er Spiegel - 10. August 2019

(John Hannent) #1

Arsenal, der sich nach einer Serie von
Fehlplanungen vorige Saison erneut nicht
für die Champions League qualifizieren
konnte.
Es könnte sein, dass der FC Bayern
das nächste prominente Opfer des Ver-
drängungswettbewerbs im Titelrennen
sein wird.
Vom Trainingsgelände des FC Rottach-
Egern hat man einen schönen Blick auf
den 1722 Meter hohen Wallberg. Felix Ma-
gath ließ einst als Bayern-Trainer die Spie-
ler auf den Gipfel hinaufrennen. Der heu-
tige Coach Niko Kovač führt sich nicht auf
wie ein Patron. Kovač will seine Fußballer
überzeugen – durch seine Fachkenntnis.
Das gelingt ihm nicht immer. Vorige Sai-
son wurde intern von einigen Profis kriti-
siert, der Coach habe keine Idee, wie er
das Offensivspiel organisieren wolle. Vor-
standschef Karl-Heinz Rummenigge ließ
durchblicken, dass er an der Qualität des
Kroaten zweifele. Obwohl Kovač vorige
Saison die Meisterschaft und den DFB-
Pokal gewann, ist er in München umstrit-
ten. Er sei eigentlich eine Nummer zu klein
für die Bayern, finden Beobachter. Er hat
nicht die Aura eines Zinédine Zidane,
nicht die Fähigkeit, aus Talenten Spitzen-
spieler zu formen wie Tottenhams Mau -
ricio Pochettino.
Rummenigge sagt, er wünsche sich von
Kovač, dass der FC Bayern einen Offen-
sivfußball zelebriert wie einst unter Pep
Guardiola. Wie hoch muss man eine Latte
legen, damit ein Kandidat sie in jedem Fall
reißt?
Die größte Stärke Kovač’ ist sein dickes
Fell, seine Contenance. Er hält es aus,
wenn ihn die Bosse rüffeln, er hält es aus,
wenn die Münchner Medien über seine
Einwechslungen spotten. Kovač ist ein
Kämpfer. Er sagt: »Ich gebe nie auf.«
Sein Pech ist, dass die Leute, die ihm
zuarbeiten sollen, gerade keine klare Linie
verfolgen. Hoeneß und Rummenigge sind
sich, so hört man, nicht immer einig. Sport-
direktor Hasan Salihamidžić, ein ehema-
liger Spieler des FC Bayern, ist fleißig und
ein wirklich netter Kerl, wirkt aber bei
öffentlichen Auftritten mitunter derart un-
sicher und fahrig, dass man sich schwer
vorstellen kann, wie er in den Verhand-
lungszimmern des Weltfußballs bestehen soll.
Ein international operierender Agent er-
zählt, dass er einem seiner Klienten, einem
Spieler, der viele Millionen Euro wert ist,
nach einer Anfrage der Bayern von einem
Wechsel abgeraten habe. Die Klubführung
habe bei den Gesprächen keine stringente
Strategie erkennen lassen, keine Perspek-
tive für den Spieler aufzeigen können.
Der FC Bayern hat die finanziellen Mit-
tel, Schwächen im Spielerkader abzustel-
len. Der Klub ist hinter Real Madrid, FC
Barcelona und Manchester United mit ei-
nem Umsatz von 629 Millionen Euro die


Nummer vier im Weltranking der finanz-
stärksten Klubs. Aber offenbar fehlt es an
Ideen, das schöne Geld zu investieren.
Während es Borussia Dortmund mit einer
geschickten Personalpolitik geschafft hat,
sich an die Bayern heranzurobben, und
nun sogar Anspruch auf den Meistertitel
erhebt, operiert der Konkurrent auf dem
Transfermarkt seltsam zögerlich.
Im vergangenen Winter verpflichtete
der Klub Alphonso Davies, einen kanadi-
schen Teenager, der bislang kaum zum Ein-
satz kam. In der Sommertransferphase da-
vor holte der Klub immerhin Nationalspie-
ler Leon Goretzka von Schalke 04 neu,
sonst aber niemanden.
Zwar hat der FC Bayern mit Lucas
Hernández und Benjamin Pavard jetzt
zwei gute Verteidiger gekauft. Im Ver-
gleich zum Vorjahr ist der Kader dennoch

geschrumpft und mit 23 Spielern der
kleinste der Bundesliga.
Erfolg im Spitzenfußball ist planbar. Der
FC Liverpool hat dies bewiesen. Mehr als
viele andere große Vereine trifft der Klub
Entscheidungen auf der Basis von Daten –
bei der Spielanalyse und insbesondere bei
Transfers.
Im Vorfeld des Champions-League-Fi-
nals in Madrid berichtete die »New York
Times« im Mai, wie Liverpool aufgrund
einer Datenanalyse beschloss, den Offen-
sivspieler Philippe Coutinho von Inter
Mailand zu verpflichten. Coutinho kostete
angeblich 13 Millionen Euro, fünf Jahre
später wurde er nach Barcelona verkauft,
mit gut 130 Millionen Euro Gewinn. Das
Geld verwendete Liverpool gezielt, um
Schwachstellen im Team zu beheben. Bis
auf wenige Ausnahmen sitzt seit Jahren
jeder große Transfer, den Liverpool tätigt.
Das gilt auch für die Trainerbank. Bei der
Verpflichtung von Jürgen Klopp spielten
ebenfalls Computerauswertungen eine
Rolle.

Liverpool gewann im Juni den Cham -
pions-League-Titel. Was tun die Bayern,
um wieder mal das Europapokal-Finale zu
erreichen?
Genau genommen lebt der Klub schon
seit Langem von der Substanz. Von den
Einfällen der Mittelfeld-Passmaschine
Thiago Alcántara, der noch auf Guardiolas
Wunsch verpflichtet wurde. Vom ewigen
Torjäger Lewandowski, der seinen Vertrag
in München allerdings noch nicht verlän-
gert hat.
Beim Training in Rottach-Egern war zu
besichtigen, was passiert, wenn Fußballer
noch nicht die Reife mitbringen, um auf
höchstem Niveau mit Kickern der Katego-
rie Lewandowski mitzuhalten zu können.
Jann-Fiete Arp, 19, der als Perspektivspie-
ler von Zweitligist Hamburger SV nach
München wechselte, wurde im Trainings-

kick auf einem verkleinerten Spielfeld zeit-
weise herumkommandiert wie ein Azubi.
Er schien irgendwann derart verunsichert,
dass selbst einfache Pässe nicht mehr an-
kamen.
Am vorigen Donnerstag, einige Stun-
den bevor die Schwere der Verletzung Sa-
nés bekannt wurde, saß Thomas Müller in
einem Konferenzraum des Teamhotels am
Ufer des Tegernsees und redete über die
Zukunft. Er sagte: »Der FC Bayern ist ein
Verein, der in jedem Spiel drei Punkte ho-
len muss, dies ist kein Klub, in den junge
Spieler mal eben reinschnuppern können.«
Müller sprach über das Risiko, mit ei-
nem zu kleinen Kader die großen Ziele,
die der FC Bayern traditionell verfolgt, er-
reichen zu wollen. Es war ein weiterer Hin-
weis an die Klubführung, endlich in die
Gänge zu kommen.
Es gehe doch darum, »seriös« Fußball
zu spielen, sagte Müller.
Danial Montazeri, Gerhard Pfeil,
Christoph Winterbach

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CARLTON MYRIE / IMAGO IMAGES

Verletzter Spieler Sané

Kein Kontakt
Ursachen für Rupturen des vorderen
Kreuzbands beim Fußball*

* 1. und 2. Bundesliga, 2014 bis 2017

Quelle:
VBG-
Sportreport 2018

Durchschnittliche Zeit bis zur Rückkehr
ins uneingeschränkte
Mannschaftstraining: ca. 8 Monate

ohne Einwirkung des Gegners
88 %

gegnerisches
Foul
12 %
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