er Spiegel - 10. August 2019

(John Hannent) #1

lerdings nicht, weil sie ein Zeichen gegen
die AfD setzen wollten. Sondern weil sie
die politische Neutralität der Feuerwehr
gefährdet sahen, wie es im Brief heißt.
Es scheint der einzige Widerstand, der
sich gegen Lützow formiert. Den wundert
das nicht: »Wir sind angekommen«, sagt
er. Auf der Festwiese Mahlow findet die-
sen Samstag ein Kinder- und Bürgerfest
statt. Auf Plakaten sind bunte Luftballons
zu sehen, eine Hüpfburg, Kinderschmin-
ken und Stockbrot soll es geben. Die Tre-
ckerfreunde und die Lützower Jäger sind
auch dabei. Weiter unten auf dem Plakat
stehen unscheinbar drei weiße Buchsta-
ben: »AfD«. Sie veranstaltet das Fest.
In der Öffentlichkeit wird diskutiert,
wie radikal die AfD ist und wie radikal sie
noch werden könnte. Der Verfassungs-
schutz prüft die verfassungs-
feindlichen Tendenzen in der
Partei, der »Flügel« und die
»Junge Alternative« wurden als
Verdachtsfall eingestuft. Die
Identitäre Bewegung, die mit der
AfD-Jugend verbunden ist, hat
die Behörde als rechtsextremis-
tisch bewertet.
Es ist noch zu früh, um zu
sagen, welche Wirkung das auf
das Wahlverhalten haben wird.
Vermutlich aber keine große:
Auch die Skandale um ehemali-
ge NPD- oder Kameradschafts-
mitglieder unter AfD-Politikern
oder ihren Mitarbeitern hatten
bisher kaum einen Effekt auf die
Beliebtheitswerte der Partei.
Zwar sind auch die Westfunk-
tionäre der AfD in den Kegel -
vereinen, Tennisklubs oder Wirt-
schaftskammern ihrer Heimatorte verwur-
zelt. Aber anders als in Böblingen, Cux-
haven oder Bonn wird man im Osten als
AfD-Politiker nicht so schnell zum Außen-
seiter. Für ostdeutsche Ohren klingen auch
die völkischen Töne der AfD-Frontleute
weniger abschreckend. Rechts zu sein
scheint hier kaum tabuisiert zu sein – im
Gegenteil: Der Anhängerschaft können
die Töne gegen das Establishment kaum
scharf genug sein. Es ist kein Zufall, dass
der »Flügel« hier gegründet und erfolg-
reich wurde.
Auch stört man sich im Osten wenig an
den undurchsichtigen Wahlkampfhilfen
für Parteichef Jörg Meuthen oder Frak -
tionschefin Alice Weidel. Andere Parteien
hätten doch auch Spendenskandale.
Der AfD-Erfolg im Osten könnte auch
daran liegen, dass es eben nicht nur die
Nationalisten, Hetzer und Spenden-
schummler sind, die das Bild der Partei
prägen. Es sind auch Menschen wie Harald
Frank aus Thüringen.
Der 62-jährige Verleger wartet im Ein-
gangsbereich seiner Druckerei. In einer Vi-


trine sind die Produkte des Familienunter-
nehmens aufgereiht: Schachteln für Scho-
kolade, Spielzeug, Haushaltsgeräte. Frank
trägt ein weißes Poloshirt, hat einen grau
melierten Dreitagebart und erinnert äu-
ßerlich ein wenig an den FDP-Bundes -
tagsvizepräsidenten Wolfgang Kubicki.
Tatsächlich war Frank früher bei den Li-
beralen, dann ärgerte er sich über deren
Europolitik und trat aus. 2014 landete er
bei der AfD, führt nun deren Stadtratsfrak-
tion, mit zwölf Sitzen ist es die größte.
In seiner Druckerei verlegt Frank seit
1993 auch die kostenlose Wochenzeitung
»Neues Gera«, in der bis vor wenigen Mo-
naten auch die öffentlichen Bekanntma-
chungen der Stadt Gera erschienen. Aus
der redaktionellen Arbeit halte er sich
größtenteils raus, wie er sagt. Aber gut,

»heimatgeschichtliche und politische Sa-
chen« schreibe er auch selbst.
Was trieb ihn zur AfD? »Es war die all-
gemeine Unzufriedenheit, dass sich die
Politik zu weit von den Menschen entfernt
hat.« Er habe die Abhängigkeiten in
Europa, die Schuldenberge nicht mehr
tatenlos mitansehen wollen.
Alte politische Bekannte verteidigen
ihn. »Harald Frank ist eigentlich ein rech-
ter FDPler«, sagt etwa der Ratsherr der
Linken, Daniel Reinhardt. Man kennt sich
seit ein paar Jahren aus dem Stadtrat.
Frank sei besonnen, ruhig. Einer, »mit dem
man reden kann«. Doch ein anderer Stadt-
rat, der anonym bleiben will, wirft Frank
vor, mit Rechtsradikalen zu paktieren. Er
toleriere, dass während ihrer Sitzungen
AfD-Anhänger gemeinsam mit NPDlern
im Publikum säßen. »Gefährliche Leute,
mit denen er sich abgibt«, sagt der Stadtrat.
Das mache Frank, der so harmlos wirke,
selbst gefährlich.
Auf die Frage, warum die AfD im Osten
doppelt so stark ist wie im Westen, gibt es
keine eindeutige Antwort. An der wirt-

schaftlichen Situation allein kann es kaum
liegen. So beurteilen nach einer Allens-
bach-Umfrage sowohl 53 Prozent der
Westdeutschen als auch 53 Prozent der
Ostdeutschen ihre wirtschaftliche Situa -
tion als positiv. Auch die Zufriedenheit der
Rentner ist etwa gleich groß. Und selbst
die Haltung zur Migrationspolitik weicht
laut der Umfrage in Ost wie West nicht
weit voneinander ab.
Auch der Politikwissenschaftler Michael
Lühmann vom Göttinger Institut für De-
mokratieforschung sagt, die These von den
»Abgehängten« sei nicht belegt. So sei die
AfD in Chemnitz deutlich stärker als in
Rostock, obwohl dort das Durchschnitts-
einkommen niedriger sei. Skeptischer als
die West- sind die Ostdeutschen allerdings
bei der Frage, ob die Demokratie der Bun-

desrepublik die beste Staatsform sei. Das
Allensbach-Institut schreibt von einem Ge-
fühl der »Fremdheit«, das einen Teil der
Menschen im Osten immer noch präge.
Die AfD gibt diesen Menschen ein Zu-
hause und befeuert ihre Systemkritik. Im
derzeitigen Wahlkampf sind Slogans zu se-
hen wie »Wende 2.0.«, »Der Osten steht
auf«, »Werde Bürgerrechtler«. Die Bun-
desrepublik wird als »DDR light« diffa-
miert. Es ist der Versuch, sich in die Tradi-
tion der Umstürzler von 1989 zu schmug-
geln. »Indem die AfD die Opferrolle der
Ostdeutschen so groß macht, verstärkt sie
die ostdeutsche Identität und spielt sie ge-
gen den vermeintlich linksgrünen Westen
aus«, sagt Politikwissenschaftler Lühmann.
Wenn man Steffen Janich, 48, fragt, ob
er Gegenwind dafür bekommt, dass er in
der AfD ist, lacht er. »Hier in der Sächsi-
schen Schweiz sind wir auf der Sonnen -
insel der AfD.« Es habe noch nie Probleme
gegeben mit Angriffen auf das Büro, sagt
er. Veranstaltungen der Partei blieben
ohne nennenswerte Gegendemonstration,
und nur ganz selten seien Gastronomen

16 DER SPIEGEL Nr. 33 / 10. 8. 2019

Deutschland

AfD-Politiker Kaufner in Dallgow-Döberitz, Janich, Jacob in Weira:
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