er Spiegel - 10. August 2019

(John Hannent) #1
E

in weitläufiges Grundstück in
Berlin-Spandau, hohe Zäune, Ge-
strüpp, schmucklose Hallen. Zwei
Hallen werden als Bilderlager ge-
nutzt, Hunderte Gemälde befinden sich da-
rin, viele davon nach Hitlers Geschmack.
Nicht wenige gehörten ihm sogar.
Die Bilder wurden hier vom Deutschen
Historischen Museum abgestellt, um
vergessen zu werden. Das Berliner Muse-
um betreut Tausende Kunstobjekte aus
der NS-Zeit, in Spandau werden die mehr
als 900 Gemälde gelagert, die Zeichnun-
gen jener Jahre sind in einem anderen
Depot.
Es ist merkwürdig still um diese Kunst,
und das ist nicht gut fürs Land. Davon,
dass alle schweigen, erledigen sich die Din-
ge nicht. Im Gegenteil. So viel ist erforscht
und aufgeklärt worden, die Kunst von da-
mals aber ist eine Art Tabu. Offenbar wird
gerade den Bildern eine große, sogar ge-
fährliche Macht unterstellt.
Manchmal sind nicht nur die Debatten
von Interesse, die geführt werden, sondern
es ist ebenso bezeichnend, welche gar
nicht erst aufkommen. Viele der Werke
von damals wären für die Aufarbeitung
der Geschichte und Kunstgeschichte dieses
Landes von großer Bedeutung. Doch die-
ses Land stört sich nicht daran, dass das
nicht geschieht, es stört sich nicht einmal
daran, dass es über die wichtigsten Bilder
nicht selbst verfügt. So erkennt man am
Beispiel Kunst, wie absurd mit der Ge-
schichte stellenweise noch umgegangen
wird.
Die Kunstgeschichte der NS-Zeit kennt
die Widerständler, die meist Modernisten
waren. Und die Fahrensleute der Nazis,
die überkommenen ästhetischen Vorstel-
lungen folgten. Doch so einfach war es
nicht, diese Erzählung geht nicht auf. Es
gab Modernisten, die sich den Nazis an-
dienten, und mächtige Nazis, die moder-
nistische Bilder kauften und schätzten. Die
Werke liegen heute allerdings zu großen
Teilen im kühlen Schatten von Lagerhal-
len, in Deutschland wie in den USA. Wie
viele es sind, zeichnet sich erst langsam
ab – und was ihre Geschichten sind.
Die oft großformatigen Ölbilder in Span-
dau enthalten viel Pathetisches: U-Boote,


die aus Wellenbergen auftauchen, monu-
mental wirkende Berglandschaften, monu-
mental wirkende Körper. Unmissverständ-
lichere Verweise auf das NS-Regime und
seine mörderische Ideologie lassen sich nur
sporadisch ausmachen, etwa auf einem Ge-
mälde, das KZ-Insassen in einem Stein-
bruch zeigt. Das heißt nicht, dass es nicht
mehr solcher brutalen bis zynischen Bilder
und Skulpturen gab.
586 weitere Werke deutscher NS-Kunst
befinden sich in den USA, sie werden auf
einer Militärbasis namens Fort Belvoir ge-
lagert, wenige Meilen von der Hauptstadt
Washington entfernt. Darunter ein riesiges
Tableau mit dem Titel »Hitler an der
Front«, ein anderes heißt »Organisation
Todt«. Auch ein riesiger Hitlerkopf aus
Bronze gehört zur »Sammlung deutscher
Kriegskunst«.
Ein Teil der deutschen Geschichte liegt
nahe der amerikanischen Hauptstadt, im
Verborgenen, ein anderer in Deutschland
selbst. Mit eigentümlichen Verbindungen:
An einer ausziehbaren Gitterwand in
Spandau hängen etwa zwei schmale hohe
Tafeln, die offensichtlich zusammengehö-
ren. Links ein Arbeiter unter Tage, rechts
ein Bauer mit Vieh, beide starren den Be-
trachter regelrecht an, irgendwie trotzig.
Die dritte, mittlere Tafel des Triptychons
von Hans Schmitz-Wiedenbrück fehlt in
Spandau, sie wäre der Schlüssel zu dem
Werk, sie zeigt drei Soldaten, die Heer,
Luftwaffe und Kriegsmarine repräsentie-
ren; eine Hakenkreuzfahne flattert.
Dieses Mittelteil ist seit Jahrzehnten in
der Obhut des US-Militärs.

Wer sich mit der Kunst der NS-Zeit be-
schäftigt, hat eine unübersichtliche, fast
unsichtbare Gemengelage vor sich.
Das amerikanische Militär holte nach
dem Krieg etwa 9000 Werke in die USA.
Die meisten schickten die Amerikaner im
Laufe der folgenden Jahrzehnte zurück,
zwischen den Fünfzigern und den Achtzi-
gern – einen besonders heiklen Restbe-
stand behielten sie ein.
In Deutschland wurden die aus den
USA zurückgekehrten Bilder an verschie-
denen Standorten eingelagert. Irgend-
wann gingen sie ans Deutsche Historische

Museum, blieben aber Eigentum der Bun-
desrepublik. Die Verantwortung liegt bei
der Behörde der Kulturstaatsministerin
Monika Grütters.
Vor wenigen Wochen wurde beschlos-
sen, dass Grütters künftig sogar die Rechts-
und Fachaufsicht über den gesamten Kunst-
besitz des Bundes übernimmt. Sie ist nun
die oberste Instanz der Regierung in Kunst-
angelegenheiten. Auf die Frage, wie ihre
Haltung zu jener NS-Kunst sei, die in den
USA lagert, heißt es aus ihrem Amt
schwammig, Fragen der Rückführung deut-
scher Kultur güter könnten nicht gleichge-
setzt werden mit der Aufarbeitung des von
den Nationalsozialisten betriebenen mas-
siven Raubes von Kulturgut insbesondere
aus jüdischem Besitz. Und: Zuständig für
die deutsche Kriegskunst, die sich in den
USA befindet, sei das Auswärtige Amt. Die

104 DER SPIEGEL Nr. 33 / 10. 8. 2019


Kultur

Unter Verschluss

KunstgeschichteZehntausende Werke aus der NS-Zeit liegen in


Depots verborgen. Auch die USA halten Skulpturen,
Gemälde, Zeichnungen aus dem Nazireich zurück – die Angst vor

der Macht der deutschen Bilder ist groß.Von Ulrike Knöfel


Mittelteil des Triptychons »Arbeiter, Bauern
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