er Spiegel - 10. August 2019

(John Hannent) #1

Stimmen. Ein Überraschungserfolg, aber
nur halb so viel, wie die Wahlsieger von
M5S errungen hatten.
Inzwischen haben sich die Gewichte
umgekehrt. Salvini liegt in Umfragen weit
vorn – er braucht Di Maio nicht mehr.
Wenn die Demoskopen recht behalten,
könnte er Ministerpräsident einer Rechts-
regierung werden, etwa mit der am äußeren
Rand stehenden Partei »Fratelli d’Italia«
als Partner.
Doch dafür fehlen ihm noch Stimmen
aus dem Süden, dem Ziel seiner eigentlich
geplanten Strandtournee, wo seine Partei
noch hinter den Fünf Sternen liegt. Jetzt
schaltet der Lega-Chef wohl ganz in den
Wahlkampfmodus um.
Auf der Bühne erleben die Besucher
seiner Beach-Tour eine bemerkenswerte


Show, mitunter aggressiv, immer unterhalt-
sam, zwischendurch kumpelhaft, sympa-
thisch, bescheiden. Salvini spricht viel da-
von, wie er mit sich ringe, wie wenig ihm
die Macht bedeute.
»Gesunder Menschenverstand« gehört
zu seinen Lieblingsparolen. Im Land müs-
se es weniger »No« geben und mehr »Si«:
Ja zu Großprojekten mit vielen neuen
Jobs, zu neuen Schulen, Straßen, zur Früh-
pensionierung.
Salvini wirkt wie ein Therapeut für sein
verunsichertes Volk. Die italienischen Ord-
nungskräfte seien »die besten der Welt«,
die italienischen Strände »die schönsten«,
man solle »italienisch essen«, »italienisch
trinken« und »italienisch einkaufen«. Und
die italienischen Unternehmer warteten


nur noch darauf, ohne lähmende Bürokra-
tie endlich durchstarten zu können.
Häufig wird Salvinis Erfolg mit seiner
flüchtlings- und europafeindlichen Politik
erklärt, mit seiner gesellschaftlich konser-
vativen Agenda, seinem Flirt mit katholi-
schen wie faschistischen Symbolen. Vieles
davon klingt auch auf der Beach-Tour an.
»Italien darf nicht zum Flüchtlingslager
Europas werden«, sagt der Lega-Chef,
bevor er über »Zigeuner« lästert und
das traditionelle Familienmodell be-
schwört.
Tatsächlich ist es ein Mix aus wirtschaft-
lichem, sozialem und ausländerfeindlichem
Populismus, der seine hohen Zustim-
mungswerte begründet. Die anderen Par-
teien haben bis heute kein Rezept dagegen
gefunden, erst recht nicht sein Noch-Ko-

alitionspartner Di Maio. Die Fünf Sterne
liegen heute bei 17 statt 34 Prozent. Von
der Lega ließ sich Di Maio zuletzt fast alles
diktieren – wie etwa die verschärften Si-
cherheitsgesetze. »Jeden Tag essen die
Fünf Sterne löffelweise Scheiße«, formu-
liert es Matteo Renzi, der von 2014 bis
2016 Premier war.
Mithilfe des M5S sicherte sich Salvini
in dieser Woche Machtbefugnisse, wie sie
vor ihm kein Innenminister im Nachkriegs-
Italien besaß. Er kann künftig laut Gesetz
bis zu eine Million Euro Strafe verhängen,
wenn Hilfsorganisationen wie »Sea-
Watch« im Mittelmeer Menschen retten
und nach Italien bringen. Kapitäne, die
sich wie Carola Rackete auf einen Notfall
und das Seerecht berufen, können ein -

facher verhaftet werden. Nebenbei wurde
das Versammlungsrecht verschärft. Oppo-
sitionsabgeordnete hielten im Plenarsaal
Banner hoch (»Unmenschlichkeit darf
nicht Gesetz werden«) und kritisierten Sal-
vinis »monströse« Politik. Juristen bezwei-
feln, dass das Gesetz mit der italienischen
Verfassung vereinbar sei. Aber der Innen-
minister ließ sich nicht beirren und dankte
lieber mehrfach der »seligen Jungfrau Ma-
ria«, die Italien »ein schönes Geschenk«
gemacht habe.
Alles prallt derzeit am »Capitano« ab.
Dass seine Leute im Moskauer Hotel Me-
tropol offenbar eine Millionenspende an
die Lega verhandelten, wischt Salvini mit
ein paar flapsigen Bemerkungen beiseite.
Was er mit dem Geld gemacht habe? »Ein
Eis für meinen Sohn gekauft«, witzelte er
vor wenigen Tagen.
Am Strand läuft eben alles leichter, auch
für den Vizepremier von Italien. Tagelang
diskutierte das Land über einen Videoclip,
der Salvini bei einer Party am Papeete-
Beach von Milano Marittima zeigt: Der
Innenminister steht in Badehose am DJ-
Pult, einen Mojito in der Hand, vor ihm
in der Menge professionelle Tänzerinnen
in laszivem Badeanzug, aus den Boxen er-
klingt die italienische Nationalhymne in
einer Dancefloor-Version.
»Zur Hymne kommt man im Anzug,
nicht halb nackt«, tadelte Ex-Premier Ren-
zi. Der Philosoph und ehemalige Bürger-
meister von Venedig, Massimo Cacciari,
beklagte den »kulturellen Niedergang«.
Doch für Salvini ist die Stilkritik ein Ge-
schenk – nach dem Motto: Wer mich be-
leidigt, beleidigt euch alle.
Es ist Mittwochnachmittag, ein anderer
Strand, diesmal in Anzio, eine Stunde von
Rom entfernt. Eigentlich sollte der Lega-
Chef um 17 Uhr im Strandcafé La Bode-
guita zum Aperitivo erscheinen. Aber der
Termin wurde gestrichen, wegen der Re-
gierungskrise in Rom.
Hinter dem Tresen steht Maria, die
Kellnerin, und zuckt mit den Schultern,
wenn man sie nach Salvini fragt. »Ich bin
hin- und hergerissen«, sagt sie. Sie sei kei-
ne Rassistin, was Salvini über Migranten
sagt, gefalle ihr nicht. Aber wirtschafts-
politisch habe er recht. »Wir sind die Na-
tion von Michelangelo und Leonardo da
Vinci«, sagt Maria freundlich lächelnd,
»aber wir haben vergessen, dass Kreativi-
tät nur durch Arbeit entsteht.« Das Land
müsse von unten wiederaufgebaut wer-
den. So, wie es Salvini verspreche.
Frank Hornig

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UPPA / FACE TO FACE
Innenminister Salvini mit Anhängerin: Therapeut für sein Volk
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