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s war ein heißer Tag an den Stränden
von Sabaudia. Jetzt, nach Sonnen-
untergang, strömen die Urlauber ins
Zentrum. Tausende sind gekommen, alle
wollen den »Capitano« sehen, Matteo Sal-
vini, Italiens Innenminister und Chef der
rechtspopulistischen Lega.
»Italiener zuerst« steht über der Bühne
vor dem Rathaus, man schlendert über die
Piazza; es ist Zeit für einen Aperitivo, ein
Eis, Salvini lässt auf sich warten.
Endlich schmettert eine Puccini-Arie
aus den Boxen, Salvinis Hymne. »Vince-
rò«, »ich werde siegen«, endet der Text.
Er steht im Scheinwerferlicht, legt die
Hand aufs Herz, dann reckt er die Faust
in die Luft.
»Mamma mia, ragazzi, was für ein Spek-
takel!«, ruft Salvini. Der Vizepremier
wirkt geschafft, den ganzen Tag hat er in
Rom in Krisensitzungen verbracht. Jetzt
genießt er den Ausblick auf mehr als
20 000 Fans. Schnell hat er das Publikum
für sich gewonnen, er muss nur an die Be-
richte der vergangenen Tage erinnern: der
Innenminister in Badehose! Mit Bauch!
»Ja, wie geht man denn in Sabaudia an
den Strand? Im Anzug?«, fragt Salvini.
»Ich bekenne: Ich habe einen Bauch. Ein
Mann mit Bauch hat Substanz. Und ich
tanze gern!«
Jubel auf der Piazza, der sich noch stei-
gert, als Salvini über Linke witzelt, die
wahrscheinlich im selben Augenblick auf
Facebook über die »Faschisten, Rassisten,
Nazis« im Publikum schimpften. Er sehe
hier nur ganz gewöhnliche Italiener, aus
allen Schichten und Altersklassen, sagt der
46-Jährige: »Viva la normalità!«
So geht es schon seit Anfang August.
Matteo Salvini hat seinen Arbeitsplatz an
die Küste verlegt – und jeder soll es mit-
bekommen. Badehosen-Selfies, Bespre-
chungen und Pressekonferenzen im
Strandcafé, Mojito-Partys bei Sonnen -
untergang – der Vizepremier steuert sein
Land aus dem Beach-Club heraus.
Eine Tour durch Italiens Küstenorte hat
Salvini geplant. Von Sabaudia, das zwi-
schen Rom und Neapel liegt, ging es an
die Adria, dann sollen Kalabrien und Sizi-
lien folgen. Die Sommershow soll sein
Image als Ausländerfeind korrigieren –
und ist ein Social-Media-Hit, auf Facebook
und Instagram überschüt ten ihn Fans mit
Smileys. Bei mehr als 37 Pro zent sehen
Meinungsforscher derzeit den Minister
und seine Partei.
Und dann zerfällt seine Regierung in
Rom.
Am Mittwoch, dem letzten Tag vor der
Sommerpause, knallte es im Parlament
zwischen Salvinis Lega und seinem Koali-
tionspartner Luigi Di Maio von der Fünf-
Sterne-Bewegung (M5S). Es ging um ein
Milliardenprojekt, eine neue Hochge-
schwindigkeitsbahnstrecke von Turin nach
Lyon. Die Fünf Sterne stimmten dagegen,
die Lega gemeinsam mit der Opposition
dafür.
Krisentreffen folgten, bis am Donnerstag -
abend klar war: Es ist aus. Die 65. Nach-
kriegsregierung ist so gut wie gescheitert.
»Lasst uns schnell den Wählern das Wort
geben«, sagte Salvini.
Regierungskrise? August? Die beiden
Worte passen in Italien normalerweise
nicht zusammen. Zum Ferragosto geht die
Politik eigentlich in einen langen Sommer-
schlaf. Aber was ist schon normal, seit Sal-
vini in Rom mitregiert? »Die Ferien kön-
nen keine Entschuldigung sein«, sagt er.
Die Parlamentarier könnten nächste Wo-
che zur Arbeit zurückkehren, »so wie Mil-
lionen andere Italiener auch«. Doch das
kann Salvini nicht allein entscheiden. Die
Parteien stellten sich am Donnerstagabend
auf mehrere Szenarien ein. Staatspräsident
Sergio Mattarella könnte die Bildung einer
Übergangsregierung von Experten vor-
schlagen. Er könnte Lega und M5S um
einen Neustart bitten oder die Suche nach
einer anderen Mehrheit im Parlament
an regen. Oder es kommt tatsächlich zu
Neuwahlen – nach dem jüngsten Eklat die
wahrscheinlichste Variante.
Eine Revolution wollten Matteo Salvini
und Luigi Di Maio beginnen, als sie sich
vergangenen Sommer zusammentaten –
gegen ein vermeintlich europahöriges, kor-
ruptes Establishment. Doch im Alltag hat
sich das Populistenkabinett schnell hoff-
nungslos zerstritten.
Immer wieder attackierten sich die bei-
den Vizepremiers via Livestream und
Tweet. Worum es der Sache nach ging,
schien fast egal. Der Mann, der eigentlich
das Sagen haben müsste, Ministerpräsident
Giuseppe Conte, versuchte zu vermitteln,
die irrsten Vorstöße seiner Stellvertreter
zu bremsen. Doch der parteilose Jurapro-
fessor hat keine Hausmacht. Hilflos musste
er mit ansehen, wie Salvini als heimlicher
Regierungschef den Kurs bestimmte.
Angefangen hatte Salvini als Vorsitzen-
der einer abgestürzten Regionalpartei.
Nur noch vier Prozent hatte die Lega, als
er 2013 ihre Führung übernahm, ihre An-
griffe auf den armen, angeblich faulen
Süden Italiens einstellte und stattdessen
Europa und Migranten attackierte. Der
neue Kurs brachte ihm bei der Parlaments-
wahl im vergangenen März 17 Prozent der
80 DER SPIEGEL Nr. 33 / 10. 8. 2019
Ausland
Der Bademeister
Italien Die Regierung steht vor dem Aus. Vizepremier Matteo Salvini
hat den Wahlkampf bereits eröffnet – mit einer Strandtour.
ANGELO CARCONI / EPA-EFE / REX
Fünf-Sterne-Chef Di Maio: Kein Rezept