Handelsblatt - 23.08.2019

(Rick Simeone) #1
schult werden. Aber sind die Veränderungen wirk-
lich in den Köpfen abgekommen?
Ich bin hier sehr zuversichtlich. Ursprünglich soll-
ten bis zum Jahresende 151 Konzerngesellschaften,
die zusammen 80 Prozent aller Mitarbeiter be-
schäftigen, geschult werden. Jetzt werden wir vo-
raussichtlich schon 200 Konzerntöchter erreichen.
Weltweit treffen wir auf eine motivierte Mann-
schaft mit viel Eigeninitiative. Mehr als 300 000
Mitarbeiter haben wir inzwischen mit unserem
Programm erreicht. Wir sind weltweit unterwegs,
also auch in Russland, China, Südafrika oder Brasi-
lien. Wichtig ist dabei, dass wir risikoorientiert vor-
gehen und auf jeden Fall die Regionen früh errei-
chen, wo es laut internationaler anerkannter Indi-
zes ein größeres Korruptionsrisiko gibt.

Das ist für den Monitor interessant?
Genau das wird Larry Thompson jetzt überprüfen:
Ist die Kultur der Integrität bei den Mitarbeitern
angekommen? Theoretisch könnte er morgen in
Zwickau oder Puebla in die Fertigung gehen und
dort einen Mitarbeiter fragen, ob er schon einmal
etwas von den neuen Konzerngrundsätzen gehört
hat und warum die Einhaltung von Gesetzen so
wichtig ist.

Und wird Larry Thompson das machen?
Von Anfang an hat Larry Thompson immer gesagt,
dass es ihm sehr wichtig ist, dass die Veränderun-
gen bei den Menschen ankommen. Es gibt zudem
eine eigene Umfrage des Monitors zu Integrität und
Compliance im Unternehmen von Ende vergange-
nen Jahres. Die Ergebnisse haben gezeigt, dass wir
auf dem richtigen Weg sind.

Woran lässt sich das festmachen?
Unsere Mitarbeiter sagen in den Umfragen, dass
sich in den vergangenen drei Jahren viel verändert
hat. Sie fühlen sich beispielsweise besser infor-
miert, die Durchlässigkeit zwischen den einzelnen
Bereichen ist größer geworden. Die direkten Vorge-
setzten genießen hohes Vertrauen ihrer Mitarbei-
ter. Sie fragen öfter und offensiver, wo bei den Mit-
arbeitern der Schuh drückt. Für die Mehrzahl der
Mitarbeiter sind damit die Veränderungen spürbar
geworden. Sie bestätigen, dass der Konzern es mit
dem Kulturwandel wirklich ernst meint.

Was ist denn aus Sicht des Unternehmens wirklich
wichtig?
Vertrauen. Im Whistleblower-System gibt es einen
sehr guten Indikator dafür: Wie viele Hinweise wer-
den anonym abgegeben, wie viele unter Nennung
des Namens? Wenn Mitarbeiter ihre Identität preis-
geben, sind die Ermittlungen natürlich viel effizien-
ter. Denn damit werden Nachfragen zum Sachver-
halt möglich. Wenn unsere Mitarbeiter ihren Na-
men nennen, dann trauen sie unseren Prozessen.
Der Schutz der Hinweisgeber scheint uns also gut
zu gelingen – auch dann, wenn ein Sachverhalt viel-
leicht gegenstandslos ist.

Wie messen Sie das?
Mehr als 80 Prozent der Hinweise kommen bei uns
inzwischen mit Quelle an. Am Anfang waren das 15
Prozent. Daran wird das gewachsene Vertrauen
doch sehr gut deutlich. Die absolute Zahl der Hin-
weise wäre keine hilfreiche Größe. Entscheidend
ist auch, dass das Unternehmen konsequent,
schnell und entschlossen reagiert, wenn es schwer-
wiegende Verstöße gegeben hat.

Kommen wir zu der jetzt anstehenden Testphase
durch Larry Thompson zurück. Was genau wird
sich der Monitor jetzt ansehen?
Der erste Punkt ist die Corporate Governance: Wie
führen Vorstand und Aufsichtsrat das Unterneh-
men? Zweitens geht es um Strukturen, Ressourcen
und Budgets: Ist für die Compliance-Themen genug
Geld da? Drittens werden wir nachweisen müssen,
dass wir alle Mitarbeiter mit den Themen Integri-
tät, Compliance und den Konzernwerten erreicht
haben. Weiterhin werden prozessuale Themen ei-
ne Rolle spielen. Funktionieren Compliance, das

Hinweisgeber-System, Risikomanagement und
auch die Kontrollinstrumente? Reagiert das Unter-
nehmen schnell genug und angemessen auf Pro-
zessabweichungen durch geeignete Eskalationsme-
chanismen? Der sechste Baustein betrifft Kommu-
nikation, Information und Training – wird das The-
ma Integrität dauerhaft in die Prozesse integriert
und gelebt? Zudem müssen wir dafür sorgen, dass
alle Geschäftspartner mit einbezogen worden sind.
Schlussendlich muss unsere IT ordentlich funktio-
nieren. Dazu gehört etwa, dass wichtige Dokumen-
te rechtssicher archiviert werden.

Wie viel Zeit haben Sie noch? Wie sieht der Zeit-
plan aus?
Rechnen wir zurück: Die dreijährige Amtszeit des
Monitors läuft im nächsten Juni aus. Im April 2020
wird Thompson seinen Zertifizierungsbericht beim
US-Justizministerium einreichen. Das wiederum
heißt, dass er vermutlich ab Februar den Status zu-
sammenträgt. Für uns bedeutet das, dass die Test-
phase spätestens im Januar abgeschlossen sein soll-
te. Wir müssen auch Zeit für Korrekturen auf Basis
der Testergebnisse einplanen.

Kommen Sie mit diesem engen Zeitrahmen klar?
Volkswagen ist ein Unternehmen, das sehr stark
mit Meilensteinen, Fristen und Termindruck arbei-
tet – das kommt aus der Fahrzeugfertigung, wo fes-
te Modellzyklen zum Alltagsgeschäft gehören. Das
sollte also funktionieren. Bei allem Denken in Fris-
ten dürfen wir aber nicht vergessen, dass es bei
diesem gesamten Prozess um Nachhaltigkeit geht.
Volkswagen soll nicht nur zu einem bestimmten
Stichtag die Regeln zu Integrität und Compliance
einhalten, sondern dauerhaft und beständig.
„Richtig“ ist in diesem Fall für uns wichtiger als
„pünktlich“. Wenn wir also bis zum Jahresende
noch Optimierungsbedarf sehen, dann werden wir
uns die Zeit nehmen für die Umsetzung.

Wäre es aber nicht eine Blamage für Sie und das
Unternehmen, wenn Sie den Juni-Termin im
nächsten Jahr nicht einhalten könnten?
Vertrauen werden wir nur zurückgewinnen, wenn
wir Prozesse, Systeme und Strukturen robust aus-
gestaltet haben. Larry Thompson seinerseits wird
in der Zertifizierung gründlich und gewissenhaft
vorgehen. Compliance braucht Nachhaltigkeit, kos-
tet Geld und tut manchmal weh. Wir geben unser
Bestes, aber eben nicht für den Monitor oder ir-
gendeinen Termin, sondern für uns, unser Unter-
nehmen und unsere Kunden.

Können Sie wirklich so gelassen sein?
Glauben Sie mir, gelassen bin ich nicht, aber sehr
fokussiert. Larry Thompson und Volkswagen ver-
bindet ein Ziel: Wir wollen gemeinsam erreichen,
dass die Zertifizierungskriterien erfüllt werden. Der
Monitor muss erreicht haben, was er erreichen
wollte, wenn er uns wieder verlässt. Er wird seine
Mission nur erfüllt sehen, wenn Volkswagen dauer-
haft skandalfrei bleibt.

Wagen Sie eine Aussage dazu, wie das voraussicht-
lich letzte Jahr des Monitors in Wolfsburg ausse-
hen wird?
Wir werden uns alle nicht langweilen. Alles hängt
sehr stark von den Ergebnissen der Testphase ab
und von der Frage, ob danach noch ein größerer
Korrekturbedarf entsteht. Es könnte auch sein,
dass wir im November-Bericht des Monitors schon
eine Tendenz ablesen können.

Gibt es Signale von Larry Thompson?
Es ist am Ende seine ganz persönliche Entschei-
dung. Er hat aber schon mehrfach auch öffentlich
betont, dass er ein System erwartet, welches „an-
gemessen und effizient“ funktioniert. Larry
Thompson sagt immer: „Denkt an einen Golf und
nicht an einen Audi A8.“

Frau Werner, vielen Dank für dieses Interview.


Die Fragen stellte Stefan Menzel.


VW-Gebäude in
Wolfsburg:
Das alte Logo
muss bald
weichen.

imago images / regios


Logo-Änderung


VW präsentiert


sich neu


N


och ziert das alte Logo das Volkswagen-
Markenhochhaus am Wolfsburger Mittel-
landkanal. In Blau und Grau, mit einem
Gewicht von 7,5 Tonnen und einem Durchmesser
von acht Metern steht es wie ein Willkommens-
gruß auf dem etwa 70 Meter hohen Gebäude.
Nach dem Umbau und der Sanierung des Mar-
kenhochhauses war das Logo erst 2016 dort wie-
der neu auf dem Dach montiert worden.
Jetzt steht der nächste Wechsel auf dem Pro-
gramm. Aber nicht aus baulichen Gründen, son-
dern aus grundsätzlichen Erwägungen. Volkswa-
gen gibt sich ein neues Logo. Das zuletzt 2007
eingeführte blau-weiß-graue Markensymbol soll
komplett verschwinden und durch eine neue Va-
riante ersetzt werden. In wenigen Tagen werden
Arbeiter in Wolfsburg anrücken und das Abzei-
chen auf dem Verwaltungsgebäude abmontieren.
Nach dem Dieselskandal und dem damit ver-
bundenen Imageverlust soll das Logo einen neu-
en Volkswagen-Konzern symbolisieren. Ein Un-
ternehmen, das seine Kunden nicht mehr betrü-
gen und stattdessen sehr ernst nehmen will. Ein
Konzern, der nicht mehr um jeden Preis auf PS
setzt, sondern sich für die Umwelt starkmacht.
Deshalb ist der neue Markenauftritt auch ganz
wesentlich mit dem Einstieg des VW-Konzerns in
die Elektromobilität verbunden. Das neue Logo
wird die Fahrzeuge der ersten echten Elektroge-
neration zieren, allen voran den ID.3, das elektri-
sche Gegenstück zum Golf. Das Auto wird in drei
Wochen auf der IAA in Frankfurt präsentiert – ge-
nau dann rücken Arbeiter in Wolfsburg zum Aus-
tausch des Logos auf dem Markenhochhaus an.
„Volkswagen durchläuft gerade den massivsten
Wandel seiner Geschichte“, sagte Vertriebsvor-
stand Jürgen Stackmann am Donnerstag bei ei-
nem Pressegespräch in Wolfsburg. Die neue Elek-
troflotte und der neue Markenauftritt hätten da-
ran einen wesentlichen Anteil.
Bis zum Jahr 2025 will Volkswagen Weltmarkt-
führer in der Elektromobilität werden. Mitte des
nächsten Jahrzehnts sollen jährlich eine Million
Elektrofahrzeuge verkauft werden, so steht es in
den VW-Plänen. Mehr als 20 verschiedene neue
E-Modelle plant der Autohersteller in diesem
Zeitraum. Zugleich soll die komplette Produktion
so umgestellt werden, dass das Unternehmen sei-
ne Autos spätestens bis zum Jahr 2050 komplett
kohlendioxidfrei produziert. Dieses neue Um-
weltbewusstsein soll die Dieselaffäre endgültig
vergessen machen.
Anfang der 2030er-Jahre dürfte der letzte neue
Verbrennungsmotor von Volkswagen auf den
Markt kommen, der dann noch etwa bis zum
Jahr 2040 verkauft wird. Eine Lebensdauer von
etwa zehn Jahren vorausgesetzt, dürfte der letzte
VW-Verbrenner um das Jahr 2050 herum von der
Straße verschwinden. Stefan Menzel

Die Person: Die
53-jährige Managerin
hat langjährige Bran-
chenerfahrung in der
Autoindustrie. Werner
arbeitete bei BMW
und beim Lkw-Her-
steller MAN. Unmittel-
bar vor ihrem Wech-
sel zu VW nach
Wolfsburg war sie für
den Zulieferer ZF
tätig. Hiltrud Werner
ist in der DDR aufge-
wachsen und stammt
aus Thüringen.
Ihre Karriere: Bei
Volkswagen leitete
Werner von Januar
2016 an zunächst die
Konzernrevision. Nach
dem überraschenden
Rückzug ihrer Vor-
gängerin Christine
Hohmann-Dennhardt
Anfang 2017, die ein
gutes Jahr zuvor vom
Daimler-Konzern
gekommen war, stieg
die studierte Ökono-
min in den VW-Vor-
stand auf, wo sie seit-
dem das Ressort Inte-
grität und Recht ver-
antwortet.

Vita
Hiltrud Werner

Unternehmen & Märkte


WOCHENENDE 23./24./25. AUGUST 2019, NR. 162^17


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