S
päter an diesem Abend wird es kra-
chen, aber gerade ist es noch still im
Hinterhof. Die Trillerpfeifen sind
noch nicht verteilt, das Megafon liegt acht-
los in der Ecke. Eine Gruppe von jungen
linken Aktivisten steht zusammen. Sie be-
reiten den großen Auftritt vor, die Demo
gegen Matteo Salvini.
Es ist Mittwoch am späten Nachmittag
in La Spezia, einer Hafenstadt in Ligurien,
im Norden Italiens. Zwei junge Frauen
sprühen Parolen auf lange Tücher. Die
Männer bringen Rettungswesten in einen
Transporter, wie sie Flüchtlinge auf ihren
Booten tragen – und große, rote Ballons.
An ihnen soll später ein Transparent
über dem Innenminister in den Himmel
steigen: »Von hier oben ist die Erde wun-
derschön, ohne Grenzen, ohne Barrieren.«
Francesco Terzago, von Beruf Kommuni-
kationsmanager, sagt: »Wir kritisieren sein
neues Sicherheitsgesetz, aber wir wollen
auch eine positive Botschaft senden.«
La Spezia ist an diesem Abend Schau-
platz eines Konflikts, der Italien noch lan-
ge beschäftigen wird. Rechte und Linke
kämpfen um die Zukunft ihrer Demokratie
und um Aufmerksamkeit in einer zerrisse-
nen Gesellschaft. Wenn sie aufeinander-
treffen, wird es laut.
Und seit der Innenminister Salvini die
Koalition seiner rechten Lega mit der links-
populistischen Fünf-Sterne-Bewegung auf-
gekündigt hat, seit die Möglichkeit von
Neuwahlen im Raum steht, die Salvini
wohl an die Macht befördern würden, ist
dieser Konflikt erst recht angeheizt.
Es ist 21.20 Uhr, Hunderte Demonstran-
ten stauen sich in einer engen Gasse, Poli-
zisten mit Helm und Schutzschild bilden
eine Kette und versperren den Weg.
Die Linken haben zuvor ihre offizielle
Gegenveranstaltung abgehalten, Lieder ge-
sungen. Ein Anarchist hat zum Megafon
gegriffen und unter dem Jubel der Menge
gerufen: »Ich bin stolz, eine Schwuchtel zu
sein, ich bin stolzer Antifaschist!«
Nun steht Salvini auf der Piazza. Er hält
seine Rede, die linken Aktivisten sind oft
lauter. »Gauner!«, »Mörder!«, »Schäm
dich!« und »Verpiss dich!«, rufen sie dem
Vizepremier entgegen, über eine Stunde
lang. Der tut sich schwer an diesem Abend.
Die Verbrüderung mit dem Volk, die er
sonst so gut gelaunt auf Marktplätzen ze-
lebriert, geht unter im Pfeifkonzert.
Der Widerstand gegen Salvini wächst.
Auf der Straße. In den sozialen Medien.
Und in der Politik.
Auf einmal gibt es Gegenwind – in ei-
nem Sommer, in dem Salvini einfach alles
gelang. Seine Umfragewerte blieben kon-
stant hoch. An den Stränden jubelten ihm
seine Fans zu. Und als der Lega-Chef zu
Ferienbeginn Neuwahlen verlangte, schien
der Weg zur Macht bereitet: Weg mit den
Neinsagern in seiner alten Koalition. Her
mit einer rechten Regierung, ohne »Ballast
an den Füßen«, wie er versprach – mit ihm
als nächstem Ministerpräsidenten. Oder
hat sich der Vizepremier verrechnet?
Rom schwankt zwischen Euphorie und
Angst, seit die Regierung nach 14 Monaten
gescheitert ist. Hektisch sondieren Partei-
strategen von links bis rechts ihre Optionen.
Am kommenden Dienstag und Mitt-
woch unterbrechen die Abgeordneten
ihren Urlaub und kommen im Plenum zu-
sammen. Salvini will dann Ministerpräsi-
dent Giuseppe Conte stürzen und hofft,
nach Neuwahlen dessen Job zu überneh-
men. Doch viele auf der Gegenseite möch-
ten das unbedingt verhindern und zügig
eine Mitte-links-Regierung bilden.
Das Land ist gespalten. Auf der einen
Seite steht der Mann, der von seinen Fans
als »Capitano«, als Kapitän verehrt wird
und der fast 40 Prozent der Bürger hinter
sich weiß. Auf der anderen Seite ein diffu-
ses, zerstrittenes Lager, das nur ein Motiv
zusammentreibt: die Furcht vor einer au-
toritären, nationalistischen, europafeind-
lichen und wirtschaftspolitisch fahrlässigen
Rechts-Regierung.
Wie gefährlich ist die Lage? Wenn man
Michela Murgia diese Frage stellt, holt sie
kurz Luft; sie ist früh aufgestanden, um
fünf, hat gerade ihre Presseschau für den
linken Rundfunksender Radio Radicale ge-
halten und dabei über reaktionäre Journa-
listen gelästert. Jetzt sitzt in ihrem Stamm-
laden im römischen Trastevere-Viertel.
Dann legt sie los: »Es ist brandgefährlich.
In der italienischen Politik gibt es keine
Opposition«, sagt sie, »eine ernsthafte
Auseinandersetzung mit Salvini findet nur
in der Zivilgesellschaft statt.«
Die Bestsellerautorin (»Faschist werden.
Eine Anleitung«) gehört zu einer Reihe
von Prominenten, die sich für Flüchtlinge
und gegen den Lega-Chef engagiert, da-
runter Mafia-Kritiker Roberto Saviano
und Fernsehkoch Gabriele Rubini. Sie wer-
den von Salvini ihrerseits öffentlich atta-
ckiert. »Meine Erfahrungen mit ihm sind
schrecklich«, sagt Murgia. Mehrfach habe
er sie als Salonlinke beschimpft, als reiche
Frau, die das Volk nicht kenne. Vor einigen
Monaten hat sie einen Text gepostet und
darin seinen Lebenslauf mit ihrem vergli-
chen, beide sind fast gleich alt. Das Ergeb-
nis: Während sie rund zehn verschiedene
Jobs hatte, unter anderem in einer Pizzeria
kellnerte, verbrachte er seine gesamte Kar-
riere in der Politik.
»Er hat in seinem ganzen Leben noch
nie gearbeitet. Sein Beruf war Sohn. Ein
Ausland
Kamillentee für Salvini
ItalienDer Widerstand gegen eine Machtübernahme des rechten
Lega-Chefs und Innenministers wächst. Es gibt Proteste auf den
Straßen und vielleicht sogar bald eine linke Mehrheit im Parlament.
GIANMARCO MARAVIGLIA / DER SPIEGEL
Innenminister Salvini auf Lega-Kundgebung in La Spezia: Weg mit den Neinsagern
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