Der Spiegel - 17. August 2019

(Ron) #1

Der Keim der Selbstzerstörung


Nr. 33/2019 S.O.S.: Wahnsinn Kreuzfahrt –
die dunkle Seite des Traumurlaubs


Kreuzfahrten bedienen die Grundbedürf-
nisse der Deutschen: Reisen mit vollstatio-
närer Rundumbetreuung. Dafür arbeiten,
wie in den Pflegeheimen, unterbezahlte
Menschen aus ärmeren Ländern. Kreuz-
fahrten sind die Spitze des Eisbergs unse-
rer westlichen Dekadenz.
Johannes Schuckert, Zellingen (Bayern)


Es tut mir leid. Ich habe als 1947 Gebo -
rener in den Trümmern des Nazireichs ge-
spielt, konnte in meiner Kindheit allenfalls
in der Holzklasse überfüllter Züge, gezo-
gen von dampfenden Loks, zu Oma und
Opa verreisen. Wenn meine Generation
jetzt auf Kreuzfahrtschiffen unterwegs ist,
möchte sie es nach oft mehr als 50 Berufs-
jahren einfach nur genießen, sich einen klei-
nen Teil der Welt zu heute erschwinglichen
Preisen anzusehen. Diesen Ausgleich für
früher entgangene Reisefreuden lassen wir
uns vom SPIEGELnicht vermiesen.
Helmut Michaelis, Hamburg


Ich konnte vieles sehr gut nachvollziehen,
weil ich schon die 17. Kreuzfahrt mit Be-
geisterung absolviert und die nächsten 6
bereits gebucht habe. Dennoch ist die Art,
wie Sie schreiben, mit einem permanenten
negativen Beigeschmack verbunden, was
ich einfach als sehr tenden ziös erlebe. Sie
haben eine Perspektive gewählt, die eigent-
lich auf den schlimmsten Teil von Massen-
tourismus, Umweltverschmutzung, Aus-
beutung, kapitalistische Raffgier, anspielt.
Mich ärgert diese Einseitigkeit. Weshalb
wächst die Kreuzfahrtbranche so gewaltig?
Doch nicht, weil es so ein entsetzliches Ur-
laubsvergnügen ist, sondern weil es von
Anfang bis Ende vie le positive, unvergess-
liche Eindrücke an Bord und in den be-
suchten Häfen gibt.
Volker Reichardt, Börnsen (Schl.-Holst.)


Sehr gut be- und geschrieben. Ich habe ab
jetzt eine noch größere Abneigung gegen
diese Industrie und letztlich auch gegen
viele Menschen, die es wissen, aber trotz-
dem so reisen. Auf Vernunft und eventuell
Einsicht kann man leider nicht hoffen,
denn es geht um das Wichtigste – den
wohlverdienten Urlaub.
Jens Bliß, Bad Arolsen (Hessen)


Dass es ein Umdenken aller derzeitigen
Urlaubsaktivitäten geben muss, steht nicht
zur Debatte. Doch sollten wir den zahlen-
den Kreuzfahrttouristen nicht auch dank-
bar dafür sein, dass erst durch sie umwelt-
freundlichere Antriebsarten wie zum
Beispiel Gas ermöglicht wurden? Diese
Entwicklung könnte der Schifffahrt allge-
mein zugutekommen, allein schon wenn
man an die jährlichen Plastikmülltranspor-
te von Deutschland nach Malaysia denkt.
Im Jahr 2018 waren das 132 106 Tonnen
mit konventionell angetriebenen Schiffen.
Florian Seckinger, Memmingen (Bayern)

Ich lese den SPIEGELwirklich gern. Doch
was mir auch bei diesem Artikel wieder
auffiel: Sie schreiben sehr von oben herab.
Mit Überheblichkeit kommen wir nicht
weiter: Alle Menschen, die Kreuzfahrtrei-
sen buchen (ich gehöre nicht dazu), kom-
men somit in die Defensive und sogar Ab-
wehrhaltung. Das finde ich unnötig.
Antonia Meyer, Berlin

Sie reihen sich ein in den Reigen der wohl-
feilen Cruise Basher und machen Stim-
mung gegen eine Urlaubsform, die offenbar
am besten geeignet ist, um vom Wesent -
lichen abzulenken, wenn es um Luftver-
schmutzung und Übertourismus geht.
Man möchte nicht annehmen, dass Sie die
Fakten nicht kannten. Den 28,5 Millionen
Kreuzfahrern stehen 4 Milliarden Flugpas-
sagiere gegenüber. Etwa 400 hochseetaug-
lichen Kreuzfahrtschiffen stehen mehr als
90 000 Schiffe gegenüber, auf denen Wör-
ter wie LNG, Marinediesel oder Scrubber
nie gehört wurden. Sie tun so, als wären
die niedrigen Umwelt- und Arbeitsstan-
dards ein Phänomen der Kreuzfahrtindus-
trie, verschweigen aber, dass es alle Arten
von Schiffen betrifft. Wer also daran etwas
ändern wollte, der muss die Schifffahrt al-
ler Branchen weltweit ins Visier nehmen.
Volker Kmiecinski, Düsseldorf

Laut Statistik des Umweltbundesamts fah-
ren auf den Weltmeeren 40 000 Handels-
schiffe, davon 300 Kreuzfahrtschiffe. Das
sind 0,75 Prozent. Ein Containerschiff ver-
braucht 13 Tonnen Schweröl pro Stunde,
ein Kreuzfahrtschiff nach Ihren Angaben


  1. Diese Zahlen fehlen in Ihrem Bericht.
    Heinz Weinert, Kleinmachnow (Brandenb.)


Die eigentlichen Fragen wurden nicht be-
antwortet, obwohl sie sich durch die Gra-
fiken (»Dicke Luft«) aufdrängten: Wieso
lassen Städte eigentlich zu, dass derart vie-
le Kreuzfahrtschiffe in ihre Häfen einlau-
fen? Wie viel Umsatz verbleibt tatsächlich
bei den Einzelhändlern, bei den lokalen
Taxi- und Busunternehmen? Wie hoch
sind die Hafengebühren, die die Städte
kassieren? Rechtfertigt das die Dieselfahr-
verbote zum Beispiel in Hamburg, die
ohne Kreuzfahrtschiffe vielleicht gar nicht
notwendig wären? Wieso werden eigent-
lich die Overtourism-Bewegungen nicht
benannt? Im Ernst – tolles Titelbild, gute
Grafiken, schwacher Inhalt. So schade.
Marita Vogel, Hamburg

Was den modernen Kreuzfahrttourismus
so bedrohlich macht, ist der Einfall Tau-
sender Urlauber in ehemals friedliche Orte
und die Verpestung der ehemals sauberen
Luft dieser Orte. Das Maßlose ist das ei-
gentlich Bedrohliche: die Ohnmacht ihrer
Bürger, sich des Verlusts ihrer Lebensqua-
lität erwehren zu können, die erzwungene
Duldung der Verschmutzung ihrer ehe-
mals sauberen Luft, der Verlust der Ruhe
durch den Überfall Tausender Touristen.
Wann endlich wagt es ein Bürgermeister,
ein Hafenkapitän, die unheilvollen Mons-
terschiffe auszusperren?
Hans Lafrenz, Hamburg

Diese treffliche Reportage bestätigt unseren
schon im vergangenen Jahr getätigten Ent-
schluss, keine Kreuzfahrten mehr zu unter-
nehmen. Ein Argument, das uns neben der
Schadstoffbelastung bewegt hat, fehlt aber
noch: die unglaubliche Verschwendung von
Lebensmitteln an Bord. Kurz vor Ende der
Essenszeiten werden die Auslagen noch
aufgefüllt, und alles, was danach nicht ver-
braucht ist, wird weggeworfen. Das füllte
zwei komplette Container, wie wir 2018
von unserer Balkonkabine der »Mein Schiff
3« in Triest beobachten konnten.
Friedhelm und Elvira Bloos, Aschaffenburg

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»Verkehrte Welt: Während zur Zeit der ›Titanic‹ die Eisberge


ein Risiko für die Schifffahrt waren, sind heute die


Kreuzfahrten eine Gefahr für – nicht nur – die Eisberge.«


Ekkehard Sander, Denkendorf (Baden-Württemberg)

DER SPIEGEL Nr. 34 / 17. 8. 2019

ROYAL CARIBBEAN INTERNATIONAL / DPA
Kreuzfahrtschiff
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