er Spiegel - 10. August 2019

(John Hannent) #1

und Öffentlichkeit lange gesperrt; es sind
vor allem diese Gemälde, die heute im
Spandauer Depot hängen.
Wie gesagt, auch ein Großteil der ande-
ren Werke ging an Deutschland zurück –
und wanderte hier ins museale Jenseits.
Laut Maertz, der Gilkey noch selbst ge-
troffen hat, soll dieser etwa hundert Werke
für seine private Kollektion abgezweigt ha-
ben – eine Sammlung, die er später dem
Portland Art Museum schenkte. Das erhielt
von ihm etwa die Zeichnung »Vom Bau des
Atlantikwalls« des deutschen Künstlers Alf
Bayrle. Im Museum heißt es, man sei sich
keiner illegalen Aktivitäten Gilkeys bewusst.
Gilkey war von Haus aus Grafikkünstler,
nach seiner Rückkehr in die USA arbeitete
er als Lehrer, war Kunstsammler, später
auch Kurator in dem Museum in Portland.
Maertz nennt ihn nun außerdem einen
»Kunsträuber« – und greift ähnlich offen-
siv auch die USA an, die ihre Befehle zur
Beschlagnahmung nie aufgearbeitet hät-
ten. Vielmehr hätten sie den Eindruck
erweckt, sie würden im Gegensatz zur
Sowjetunion deutsches Kulturgut respek-
tieren – ein Mythos. Im Grunde handle es
sich bei dem in den USA verbliebenen Be-
stand um »Kriegstrophäen« und dass man
diese der Öffentlichkeit vorenthalte, sei
ein Akt der »Zensur«.
Im kommenden Jahr soll in Fort Belvoir
ein neues, sehr großes militärhistorisches
Museum eröffnet werden, es bleibt abzu-
warten, ob die zuständigen Fachleute die
NS-Kollektion dann ans Licht holen.
Maertz will aber noch etwas anderes
aufzeigen, und das mag manchem als die
größere Provokation erscheinen: Seiner
Meinung nach gab es eine »Nazi-Moder-
ne« – und die Amerikaner hätten mithilfe
von Gilkey die Kunstgeschichte um diesen
Aspekt bereinigt. Der Autor betont, die
sogenannte NS-Kunst sei stilistisch vielfäl-
tiger gewesen, als ihr stets unterstellt wer-
de. Richtungen wie Neo-Impressionismus,
Expressionismus, Surrealismus, Neue
Sachlichkeit seien – parallel zur konserva-
tiven Bildsprache – fortgeführt worden.
Sie dienten sozusagen als Verpackung der
rassistischen und mörderischen Ideologie.
Auf dem Cover seines Buches bildet
Maertz das Gemälde »Der Bannerträger«
von Hubert Lanzinger ab. Das ist eines
der Bilder, die sich noch in den USA befin-
den, es stellt Hitler zu Pferde dar, in einer
fast futuristischen Rüstung und als Träger
einer Hakenkreuzflagge. Der Österreicher
Lanzinger war vor 1933 ein moderater Ma-
ler der Neuen Sachlichkeit gewesen, daran
knüpfte er mit diesem Bild an.
Trotzdem erstaunt Maertz’ Behaup-
tung. In ihrer Zuspitzung scheint sie allen
Gewissheiten zu widersprechen. Die be-


* Oben: »Serpentinen bei Derna«, 1942; unten: Aus-
schnitt aus »Der Bannerträger«, 1934/36.

sagen, dass die Moderne vollständig aus
dem »Dritten Reich« verbannt worden sei.
Und doch habe es, betont Maertz, immer
wieder Tendenzen von Funktionären, von
Künstlern gegeben, die Neue Sachlichkeit
und andere modernere Stile zu etablieren.
Baldur von Schirach förderte entsprechende
Ausstellungen, auch als Statthalter von
Wien. Nicht weil er ein besserer Mensch war,
sondern weil er glaubte, sich und die Dikta-
tur unübersehbar profilieren zu können.
Noch irritierender: Es gab Überschnei-
dungen zwischen sogenannter entarteter
Kunst und jenen Werken, die die Nazis als
ideale deutsche Kunst feierten. Maertz
nennt mehr als 60 Künstler, deren Werke
1937 von den Nazis bei ihrem großen Bil-
dersturm als zu modern aus den Museums-
beständen gerissen wurden – die dann
aber andere Arbeiten bei Hitlers geliebten
Großen Deutschen Kunstausstellungen
einreichen durften.
Einige dieser verfemten Künstler wur-
den von Hitler selbst durch Ankäufe
berücksichtigt (und aufgewertet). Nur ein
Beispiel von etlichen: Von Will Tschech
wählte er 1939 das Ölbild »Winter in der
Altstadt Düsseldorf« für die Große Deut-
sche Kunstausstellung aus, zwei Jahre zu-
vor waren von Tschech zwei Werke in
den Kunstsammlungen der Stadt Düssel-
dorf konfisziert worden.
Mehr als 50 Künstlersoldaten der Wehr-
macht waren Jahre zuvor als Schöpfer ent-
arteter Kunst bekämpft worden, so hat es
Maertz recherchiert. Die Kriegskunst der

Deutschen zeigt seiner Meinung nach so-
gar am deutlichsten eine echte Bandbreite
der Stile.

Auch viele Biografien der Künstlerlas-
sen sich schwer vereinheitlichen, ihre Le-
bensläufe widersprechen der Ufo-These. Sie
hatten ein Leben vor und nach der Diktatur.
Da war der Maler Wilhelm Wessel, der
in den Zwanzigerjahren ansatzweise ex-
pressiv malte. Eine seiner frühen Zeich-
nungen wurde 1937 von den Nazis in
einem Museum in Münster als »entartet«
beschlagnahmt. Wessel passte seinen Stil
an, malte Landschaften, brave Porträts.
Später wurde er Kriegsmaler, 1943 wurde
das von ihm illustrierte Buch »Mit Rom-
mel in der Wüste« veröffentlicht, 1944
»Umkämpftes Römisches Land«.
Nach 1945 malte er so selbstbewusst
ungegenständlich, als hätte er nie etwas
anderes getan. Als Vorsitzender des West-
deutschen Künstlerbunds verfügte er in
den Fünfzigerjahren über einen großen
Einfluss. Die Namen vieler Wehrmachts-
künstler – Heeresmaler, Marinemaler, Ma-
ler der Luftwaffe – gerieten in Vergessen-
heit, auch seiner. Einer der wenigen, denen
es anders erging, war der Maler und Autor
Lothar-Günther Buchheim.
Doch andere Künstler wurden regel-
recht verklärt, obwohl sie genauso ver-
strickt waren. Nicht nur Emil Nolde, da
waren mehr: etwa der Maler Christian
Schad. In den Zwanzigern war er einer der
wichtigsten Vertreter der Neuen Sachlich-
keit, ein wirklich radikaler Künstler, doch
er hielt sich auch während der Diktatur
ganz gut – obgleich er später seine frühe
NSDAP-Mitgliedschaft zu relativieren ver-
suchte. Von seiner Teilnahme an der ersten
Großen Deutschen Kunstausstellung, für
die er etwa das Bildnis »Isabella« einge-
reicht hatte, sprach er nicht mehr. Sein Por-
trät der blonden Ufa-Schauspielerin und
Veit-Harlan-Gattin Kristina Söderbaum ge-
langte wegen eines Abdrucks auf einer Zeit-
schrift ebenso zu Populärität im Nazireich.
Demnächst wird in Aschaffenburg ein
ihm gewidmetes Museum eröffnet, und si-
cher werden die Kuratoren dann auch auf
dieses Kapitel zu sprechen kommen müs-
sen. Die Kunsthistorikerin Bettina Keß
wurde mit einer Studie beauftragt. Über
Schad schreibt sie, »das Fremd- und Eigen-
bild eines ›großen Unangepassten‹« sei im
Lichte der Quellen »zu hinterfragen«.
Lange wurde viel über die unschönen Sei-
ten der schönen Künste hinweggelogen. Eine
wirklich grundlegende, wirklich wissen-
schaftliche Erforschung der Kunst aus dem
nationalsozialistischen Deutschland würde
das Bild der Diktatur vervollständigen.
Immerhin war es die Diktatur eines
Mannes, der Bilder mehr zu schätzen
wusste als Menschen.

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Kultur

ERICH LESSING / AKG
Wessel-Zeichnung, Lanzinger-Gemälde*
Moderner als unterstellt

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