ddp images/LaPresse
Regina Krieger Rom
K
aum hatte Staatspräsident Sergio
Mattarella am Donnerstagmorgen
Giuseppe Conte den Auftrag zur Bil-
dung einer neuen Regierung gege-
ben, drehte die Mailänder Börse
deutlich ins Plus. Selbst die Bankaktien zogen an.
Die Renditen der zehnjährigen Staatsanleihen fie-
len auf ein neues Allzeittief – unter die Marke von
einem Prozent.
Auch aus Brüssel und den europäischen Haupt-
städten kam ein positives Echo auf die Entschei-
dung Mattarellas. Noch-Kommissionschef Jean-
Claude Juncker telefonierte mit Conte, wünschte
gutes Gelingen und sagte, die EU zähle auf Italiens
Beitrag in Europa. Viele Vorschusslorbeeren für ei-
ne Regierung, die noch nicht mal steht.
Fünf Tage und viele intensive Gespräche hatten
die Bewegung Fünf Sterne und die Sozialdemokra-
ten (Partito Democratico) gebraucht, um sich zu ei-
nigen. Bisher waren sie einander feindlich gesinnte
politische Gegner. Am Ende hat die Vernunft ge-
siegt. Denn nach dem Ende der Populistenregie-
rung der Fünf Sterne mit Matteo Salvinis Lega war
die neue Koalition die einzige Möglichkeit, um Neu-
wahlen in Italien zu verhindern. Die hatte Salvini
gefordert und die Regierungskrise vor drei Wochen
ausgelöst. Jetzt steht er wie der große Verlierer da
- und geht in die Opposition.
Conte, der parteilose Juraprofessor, der vor ei-
nem Jahr zum Premier wurde, weil sich die Partei-
chefs Salvini und Luigi Di Maio nicht einigen
konnten, wer die Regierung führt, bekommt eine
neue Chance. Er gab sich nach einem langen Ge-
spräch mit Präsident Mattarella staatsmännisch.
„Ich werde alles tun, um Italien so schnell wie
möglich aus der Krise zu bringen“, sagte er. Und:
Er werde hart arbeiten, um Italien eine solide Re-
gierung zu geben.
Doch weder das Programm noch die Ministerlis-
te sind fertig. Conte trifft sich im Abgeordneten-
haus mit allen Parteien, berät sich, während die
Parteien am Programm formulieren. Mitte nächs-
ter Woche könnte die neue Regierung vereidigt
werden, heißt es in Rom.
Doch die Krise ist damit noch nicht zu Ende. Es
hakt gleich an mehreren Stellen. Da ist die Basis
der Fünf Sterne, die eine Onlineabstimmung auf ih-
rer Plattform Rousseau über die neue Regierung
fordert, da sind vor allem unterschiedliche Akzen-
te, die die beiden Parteien setzen wollen. Wirt-
schaftspolitik, Umwelt, Sicherheit, Europa, das
sind die großen Themen.
Die PD, die bis 2018 regiert hat – mit den drei
Premiers Enrico Letta, Matteo Renzi und Paolo
Gentiloni –, treibt die Diskussion voran. Für sie ist
das Bekenntnis zu Europa und dem Euro funda-
mental. Die Fünf Sterne beharren auf der von ih-
nen auf den Weg gebrachten Reduzierung der Ab-
geordnetenzahl, der Einführung eines Mindest-
lohns und einem Entwicklungsplan für den Süden.
Themen einer Linksregierung
Spannend ist die Frage, ob die Koalitionäre eine ge-
meinsame Position bei den Themen Sicherheit und
Flüchtlingspolitik finden. Die PD will Salvinis gera-
de erst im Parlament verabschiedetes Sicherheits-
paket rückgängig machen und auch die rigide Poli-
tik der geschlossenen Häfen ändern. Die Fünf Ster-
ne waren bis jetzt dem harten Kurs Salvinis gefolgt.
In Berlin erhoffe man sich insbesondere eine „grö-
ßere Offenheit“ der neuen Koalition in der Migrati-
onsfrage, um eine bessere Soforthilfe für die
Flüchtlinge im Mittelmeer möglich zu machen,
heißt es in Regierungskreisen.
Zwei gemeinsame Themen scheinen die künfti-
gen Koalitionäre gefunden zu haben: die Umwelt
und den Kampf für soziale Gerechtigkeit. Das sind
Themen einer Linksregierung, auch wenn Fünf-
Sterne-Chef Di Maio bei jeder Gelegenheit verkün-
det, seine Partei sei post-ideologisch.
Die Wirtschaft, vor allem die prekäre Haushaltsla-
ge des hochverschuldeten Landes, ist jedoch das
zentrale Thema, von dem das Gelingen oder Schei-
tern der neuen Regierung abhängt. „Ich setze mich
sofort daran, dass ein Haushalt aufgestellt wird, der
die Erhöhung der Mehrwertsteuer verhindert, die
Sparer schützt und dem Land eine Perspektive für
solides Wachstum gibt“, sagte Conte.
Bis Mitte Oktober muss der Haushaltsentwurf für
2020 nach Brüssel geschickt und bis zum Jahresende
vom Parlament verabschiedet werden. Das Budget
der drittgrößten Volkswirtschaft in der Euro-Zone ist
nicht nur durch eine von Rom akzeptierte Begren-
zung der Neuverschuldung, sondern auch wegen
der drohenden Erhöhung der Mehrwertsteuer ein
schwer zu lösendes Problem. Schon zweimal hat
sich die EU gnädig gezeigt, Italien konnte ein Straf-
verfahren wegen seiner überzogenen Ausgabenpoli-
tik abwenden. Aber es bleibt unter Beobachtung.
Ein Neuanfang
mit Hindernissen
Premier Conte bekommt eine zweite Chance. Seine neue
Linksregierung soll bereits nächste Woche die Arbeit aufnehmen.
Die Märkte reagieren positiv, doch die Skepsis bleibt.
Italiens Parlament
Sitzverteilung im italienischen Abgeordnetenhaus
Sitze Gesamt:
630
14
Liberi e
Uguali
(Linke)
111
Partito
Democratico
216
Fünf-Sterne-Bewegung
262
Rechtsallianz
Lega 125
Forza Italia 104
Fratelli d’Italia 33
27
Sonstige
HANDELSBLATT Quelle: Camera.it
Wirtschaft
& Politik
1
(^8) WOCHENENDE 30./31. AUGUST / 1. SEPTEMBER 2019, NR. 167
+DQGHOVEODWW0HGLDURXSPE+ &R.*$OOH5HFKWHYRUEHKDOWHQ=XP(UZHUEZHLWHUJHKHQGHU5HFKWHZHQGHQ6LHVLFKELWWHDQQXW]XQJVUHFKWH#KDQGHOVEODWWJURXSFRP