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or 20 Jahren hatte Peter Altmaier Är-
ger mit den Nachbarn. Sein Fernseher
war zu laut, erinnert er sich, die Wän-
de seiner Wohnung in Berlin zu dünn.
Also kaufte Altmaier, schon damals
um Ausgleich bemüht, einen Kopfhörer der Firma
Sennheiser. Mittelstand wirkt, das will Altmaier mit
seinem Exkurs in die Vergangenheit sagen. Bei der
ersten Station seiner Sommerreise lässt sich der
Bundeswirtschaftsminister von den Brüdern Daniel
und Andreas Sennheiser die Zentrale ihres Famili-
enunternehmens zeigen.
Altmaier ist nicht mit leeren Händen gekommen.
Er hat ein Strategiepapier dabei, das mittelständi-
schen Betrieben große Versprechungen macht:
niedrigere Steuern und Abgaben, weniger Bürokra-
tie. Die Besteuerung auf eingehaltene Unterneh-
mensgewinne soll auf 25 Prozent begrenzt werden.
Daneben fordert der Wirtschaftsminister eine Ober-
grenze für die Besteuerung von Personen -
unternehmen von 45 Prozent. Die Sozialabgaben
will Altmaier langfristig unter 40 Prozent halten und
die Rücklagen in der Arbeitslosenversicherung für
eine Beitragssenkung nutzen. Vier bis fünf Milliar-
den seien drin. Auch der Bürokratieabbau soll den
Unternehmen finanziell helfen: Einsparungen von
einer Milliarde Euro stellt Altmaier in Aussicht.
„Ich begrüße die völlig überarbeitete, neue Mittel-
standsstrategie“, sagte Rainer Dulger, Präsident Ge-
samtmetall, dem Handelsblatt. „Nun müssen aber
wirklich schnell Taten folgen.“ Die Wirtschaft stehe
vor schwierigen Zeiten, da sei jede Verbesserung
der Rahmenbedingungen gut und wichtig. „Moder-
ne Arbeitszeiten, weniger Steuern, geringere Abga-
ben und weniger Bürokratie, so stemmen wir uns
gegen eine Rezession“, so Dulger.
Altmaiers Vorschläge treffen auf eine verunsi-
cherte Wirtschaft. Die Konjunktur schwächelt, eine
Rezession wird wahrscheinlicher. Der Ursprung
des Schwächeanfalls liegt in der Exportwirtschaft,
die unter den ungelösten Handelskonflikten zwi-
schen den USA und China leidet. Die Binnenkon-
junktur läuft noch. Gleichzeitig aber gibt es von der
Bundesregierung bisher kaum Unterstützung, um
den Abschwung abzufedern. Von der Abschaffung
des Solidaritätszuschlags werden gerade größere
Firmen nicht profitieren. Sie gehören zu den zehn
Prozent, die die Abgabe teilweise oder ganz weiter
zahlen sollen.
Aber es geht nicht nur um diese Zahlen, sondern
auch um Stimmung. Die SPD-Bundestagsfraktion
hatte für die von Finanzminister Olaf Scholz (SPD)
geplante Teilabschaffung des Solis extra eine kleine
Karikatur gebastelt, die sie am Tag des Kabinettsbe-
schlusses twitterte. Darauf hat es sich ein Anzugträ-
ger mit Sonnenbrille und Cocktail auf einer Liege
bequem gemacht, während neben ihm ein Fließ-
band Geldbündel abwirft. „Keine Steuergeschenke
für Spitzenverdiener“ lautet der Titel.
Dass sie von einer Regierungsfraktion als Faulen-
zer dargestellt werden, war für viele Besserverdie-
ner aus der Wirtschaft der Tropfen, der das Fass der
Soli-Frustration zum Überlaufen brachte. Als die
SPD dann wenige Tage später noch mit einem Kon-
zept zur Wiedereinführung der Vermögensteuer
nachzog, war die Stimmung endgültig vergiftet.
Reinhold von Eben-Worlée, Präsident des Verbands
der Familienunternehmer, schimpfte über einen
„Vernichtungsfeldzug gegen die Privatwirtschaft“.
Auch besonnenen Unternehmern wie Martin Her-
renknecht „schlackerten die Ohren“, wie er sagte.
Da sind die Worte des Wirtschaftsministers ein
kleiner Stimmungsaufheller. Steuerdebatten wür-
den mit einer „Sorglosigkeit“ geführt, die viele Mit-
telständler verstöre, kritisierte Altmaier mit Blick
auf die SPD-Karikatur. Solche Kampagnen seien ei-
ne „Verhöhnung des Mittelstands“. „Unternehmen
und Mittelständler liegen nicht auf der faulen Haut“,
sagte der Wirtschaftsminister. Den Vermögensteuer-
vorschlag nannte Altmaier eine „Diskussion aus der
Rumpelkammer, die großen Schaden anrichtet“. Er
stellt dem nun seine Entlastungspläne entgegen.
Die Frage aber bleibt: Welche Chance auf Umset-
zung haben diese? Aus Sicht der FDP, für die sich
Altmaiers Mittelstandskonzept wie der eigene libe-
rale Forderungskatalog liest, keine. Altmaier mache
„seinem Ruf als Ankündigungsminister einmal
mehr alle Ehre“, sagte der Vizechef der FDP-Frakti-
on, Michael Theurer. Er verwies darauf, dass Alt-
maier mit seiner Forderung nach einer vollständi-
gen Soli-Abschaffung bereits gescheitert ist und
auch beim Bürokratieabbau kaum vorankomme.
Von daher handle es sich weniger um eine Strategie
als einen „Offenbarungseid“, so Theurer. „Statt Pa-
pieren vor Wahlen braucht der Mittelstand Ergeb-
nisse.“
Doch bisher konnte sich Altmaier selten durchset-
zen. Auch gegen Teile seiner neuen Mittelstands-
strategie regte sich sogleich Widerstand in der SPD.
Eine große Entlastung bei den Unternehmensteu-
ern ist mit Finanzminister Scholz nicht zu machen.
Und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wies um-
gehend Altmaiers Vorschlag zu einer weiteren Bei-
tragssenkung bei der Arbeitslosenversicherung zu-
rück. Die SPD werde nicht dabei mitmachen, die
„Rücklagen der Arbeitsagentur zu plündern“.
Die Wirtschaft gibt sich deshalb keinen großen
Hoffnungen hin, auch wenn sie Altmaiers Mittel-
standskonzept begrüßt. „Es zeigt in wirtschaftlich
und politisch unsicheren Zeiten die richtigen Instru-
mente auf, um Mittelstand und Familienunterneh-
men auf dem Weg in die Zukunftsfähigkeit zu stär-
ken“, sagte Holger Lösch, stellvertretender Hauptge-
schäftsführer des Bundesverbands der Industrie
(BDI). Lösch schiebt hinter: „Entscheidend ist aber,
diese wirkungsvoll und gegen politischen Wider-
stand umzusetzen.“ Und da gibt es bei den Wirt-
schaftsverbänden Zweifel.
Auch in der Union macht man sich wenig Illu-
sionen. Altmaiers Vorschläge seien ein „wichtiges
Signal an den Mittelstand, dass dessen Rolle für
Wachstum und Wohlstand anerkannt wird. Jetzt
müssen wir möglichst viel davon umsetzen, wenn
wir glaubwürdig bleiben wollen“, sagt Vizefrakti-
onschef Carsten Linnemann (CDU), wohlwissend,
dass das nicht einfach wird. „Wenn die SPD nicht
mitmacht, müssen wir das offen und klar benen-
nen.“ Eines wird in diesen Tagen so zumindest
deutlich: Union und SPD wollen sich auf dem
Feld der Finanz- und Wirtschaftspolitik wieder
voneinander abgrenzen. M. Greive, J. Hildebrand,
M. Knodt, M. Koch, F. Specht, T. Sigmund
Lauter
Papiertiger
Wirtschaftsminister Altmaier will mit der Forderung nach
niedrigeren Steuern beim Mittelstand punkten. Doch die SPD macht
dabei nicht mit. Leidtragende ist die deutsche Wirtschaft,
die im drohenden Abschwung nicht auf Hilfe aus Berlin hoffen kann.
Peter Altmaier
besucht die Firma
Sennheiser:
Versuch, ein ge-
spanntes Verhältnis
zu entspannen.
shutterstock editorial
Ich begrüße
die völlig
überarbeitete,
neue Mittel -
standsstrategie.
Rainer Dulger
Gesamtmetall
Schwerpunkt
Die neue Eiszeit
(^6) WOCHENENDE 30./31. AUGUST / 1. SEPTEMBER 2019, NR. 167
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