46 Ostdeutschlands unsichere Zukunft WOCHENENDE 30./31. AUGUST / 1. SEPTEMBER 2019, NR. 167
Christian Rothenberg, Thomas Sigmund
Düsseldorf, Berlin
I
m Wahlplakate-Dschungel in den drei sächsi-
schen Großstädten Leipzig, Dresden und
Chemnitz könnte man sie fast übersehen: Die
Plakate der CDU sind so grün, dass man sie
versehentlich schnell den Grünen zuordnet – wäre
nicht CDU-Spitzenkandidat Michael Kretschmer da-
rauf zu sehen.
Der Ministerpräsident ist erst seit Dezember 2017
im Amt. Zur Landtagswahl an diesem Sonntag
muss er hoffen, seinen Posten nicht wieder zu ver-
lieren. Der Bonus des Amtsinhabers machte sich in
den vergangenen Wochen zwar bemerkbar.
Kretschmers Partei legte leicht zu und könnte am
Wahlabend die 30-Prozent-Marke überschreiten.
Dennoch wird die Regierungsbildung schwierig.
Die CDU, die im Freistaat jahrelang mit absoluter
Mehrheit regierte und zuletzt zusammen mit der
SPD, wird aller Voraussicht nach ein Dreierbündnis
mit den Grünen schmieden müssen.
Grünen-Chef Robert Habeck deutete in dieser
Woche grundsätzliche Bereitschaft an, äußerte sich
aber reserviert. Für ein Bündnis gebe es „keinen
Automatismus, im Gegenteil“. Wahrscheinlich ha-
be es „noch nie so schwierige Sondierungen“ gege-
ben, weil „die Gegnerschaft lange geübt und die in-
haltlichen Schnittmengen gleich null“ seien.
Kretschmers Problem ist: Alternativen zu einer Ko-
alition mit Sozialdemokraten und Grünen hat er
nicht. Das einzig rechnerisch mögliche Zwei-Partei-
en-Bündnis mit der AfD, die in Umfragen seit Wo-
chen stabil bei 25 liegt, hat der Ministerpräsident
ebenso ausgeschlossen wie eine Minderheitsregie-
rung.
Als wäre die Lage nicht kompliziert genug, ist
Kretschmer kurz vor der Wahl zusätzlich in Be-
drängnis geraten. Wie ein neuer Bericht des Lan-
deskriminalamts Sachsen dokumentiert, nutzten
Rechtsextreme in Handy-Chats vor den Ausschrei-
tungen in Chemnitz im Sommer 2018 selbst den
Begriff „Jagd“. Kretschmer hatte damals gesagt: „Es
gab keinen Mob, keine Hetzjagd und keine Pogro-
me.“ Grüne und Linke fordern den CDU-Politiker
nun auf, seine „verharmlosende Äußerung“ zu-
rückzunehmen. Eine „Hetzjagd“ war im vergange-
nen Jahr auch vom damaligen Bundesverfassungs-
schutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen in Zweifel
gezogen worden. Das CDU-Mitglied absolvierte in
Sachsen einige Wahlkampfauftritte, zog sich nach
parteiinterner Kritik aber zurück.
Wird Brandenburg rot-rot-grün?
Nicht nur in Sachsen, auch in Brandenburg wird an
diesem Wochenende gewählt. Nur auf den ersten
Blick steht SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke
schlechter da als Kretschmer in Sachsen. In der ak-
tuellsten Umfrage des Insa-Instituts liegt seine Par-
tei bei 21 Prozent, dennoch sind seine Aussichten
besser als die des Kollegen von der CDU. Für die
bisherige rot-rote Regierung wird es zwar sicher-
lich nicht mehr reichen, wohl aber für ein Bündnis
mit Linken und Grünen. Woidke, der bei der letz-
ten Landtagswahl im Jahr 2014 noch 31,9 Prozent
geholt hatte, dürfte damit leben können.
Für die SPD wäre es nach den Turbulenzen der
vergangenen Monate ein willkommenes Erfolgser-
lebnis, die Staatskanzlei in Potsdam zu halten.
Noch Anfang August standen die Brandenburger
Sozialdemokraten bei den Meinungsforschern bei
mageren 17 Prozent, fast gleichauf mit den Grünen
und deutlich hinter der AfD. Plötzlich schien alles
offen und vieles möglich – sogar dass die Grünen in
Person von Ursula Nonnemacher die neue Minis-
terpräsidentin stellen. Die 62-Jährige ist Spitzen-
kandidatin. Da die Grünen in den neuesten Zahlen
auf 14 Prozent abgerutscht sind, ist dies jedoch we-
nig wahrscheinlich.
Während CDU und SPD erhebliche Stimmenver-
luste drohen, dürften die Grünen am Sonntag den-
noch viel Anlass zum Feiern haben. Noch in den
90ern verfehlte die Partei in beiden Ländern regel-
mäßig die Fünfprozenthürde. Nun sind zweistellige
Ergebnisse und gleich zwei neue Regierungsbeteili-
gungen in Sachsen und Brandenburg möglich.
In Thüringen ist die Partei bereits seit 2014 an ei-
ner rot-rot-grünen Regierung beteiligt. Bodo Rame-
low wurde damals unter großer öffentlicher Auf-
merksamkeit zum ersten Linken-Ministerpräsiden-
ten der Republik gewählt. Dort regiert er seitdem
weitgehend geräuschlos, obwohl nur mit einer
Stimme Mehrheit im Erfurter Landtag ausgestattet.
Ramelow hält ein Bündnis seiner Partei mit der
SPD und den Grünen nach den nächsten Bundes-
tagswahlen für denkbar: „Ich bin auch radikal ge-
nug, mir das auch im Bund vorzustellen.“
Noch im Frühsommer deutete einiges darauf
hin, dass das Erfurter Linksbündnis bei der Land-
tagswahl am 27. Oktober seine Mehrheit verlieren
könnte. Aber je näher der Wahltermin rückt, desto
besser werden die Chancen auf weitere fünf Jahre.
In den Umfragen hat die Linke die CDU zuletzt
überholt. Die AfD liegt auf dem dritten Platz, deut-
lich vor Grünen und SPD, die sogar ein einstelliges
Ergebnis befürchten muss.
Thüringer CDU ohne Machtoption
Ausgerechnet Ramelow könnte bei den drei Ost-
Wahlen der einzige Amtsinhaber sein, der seine ak-
tuelle Koalition fortsetzen kann. Er profitiert davon,
dass CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring eine echte
Machtoption fehlt. Seine Partei steht bei 24 Prozent
und damit fast zehn Prozentpunkte schlechter als
noch vor fünf Jahren. Lediglich in einer Koalition
mit der AfD und deren umstrittenem Landeschef
Björn Höcke könnte Mohring nach jetzigem Stand
Ministerpräsident werden. Ein solches Bündnis wä-
re rechnerisch möglich, ist aber sehr unwahr-
scheinlich, weil Mohring es ausgeschlossen hat.
In der aktuellen Insa-Umfrage kommen Linke,
SPD und Grüne zusammen auf 46 Prozent, was
nicht sicher reichen würde. Entscheidend könnte
am Wahlabend das Abschneiden der FDP sein. Ver-
passt diese erneut den Einzug ins Parlament, sind
die Aussichten für Ramelows Bündnis ziemlich gut.
Die drei Regierungspartner müssen deshalb hof-
fen, dass die CDU den Liberalen im Endspurt noch
ein paar Stimmen klaut.
Die FDP schneidet, ähnlich wie die Grünen, in
den neuen Ländern traditionell schlecht ab. Wäh-
rend die Ökopartei im Osten zum Königsmacher
gewachsen ist, wäre es für die FDP schon ein Er-
folg, wenn sie in Brandenburg, Sachsen und Thü-
ringen die Fünfprozenthürde nehmen könnte. Bis-
her ist die Partei in keinem der drei Landtage ver-
treten.
Landtagswahlen im Osten
Keine Mehrheiten ohne die Grünen
CDU und SPD drohen am Sonntag
erhebliche Verluste. Die
Regierungsbildung dürfte kompliziert
werden. Und die Große Koalition in Berlin
könnte weiter unter Druck geraten.
Wahlen in Ostdeutschland
HANDELSBLATT • Umfrage: Sachsen vom 27.8.; Brandenburg vom 27.8.; Thüringen vom 22.8. *Mehrheit nur, wenn FDP nicht in den Landtag einzieht • Quelle: Insa
Wenn am nächsten Sonntag Landtagswahl wäre ... Ergebnis in Prozent
Mögliche Koalitionen
CDU/Grüne/SPD
CDU/Grüne/Linke
CDU/AfD
Aktuelle Regierung: CDU/SPD
Sachsen
Wahl am 1.9.2019
Brandenburg
Wahl am 1.9.2019
CDU AfD LinkeGrüneSPD FDP
29 %
25 %
15 %
48 %
55 %
54 %
37 %
11 %
8 %
5 % 5 %
AfD SPD CDU LinkeGrüneFDP LinkeCDU AfDGrüneSPD FDP
21 % 21 %
17 %
14 %
15 %
Thüringen
Wahl am 27.10.2019
26 %
24 %
21 %
11 %
9 %
4 %
SPD/Grüne/Linke
CDU/Grüne/SPD
Aktuelle Regierung: SPD/Linke
50 %
52 %
36 %
CDU/Linke
Aktuelle Regierung:
Linke/SPD/Grüne*
50 %
46 %
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU):
Ein Dreierbündnis könnte nötig werden.
Photothek/Getty Images
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