Helmut SteuerStockholm
A
ls im Frühjahr 2015 in
Österskär, einem idylli-
schen Örtchen 30 Kilo-
meter nördlich von
Stockholm, die Bagger
anrollten, dachten die Nachbarn,
dass es nun endlich losgeht. Seit Jah-
ren stand eine ehemalige Gärtnerei
mit drei großen Gewächshäusern
leer. Keines der Kinder wollte den Be-
trieb übernehmen, die Eltern ver-
kauften das Grundstück an eine Woh-
nungsbaugesellschaft. Es versprach,
ein gutes Geschäft zu werden. Denn
das Eckkgrundstück liegt auf einer at-
traktiven Halbinsel in unmittelbarer
Nähe zum Ostseestrand. Von dem
Grundstück aus sehen die künftigen
Besitzer der 19 geplanten Eigen-
tumswohnungen über einen Park
hinweg auf eine kleine Marina. Es
sind gerade einmal 150 Meter bis
zum Ufer. Die Wohnungen von 97
bis 117 Quadratmetern sollen zwi-
schen 4 495 000 und 5 150 000 Kro-
nen (umgerechnet 420 000 bis
480 000 Euro) kosten.
Jetzt, vier Jahre später, sind zwar
das alte Gärtnereigebäude und die
Gewächshäuser abgerissen, einige
Anschlüsse verlegt, doch sonst ist
nichts passiert. Auf der Homepage
der Wohnungsbaugesellschaft Aspect
Properties wird zwar ein Einzug im
Winter 2019/2020 beworben. Doch
auch Ende August 2019 tut sich
nichts. Aus dem Boden ragen verein-
zelte Rohre und Kabel. „In den ver-
gangenen drei Monaten war hier
nicht ein einziger Bauarbeiter“, sagt
einer der Anwohner, der von seinem
Haus direkt auf die verödete Baustel-
le schaut.
Nach rund 20 Jahren mit stetig stei-
genden Immobilienpreisen ist in
Schweden seit 2017 eine Stagnation
auf dem Wohnungsmarkt eingetre-
ten. In gewissen Lagen sind die Prei-
se sogar nach unten gegangen. Koste-
te in Stockholm 2017 ein Quadratme-
ter noch im Durchschnitt 5 602 Euro,
waren es im vergangenen Monat nur
noch 5 146 Euro, wie die gerade ver-
öffentlichte Statistik des Verbands
der Makler zeigt. Einige Bauunter-
nehmen sind deshalb in die Krise ge-
schlittert. Insolvenzen sind nicht aus-
geschlossen.
Vor Kurzem warnte der Kreditver-
sicherer Atradius vor einer „merklich
abgekühlten“ Stimmung in der skan-
dinavischen Bauwirtschaft. Laut dem
Kreditversicherer ist die Zahl der un-
verkauften Wohnungen zuletzt in
Stockholm von rund 1 500 Einheiten
im Jahr 2016 auf mehr als 8 000 im
Jahr 2018 gestiegen. „Das alles verrin-
gert die Liquidität der Baufirmen ent-
lang der Produktionskette und er-
höht das Zahlungsrisiko für deren
Lieferanten und Dienstleister“, stellt
Atradius fest.
Die von der Baugesellschaft in Ös-
terskär beauftragte Maklerin Wivica
Frisell kann auch nicht weiterhelfen.
„Derzeit liegt alles auf Eis“, sagt sie.
Bei der Baugesellschaft Aspect Pro-
perties nimmt niemand das Telefon
ab, niemand antwortet auf Mails. Of-
fenbar sind die sechs angeblich be-
reits verkauften Wohnungen und wei-
tere sechs Reservierungen nicht ge-
nug, um die Baumaschinen in Gang
zu setzen.
Nachfrage bleibt aus
Das Beispiel aus dem Stockholmer
Vorort ist kein Einzelfall. Überall in
den schwedischen Großstadtregio-
nen kämpfen Wohnungsbaugesell-
schaften um Kunden – und ums eige-
ne Überleben. Jüngstes Beispiel ist
das Stockholmer Unternehmen Os-
car Properties. Die Firma wurde
2004 von Oscar Engelbert mit dem
Ziel gegründet, Luxuswohnungen zu
bauen, zu verwalten und zu renovie-
ren. Mit wohlklingenden Projektna-
men wie „79&Park“, „No.4“ oder
„Norra Tornen“ ging das Unterneh-
men zunächst erfolgreich auf Kun-
densuche. Eine spektakuläre Archi-
tektur mit einer Mischung aus Holz
und Stahl lockte viele Interessenten
für das „79&Park“-Projekt an, das aus
der Feder des dänischen Stararchi-
tekten Bjarke Ingels stammt. Von den
160 Luxuswohnungen steht nur noch
eine zum Verkauf: Für 14,85 Millio-
nen Kronen, knapp 1,4 Millionen
Euro, erhält der Käufer eine Vier-
Zimmer-Wohnung mit 129 Quadrat-
meter Wohnfläche und Blick über
ganz Stockholm.
Allerdings lief es nicht bei allen
Projekten so reibungslos. Bereits vor
zwei Jahren schockierte Oscar Pro-
perties seine Investoren mit der Mit-
teilung, dass bereits geplante Luxus-
wohnungen in Stockholm wegen zu
geringer Nachfrage nicht gebaut wür-
den. Dachten Anleger damals noch,
es handele sich um eine kurzzeitige
Nachfragedelle, sind sie heute eines
Besseren belehrt. Vor gut einer Wo-
che teilte Oscars Properties mit, dass
es im zweiten Quartal dieses Jahres
nur acht Luxuswohnungen verkauft
habe. Im Vorjahresquartal waren es
noch 22. Der Kurs der Aktie fiel auf
rund sieben Kronen, eine Halbierung
verglichen mit dem Kurs Anfang des
Jahres. Seit Anfang 2017 ist die Aktie
um 90 Prozent gestürzt.
Neue Hypotheken-Regeln
Probleme sind vor allem im Luxus-
segment spürbar. Zwar sind auch auf
dem normalen Wohnungsmarkt in ei-
nigen Randgemeinden von Stock-
holm die Preise gesunken. In ande-
ren Gebieten stiegen sie jedoch an. In
der Stockholmer Innenstadt mussten
im Juli knapp 8 500 Euro für den
Quadratmeter gezahlt werden, in den
Randgemeinden um die Hauptstadt
herum nur 4 980 Euro. Ein ähnliches
Bild ergibt sich in Schwedens zweit-
größter Stadt Göteborg. In der Innen-
stadt kosten Wohnungen 5 914 Euro
pro Quadratmeter, in den Randge-
meinden nur 4 162 Euro.
Für die teils sinkenden Preise wird
die Politik verantwortlich gemacht.
„Mit den neuen Amortisationsregeln
haben wir auch ein neues Preisniveau
bekommen“, sagte jüngst Liza Ny-
berg, Chefin von Svensk Fastighets-
förmedling, einer der größten Mak-
lerfirmen in Schweden. Die neuen
Regeln sehen vor, dass Kreditnehmer
ihre Hypotheken tilgen müssen. Seit
Mitte 2016 müssen Immobilienkredite
bis zu einem Beleihungsgrad von 70
Prozent mit zwei Prozent jährlich ge-
tilgt werden. Danach sinkt die jährli-
Wohnungen in Schweden
Zu viel Luxus, zu
wenig bezahlbar
Der Markt für Wohnimmobilien stagniert, vor allem im
Luxusbereich. Einige Bauunternehmen sind deshalb in
die Krise geschlittert, Insolvenzen nicht ausgeschlossen.
Blick über Stock-
holm: Für Mietwoh-
nungen in der
Hauptstadt gibt es
Wartelisten mit
mehreren Jahren
Wartezeit.
Gregor Lengler/laif
Stagnierende Preise
Wohnungspreise in Stockholm
Index: 1. Quartal 2010 = 100
1688
HANDELSBLATT
- Q. 2010 2. Q. 2019
Quelle: Bloomberg
200
10
100
28 Immobilien WOCHENENDE 30./31. AUGUST / 1. SEPTEMBER 2019, NR. 167
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