R. Bender, S. Iwersen,
V. Votsmeier Düsseldorf, Frankfurt
S
ie residierten nie in Glas-
türmen wie ihre Kollegen
von der Commerzbank, ge-
nossen weder die Aussicht
noch das Prestige, das mit
einem Vorstandsjob bei der Deut-
schen Bank verbunden war. Die fünf
Männer, die teils bis 2014 die Geschi-
cke der Maple Bank lenkten, arbeite-
ten in einem schlichten Bürogebäude
im Frankfurter Westend. Zwölf Mal
im Jahr aber konnten sie sich ihren
so viel renommierteren Konkurren-
ten mindestens ebenbürtig fühlen:
immer dann, wenn die Gehaltsab-
rechnung kam. Mehr als 150 Millio-
nen Euro verdienten die fünf Chefs
an der Spitze der Maple Bank in den
fünf Jahren zwischen 2006 und 2011.
Allein im Spitzenjahr waren es 62,2
Millionen Euro.
Erst fünf Jahre nach der goldenen
Zeit des Super-Quintetts kamen Zwei-
fel auf. Im Herbst 2015 durchsuchten
fast 300 Ermittler die Frankfurter Ge-
schäftsräume und andere Objekte.
Anfang 2016 schloss die Finanzauf-
sicht Maple Deutschland.
Es war ein beispielloser Vorgang in
der deutschen Bankgeschichte. Und
beispiellos, so zeigen Dokumente, die
das Handelsblatt einsehen konnte,
war auch das Ausmaß, in dem die
kleine Bank in dem größten Steuer-
skandal mitmischte, den das Land je
gesehen hat. Mehr als 100 Geldinsti-
tute vergingen sich am deutschen
Steuerzahler. „Cum-Ex“ nannten sich
die Geschäfte, die innerhalb weniger
Monate zweistellige Renditen ein-
brachten – bei null Risiko. Steueran-
wälte und Wertpapierhändler hatten
eine Methode gefunden, Aktien mit
(„cum“) und ohne („ex“) Dividenden-
anspruch zu handeln, sodass eine Art
Wunder geschah. Die Beteiligten
machten den Finanzämtern weis, es
gebe zwei Eigentümer ein und der-
selben Aktie – und kassierten doppelt
oder gar mehrfach ab. „Ein kriminel-
les Glanzstück“, nannte der Präsi-
dent des Finanzgerichts Köln un-
längst die Methode Cum-Ex.
Verwalter sieht „Gefahr“
Durch die Gläubigerversammlung
der Maple Bank führt Michael Frege,
ruhig und sachlich. Frege hat viel Er-
fahrung mit komplizierten Fällen.
2008 wurde der Jurist Insolvenzver-
walter der deutschen Tochter der US-
Investmentbank Lehman Brothers.
Frege fand sich über Nacht im Epi-
zentrum der Weltfinanzkrise wieder.
Zehn Jahre später konnte er die For-
derungen der Gläubiger zu 100 Pro-
zent erfüllen.
Geld zurückholen, das ist Freges
Spezialität. Bei Maple aber trifft er
auf Abgründe, die das Vorhaben er-
schweren. 20 Minuten arbeitet er im
Frankfurter Kolpinghaus vor rund 50
Gläubigervertretern und Anwälten
die Tagesordnung ab – und dann
wird er plötzlich laut. Punkt 3 auf der
Tagesordnung steht an, es geht um
„Haftungsansprüche der Schuldnerin
gegen ehemalige Geschäftsführer“.
Einen von ihnen bezeichnet Frege als
„Gefahr“ für das Verfahren. Sein Na-
me: Wolfgang Schuck.
Schuck war viele Jahre lang Vorsit-
zender der Geschäftsführung – auch
in der Hochphase der Cum-Ex-Ge-
schäfte. Und Schuck sorgte dafür,
dass auch er und seine Kollegen or-
dentlich kassierten. Frege geht davon
aus, dass Schuck 300 Millionen Euro
allein an Bonusausschüttungen ver-
anlasste, 80 Millionen Euro sollen auf
Schucks Konto geflossen sein. Zudem
ließ er Ausschüttungen an die Gesell-
schafter der Bank zu, die sich auf
800 Millionen Euro belaufen. Geld,
das nun in Freges Kasse fehlt.
Der Insolvenzverwalter wirkt fast
erbost, als er davon berichtet, dass
Schuck jeden Vergleichsvorschlag zu-
rückweist. Im Gegenteil: Schuck hat
selbst Forderungen erhoben, fordert
4,8 Millionen Euro Boni und 200 000
Euro für seine Anwälte. „Ein Rechts-
missbrauch, der den Rechtsmiss-
brauch der Steuergeschäfte fort-
setzt“, schimpft Frege und kündigt
an, Schuck zu verklagen. Schucks An-
wälte haben sich unter die Gläubiger
gemischt und stellen Gegenanträge.
Fragen zu ihrem Mandanten wollen
sie nicht beantworten.
Unter dem Strich hat Frege für sei-
ne Gläubiger am Donnerstag trotz-
dem gute Nachrichten. Überra-
schend verkündete er, dass er von
den festgestellten Forderungen der
Gläubiger in Höhe von 2,7 Milliarden
Euro bereits 70 Prozent wieder rein-
geholt hat.
Das lohnt sich vor allem für die
Steuerzahler und die Bankkunden.
Denn der Fiskus und die Einlagensi-
cherung des Bankenverbands waren
die Hauptgläubiger in dem Insolvenz-
fall. Einen Durchbruch vermeldete
Frege im Hinblick auf die Forderun-
gen des Finanzamts: 140 Millionen
Euro könnten an den Staat gehen,
nach komplizierten Verhandlungen
und Verrechnungen. Mit der Kanzlei
Freshfields Bruckhaus Deringer
konnte er einen überraschenden Ver-
gleich schließen. Die Kanzlei wird
ihm 50 Millionen Euro zahlen.
Frege wollte eigentlich knapp das
Doppelte, ist aber trotzdem zufrie-
den. Erst im Frühjahr 2019 wurde be-
kannt, dass der Insolvenzverwalter
die Topkanzlei auf 95 Millionen Euro
verklagt hatte. Das sei absurd, war
deren erste Antwort. „Für Ansprüche
gegen unsere Kanzlei sehen wir keine
Grundlage“, sagte ein Kanzleispre-
cher. Man werde sich vollumfänglich
verteidigen.
Ein halbes Jahr später ist die Klage
durch den Vergleich hinfällig. Und
Freshfields? „Wir sind weiterhin der
festen Überzeugung, dass unsere Be-
ratung der geltenden Rechtslage ent-
sprach“, kommentierte ein Sprecher
auf Nachfrage.
Das ganze Desaster der Cum-Ex-
Geschäfte, sagen Experten, sei ohne
Freshfields gar nicht möglich gewe-
sen. Wenn Freshfields Cum-Ex als ju-
ristisch sauber einstufte, war das vie-
len Kunden genug, um neunstellige
Summen zu investieren.
So geschah es auch im Fall Maple.
Freshfields-Anwälte schrieben Gut-
achten, die Cum-Ex-Geschäfte grund-
sätzlich als legal einstuften. So kamen
die Projekte ins Laufen. Fünf Jahre
lang war die Maple Bank damit er-
folgreich – ein Ausweis davon
sind die Spitzenverdienste ihrer
Vorstände.
Heute sind die damaligen
Steuerexpertisen von Freshfields
kaum noch etwas wert. Banken
haben Hunderte Millionen
Euro an den Fiskus zu-
rückgezahlt. Fast alle
Cum-Ex-Investoren, die
mit den Geschäften scheiterten, ha-
ben ihre Verluste abgeschrieben. Der
eine, der versuchte, sein Geld vom
Fiskus einzuklagen, scheiterte kürz-
lich krachend – wenn auch das Urteil
noch nichts rechtskräftig ist. „Denk-
logisch unmöglich“ sei die Doppel -
erstattung einer nur einmal entrich-
teten Steuer, dozierte der Richter.
Konnten die Maple-Berater von
Freshfields also nicht richtig denken?
Es ist nicht bekannt, dass in Deutsch-
land je eine Kanzlei 50 Millionen
Euro in einem Vergleich zahlte – und
das nur ein halbes Jahr nach Erhalt
einer Klage. Freshfields betont, dass
mit der Überweisung keinerlei
Schuldanerkenntnis verbunden sei.
Das ist richtig. Es gibt jedoch auch
andere Stimmen. „Der Vergleichs -
betrag ist so hoch, dass er wie ein
Schuldeingeständnis wirkt“, sagt ein
beteiligter Verteidiger. Das Problem
von Freshfields liegt auf der Hand:
Auch andere Cum-Ex-Mandanten
könnten auf Schadensersatz klagen.
Zweimal erhielt Freshfields in Frank-
furt Besuch von der Staatsanwalt-
schaft, zwei Steuerpartner stehen auf
der Liste der Beschuldigten. Noch
2019 könnte Anklage erhoben werden.
Von der Wirtschaftsprüfungsgesell-
schaft EY ist Derartiges nicht be-
kannt, aber auch sie ist als Berater in
den Maple-Fall verstrickt. Frege er-
wägt, auch EY in Anspruch zu neh-
men. Das Verhalten der Firma sei
„destruktiv“, sagte Frege. Und EY?
Man könne sich nicht äußern: „Be-
rufsrechtliche Verschwiegenheits-
pflichten.“
Cum-Ex-Skandal
Rückzahlung nach
dem Steuerraub
Der Maple-Bank-Insolvenzverwalter treibt Forderungen ein und
einigt sich mit dem Fiskus. Freshfields zahlt 50 Millionen Euro.
Gespräche im
Halbdunkeln:
Gutachten wie
die der Kanzlei
Freshfields
ermöglichten die
Geschäfte erst.
plainpicture/Maskot
2,7
MILLIARDEN
Euro betragen die
Forderungen, die
der Maple-Bank-
Insolvenzverwalter
akzeptiert.
Quelle:
Insolvenzverwalter
Michael Frege:
Der Insolvenzverwalter
der Maple Bank hat
Erfahrung mit kompli-
zierten Fällen.
dpa
Finanzen & Börsen
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(^26) WOCHENENDE 30./31. AUGUST / 1. SEPTEMBER 2019, NR. 167
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