Die Welt Kompakt am Sonntag - 25.08.2019

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WELT AM SONNTAG NR.34 25.AUGUST2019 DEUTSCHLAND & DIE WELT 21


günstig wirken sich zum Beispiel Obst, Gemüse, Nüs-
se, Eiweiß und Ballaststoffe aus. Perfekt ist dieser Al-
gorithmus nicht. Zuckrige Cola erhält von Nutri-Score
ein dunkelrotes E, Cola mit Süßstoffen dagegen ein
hellgrünes B. Tiefgefrorene Pommes frites können so-
gar ein A erhalten, wenn es sich schlicht um rohe, ge-
schnittene Kartoffeln handelt. Erst durch die Zuberei-
tung in der Fritteuse landen sie beim C. Durch den
Nutri-Score wird nicht bewertet, wie viele Zusatzstof-
fe, Aromen, Konservierungsmittel ein Produkt ent-
hält. In manchen Fällen ist er schlicht zu ungenau, wie
auch sein Erfinder Hercberg einräumt (siehe Inter-
view). Zudem werden auch schlanke Menschen mit
niedrigem Blutdruck vor Räucherlachs gewarnt, wenn
dieser viel Salz enthält, obwohl das für sie wenig Rele-
vanz haben dürfte.

VIER MODELLE Julia Klöckner muss nun eine Ent-
scheidung fällen. Die Ministerin, die schon mehrfach
wegen Industrienähe kritisiert wurde, hat dafür eine
Verbraucherbefragung angekündigt, bei der vier Mo-
delle getestet werden sollen: der Nutri-Score, das Mo-
dell der Lebensmittelindustrie, das neue MRI-Modell
mit den Sternen und das schlichte skandinavische
Schlüssellochmodell. Bei Letzterem werden gesunde
Produkte mit einem Schlüsselloch ausgezeichnet, alle
anderen tragen keine Kennzeichnung. Im Gegensatz
zur jahrelangen Forschung zum Nutri-Score sind zwei
dieser Modelle – nämlich die von Industrie und MRI –
bislang noch überhaupt nicht erprobt worden.
„Das Ergebnis dieser ergebnisoffenen Forschung
wird für die Bundesministerin maßgeblich sein“, sagt
Hermann Onko Aeikens, Staatssekretär im Bundesmi-
nisterium für Ernährung und Landwirtschaft. „Die
Verbrauchergewohnheiten können sich von Land zu
Land unterscheiden. Daher brauchen wir eine zusätz-
liche Verbraucherbefragung explizit für Deutschland.
Ergebnisse aus anderen Ländern sind nicht eins zu
eins übertragbar.“

FORTSETZUNG AUF SEITE 22

DAS PROBLEM Übergewicht ist zur weltweiten
Epidemie geworden. Laut Weltgesundheits-
organisation sind in Europa 56 Prozent der Men-
schen übergewichtig, Tendenz steigend. Hoch
verarbeitete Fertiggerichte sind problematisch,
wie Wissenschaftler in einer Studie im Fachma-
gazin „Cell Metabolism“ zeigten. Danach aßen
Menschen von verarbeiteten Gerichten mehr als
von frischen Lebensmitteln. „Den Verbrauch von
hoch verarbeiteten Lebensmitteln zu begrenzen
könnte eine effektive Strategie sein, um Überge-
wicht vorzubeugen und zu behandeln“, schluss-
folgern die Forscher.

EIN LÖSUNGSANSATZ Wissenschaftler des
Cochrane-Instituts werteten acht Studien aus, in
denen Probanden diverse Getränke einkauften.
Die Limonaden, Säfte, Tees und Kaffees waren
mit unterschiedlichen Labels versehen, die den
Zuckergehalt anzeigten. Die Labels führten dazu,
dass die Probanden letztlich weniger zuckerhalti-
ge Getränke einkauften.

FARBE IST WICHTIGDer Effekt ist bei farb-
kodierten Labels stärker als bei rein numerischen
Nährwert-Scores. Die Wirksamkeit von Lebens-
mittel-Labels wurde in den letzten Jahren von

unterschiedlichen Forscherteams immer wieder
untersucht. Dabei zeigte sich stets, dass sie Kon-
sumenten eher zu Produkten von höherer Er-
nährungsqualität greifen lassen. Immer wurde
deutlich: Farbkodierte Systeme sind wirksamer.
Dass sie länderübergreifend funktionieren, zeigte
eine internationale Studie, an der Nutri-Score-
Entwickler Serge Hercberg und sein Team betei-
ligt waren. Hercberg testete 2018 in zwölf Län-
dern – u.a. Mexiko, USA, Kanada, Australien, Bul-
garien, Frankreich und Deutschland – an je 1000
Probanden fünf verschiedene Nährwert-Labels:
den Nutri-Score sowie die britische Lebensmittel-
Ampel, die Nährwerttabelle, die auf der Verpa-
ckungsrückseite aufgedruckt ist, sowie ein nicht
farbkodiertes Fünf-Sterne-Bewertungssystem
und ein einfaches Warnlabel („hoher Salzgehalt“).
Die Probanden bekamen je drei Pizzen, drei Ku-
chen und drei Frühstückscerealien angezeigt
(gering, mittel und hochwertig) und sollten diese
nach Qualität einordnen. Dabei bekamen sie
zunächst nur die Verpackung ohne Lebensmittel-
Label zu sehen. Dann wurde ihnen zufällig eines
der fünf Label zugeteilt, und sie sollten Produkte
erneut ranken. Das Ergebnis: In allen Produktka-
tegorien und in allen Ländern erzielte die Nutri-
Score-Gruppe die höchsten Trefferquoten.
JENS LUBBAD

Ein kleiner Aufdruck – eine große Hilfe bei der Entscheidung

BLL-Modell

Keyhole

Die verschiedenen Systeme
WWWelches hilft am besten aufelches hilft am besten auf
den ersten Blick?

ILLUSTRATIONEN: KARIN STURM FÜR WELT AM SONNTAG

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