Die Welt Kompakt am Sonntag - 25.08.2019

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24 FORUM WELT AM SONNTAG NR. 34 25. AUGUST 2019


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er kennt es
nicht – die-
ses beklem-
mende Ge-
fühl! Man
will etwas sagen, aber bevor das
Wort hinauskommt, schaltet sich
der Sprachautomat ein, der hi-
nausruft, was man eigentlich gar
nicht sagen wollte. Manche füh-
len sich schlecht, weil sie gern
gesagt hätten, was ihnen auf der
Zunge lag, andere heulen mit
den Wölfen, weil sie nicht ein-
mal ahnen, was sie hätten sagen
können, wenn der Automat in
ihnen abgeschaltet worden wäre.
Die Unfreiheit ist dort am größ-
ten, wo überhaupt keine An-
weisungen mehr erteilt werden
müssen. Man nimmt schon vor-
weg, was geschehen könnte,
wenn man Abweichendes ins
Mikrofon ruft oder zu Papier
bringt. „Schreiben mit Kondom“


  • so hat der Schriftsteller Tom
    Liehr diese Praxis genannt. Was
    in der Diktatur erzwungen wird,
    tut sich hier jeder selbst an.
    Denn es fällt leichter, einer Ob-
    rigkeit zu widersprechen, mit
    der sich ohnehin niemand ge-
    mein machen will, als sich den
    betretenen Blicken der selbst
    erklärten Mehrheit auszusetzen,
    die aus moralischen Gründen für
    anstößig hält, was einer sagt.
    Solche Selbstüberwachung hält
    sich nur deshalb erfolgreich am
    Leben, weil viele einen Vorteil
    davon haben: jene, die sie sich
    zur Waffe machen können, aber
    aaauch jene, die im Chor der Ein-uch jene, die im Chor der Ein-
    verstandenen singen. Die einen
    erzielen mit geringem Aufwand
    einen Machtgewinn, indem sie
    Kritiker zu Aussätzigen erklären,
    ohne sich mit ihrem Anliegen
    befassen zu müssen, die anderen
    erleben sich als Mitglieder einer
    Kirche von Wohlgesinnten, in der
    allein das Gute zu Hause ist.
    Nichts hebt das Wohlgefühl so
    sehr wie die Gewissheit, Teil
    eines großen Ganzen, nicht allein
    unter der Sonne und ganz gewiss
    im Recht zu sein.
    Zur Gegenwart gehört das
    Geschrei, ihr Idol ist der geist-
    lose Schwätzer, der unaufhörlich
    Unsinn redet, aber glaubt, sein
    Unsinn sei von besonderer Be-
    deutung, weil er öffentlich belo-
    bigt und moralisch beglaubigt
    wird. Das Immer-recht-haben-
    Müssen, diese Selbstgefälligkeit,
    mit der Abweichendes moralisch
    diskreditiert wird, macht auf
    Dauer blind und dumm. Manche
    hören nur noch sich selbst, be-
    rauschen sich an ihren Gebeten
    und immunisieren sich gegen
    jede Wirklichkeit, die sie nicht
    selbst entworfen haben.


Wer hätte es vor Jahren noch
für möglich gehalten, dass sich
Menschen eines Tages auf solch
würdelose Weise selbst ent-
mündigen würden? Menschen,
die im Haus der Aufklärung
wohnen, wollen dergleichen
nicht mehr hören, sehen und
lesen. Aber wo sind die Exzentri-
ker, die Neinsager, die es wagen,
einer Übermacht ins Gesicht zu
lachen, die in Wahrheit doch nur
einen Fahrradhelm trägt? Und
was könnte man tun, um der
freien Rede und dem Wettstreit
der Argumente wieder einen
Raum zu öffnen? Die Antwort
lautet: Wir müssen den Stören-
fried in uns wieder zum Leben
erwecken.

Leichter gesagt als getan.
Denn die Heilung fiele leichter,
wenn das Diktat als staatliche
Verordnung identifiziert werden
könnte. Ihrer könnte man sich
entledigen: durch Gegenrede,
Demonstrationen, Wahlen und
vieles mehr. Wenn sich aber die
Moral der herrschenden Klassen
in eine verbindliche Handlungs-
anweisung für jedermann ver-
wandelt, weil jeder das richtige
Verhalten aus der Situation ab-
leitet, treten Normen an die
Stelle von Befehlen. Nun redu-
ziert sich der Aufwand, der zur
Verhaltenssteuerung betrieben
werden muss. Wer jetzt öffent-
lich widerspricht, redet sich
schnell um Kopf und Kragen,

weil gegen die Neigung der
meisten Menschen, anderen ihre
Lebensführung aufzuzwingen,
kein Kraut gewachsen ist. Wo
das Meinen und Empfinden
darüber befindet, was statthaft
ist und was nicht, hat das Argu-
ment einen schweren Stand.
Gegen die Leidenschaft der
Menschen, sich in das Leben
anderer einzumischen, kommt
man nur an, wenn es gelingt, den
Schaden zu Bewusstsein zu brin-
gen, der auch für jene entsteht,
die anderen Vorschriften ma-
chen wollen. Wir haben das
Recht, uns gegen Übergriffe
anderer Menschen zu schützen.
Aber das eigene Wohlbefinden
ist keine Rechtfertigung dafür,

enn sich in Biar-
ritz nun die an-
geblich sieben
größten Wirtschaftsnationen
der Welt treffen, dann ist
das nichts weniger als eine
Lüge. Nach Wertschöpfung
sind vier der tatsächlich
Großen im französischen
Baskenland nicht vertreten:
China, die Nummer eins,
Indien (3.) Russland (6.) und
Indonesien (7.). Die Liste
der Abwesenden zeigt auch,
wohin sich die Gewichte der
WWWeltwirtschaft verschieben:eltwirtschaft verschieben:
nach Osten. Indien ist von
der Autoindustrie über die
Digitalisierung bis hin zum
Handel inzwischen weit
mächtiger als der ehemalige
Kolonialherr Großbritan-
nien, was vielleicht auch ein
wenig den Brexit-Komplex
erklärt: Wer nur noch mit
sich selbst spricht, hat es
leicht, sich von der eigenen
Größe zu überzeugen. Das
gilt auch für die USA, in den
vergangenen zehn Jahren
hinter China zurückgefallen,
was auch der jetzt aggressive
KKKurs nicht verdecken kann.urs nicht verdecken kann.
Für den Gipfel in Biarritz
ist wenig Gutes zu erwar-
ten. Boris Johnson hat sich
selbst in eine Lage manö-
vriert, die ihm kaum Hand-
lungsmöglichkeiten lässt.
Donald Trump treibt zwar
die westliche Welt vor sich
her, aber ohne Kompass
und Landkarte auf ein un-
bekanntes Ziel hin. Dabei
ist es doch die veränderte
Reihenfolge der Wirt-
schaftsmächte, die ein ge-
meinsames Interesse der
westlich orientierten, der
demokratischen Welt be-
deuten sollte: Nur zusam-
men können es die nun
verhältnismäßig kleinen
Mächte schaffen, Regeln zu
schaffen und auch durch-
zusetzen. Wenn es in Biar-
ritz jetzt nicht in diese
Richtung geht, wird das
dem ganzen Westen scha-
den. Seinen Werten wie
Demokratie und Freiheit
auch. Peter Schelling

Letzte


Chance


Biarritz


„G-7-TREFFEN“

Störenfriede


gesucht!


IMPRESSUM

Wir brauchen Neinsager, Exzentriker, Leute, die es


wagen, dem Stumpfsinn des Zeitgeistes ins Gesicht


zu lachen, fordert der Historiker Jörg Baberowski


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