und zu wenig
auf den Wandel der Esskultur und die veränder-
ten Bedürfnisse der Kunden. Und jetzt stellen die
Großen fest, dass sie viel mehr auf diesen Wandel
reagieren müssen. Wenn ihnen das gelingt und sie
ihre Vorteile in Herstellung und Vermarktung
ausnutzen, haben sie aber gute Chancen.
MS: Nehmen Sie das Beispiel Gerber Babyfood.
Der Markenname ist in den USA sehr vertraut, er
geht auf die Dreißigerjahre zurück, im Logo ist ein
ikonisches Baby – besser geht es kaum. Vor etwa
zehn Jahren begann der Babynahrungsmarkt
dann aber plötzlich auf Bio zu setzen. Wir haben
diesen Trend anfangs vernachlässigt und verloren
massiv Marktanteile. Seit eineinhalb Jahren sind
wir auch mit einem sehr umfassenden Bioangebot
im Markt und haben den Abwärtstrend gestoppt.
Unterschätzen Sie nicht die Stärke etablierter
Marken und das Vertrauen seitens der Kunden.
Werfen wir mal einen Blick in die Zukunft: Was
wird in fünf Jahren absolut normal sein?
HR: Ich finde es interessant, dass in einer zuneh-
mend virtuellen Welt das Analoge und das Hand-
werkliche wieder an Wertschätzung gewinnen.
Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass wir
das Kochen ganz auslagern. Und ich wünsche mir
mehr Formen der Kooperation zwischen Handel
und Gastronomie, neue hybride Konzepte, wo ich
einkaufen und kochen, wo mir aber das Abwa-
schen und die umweltfreundliche Entsorgung der
Reste abgenommen wird.
MS: Ernährung ist höchst individuell und selbst
beim Einzelnen abhängig von vielen Faktoren. Ich
würde daher auf mehr Personalisierung der Er-
nährung tippen. Die gibt es heute schon, aber
nicht bei der Ernährung von Menschen.
Sondern?
MS: Zum Beispiel bei der Ernährung von Haus -
tieren.
Wie bitte?
MS: Ja, tatsächlich. Wir haben im vergangenen
Jahr einen Mehrheitsanteil am britischen Portal
Tails.com gekauft. Da geben die Nutzer alle Einzel-
heiten zu ihrem Tier an. Wir besitzen die ernäh-
rungswissenschaftlichen Algorithmen und kön-
»In einer zunehmend
virtuellen Welt
gewinnt das Analoge wieder
an Wertschätzung«
Hanni Rützler
ADA & DAS JETZT
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▼ Nestlé-Koch Anthony
Le Pen brät den Incredible
Burger. Der besteht statt aus
Rindfleisch aus Soja- und
Weizeneiweiß, Rote Bete,
Karotte und Paprika
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