Das Exit-Risiko
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WOCHENENDE 23./24./25. AUGUST 2019, NR. 162^47
Außer Finanzminister Olaf Scholz sind die meisten anderen Bewerber um den SPD-
Parteivorsitz vor allem eines: unbekannt. Die Kandidaten im Überblick.
Wenn wir kandidieren Seit’ an Seit’
dpa [M] INTERTOPICS/pa [M]
Henning Schacht [M]
imago images / Reiner Zensen [M]
ddp/INTERTOPICS/pa [M] Hans Christian Plambeck/laif [M]
Personen Karl Lauterbach und Nina
Scheer sind zwar keine Stars der SPD,
in der Bundestagsfraktion gehören sie
aber zu den allseits anerkannten Fach-
leuten in ihren Bereichen. Das gilt ins-
besondere für den Gesundheitspoliti-
ker Lauterbach. Scheer trommelt seit
Jahren für eine engagiertere Energie-
und Umweltpolitik.
Positionen Lauterbach und Scheer
haben die Große Koalition satt: „Wir
gehen beide davon aus, dass die
Große Koalition nicht in der Lage ist,
den anstehenden Herausforderungen
zukünftig gerecht zu werden“, steht in
ihrem Bewerbungsschreiben. Beide
zählen zum linken Flügel ihrer Partei.
Chancen Lauterbach und Scheer sind
seit Jahren auf ihre jeweiligen Themen-
gebiete festgelegt, als Generalisten
sind sie bislang nicht in Erscheinung
getreten. Trotz aller Sympathie, die
ihnen vom linken Parteiflügel entge-
gengebracht wird, dürfte es den bei-
den Bundestagsabgeordneten schwer-
fallen, große Teile der Basis von sich zu
überzeugen.
Scheer/Lauterbach
Personen Gesine Schwan hatte früh
Interesse an einer Kandidatur signali-
siert. Ihr Plan, mit Kevin Kühnert ein
Duo zu formen, scheiterte. Der Juso-
Chef wollte nicht. Die zweifache Kandi-
datin der SPD für das Amt der Bun-
despräsidentin einigte sich schließlich
mit Ralf Stegner. Schwan ist langjäh-
rige Vorsitzende der SPD-Grundwerte-
kommission. Stegner ist Partei-Vize.
Positionen Stegner ist die omniprä-
sente Stimme des linken Parteiflügels.
„Nach dieser Legislaturperiode ist spä-
testens Schluss mit dieser sogenann-
ten Großen Koalition“, sagt Stegner.
Die SPD dürfe nicht weiter eine „ängst-
liche Vogel-Strauß-Politik betreiben“,
ergänzt Schwan.
Chancen Stegner und Schwan gehören
zum Partei-Establishment. Stegner hat
sich auch unter Parteifreunden den Ruf
des ewigen Besserwissers redlich erar-
beitet. Dass sich Schwan und Stegner
selbst als „Powerduett“ bezeichnen,
sorgt unter Genossen für Spott. Die
„Kandidaten der Herzen“ sind sie
sicher nicht.
Stegner/Schwan
Personen Die ehemalige nordrhein-
westfälische Familienministerin Chris-
tina Kampmann und Europa-Staatsmi-
nister Michael Roth haben sich Anfang
Juli überraschend als Kandidaten-Duo
für den Vorsitz ins Rennen gebracht.
Kampmann ist NRW-Landtagsabge-
ordnete. Roth kommt aus Hessen und
sitzt seit 1998 im Bundestag.
Position Kampmann und Roth gehö-
ren zu den GroKo-Gegnern, wenn-
gleich sie ihre Skepsis etwas dezenter
vorbringen als andere Kandidaten. Die
SPD müsse „wieder zu einer starken
linken Volkspartei werden“, sagt
Kampmann. Das Duo will die Schul-
denbremse lösen und fordert mehr
Investitionen.
Chancen Das Team ist anderen Duos
einen Schritt voraus: Es hat die formale
Voraussetzung für die Kandidatur – die
Zustimmung von fünf Unterbezirken,
fünf Bezirken oder einem Landesver-
band – bereits erfüllt. Dennoch dürfte
die mangelnde Bekanntheit insbeson-
dere von Christina Kampmann zu einer
Bürde für die Kandidatur werden.
Roth/Kampmann
Personen Die sächsische Integr ations-
ministerin Petra Köpping und der nie-
dersächsische Innenminister Boris Pis-
torius bilden eines von drei Ost-West-
Duos im Wettstreit um die Partei-
spitze. Pistorius hat sich als Innenmi-
nister rund um Migration und innere
Sicherheit einen Namen gemacht.
Gegen islamistische Gefährder fuhr er
schweres Geschütz auf. Köpping, die
auf Erfahrungen als Kommunalpolitike-
rin verweisen kann, sieht sich als
„starke Stimme aus dem Osten“.
Positionen Ob rein oder raus aus der
Großen Koalition sei für ihn nicht die
Frage, sagt Pistorius. Man müsse
schauen, „was mit der CDU noch mög-
lich ist“. Eine Rezession müsse durch
kluge präventive Wirtschaftspolitik
abgefedert werden. Köpping sieht die
SPD als Garantin für gesellschaftlichen
Zusammenhalt.
Chancen Köpping und Pistorius sind
Pragmatiker mit Herz und Verstand. Sie
können auf prominente Unterstützer
verweisen und gehören zu den Bewer-
bern, die man ernst nehmen muss.
Köpping/Pistorius
Personen Simone Lange, Oberbürger-
meisterin von Flensburg, hatte sich
bereits beim SPD-Parteitag im April
2018 als Vorsitzende zur Wahl gestellt.
Sie unterlag zwar gegen Andrea Nah-
les, erzielte aber mit knapp 28 Prozent
der Stimmen einen Achtungserfolg.
Alexander Ahrens ist Oberbürgermeis-
ter von Bautzen.
Positionen Ahrens und Lange rücken
die Belange der kommunalen Ebene in
den Fokus. Es sei wichtig, aus den
Kommunen heraus „Verantwortung für
unsere Partei zu übernehmen, sie zu
erneuern und die drängenden und
wichtigen Themen unserer Zeit auf die
Tagesordnung zu setzen“, sagt Ahrens.
Chancen Ahrens ist auf Bundesebene
so gut wie unbekannt, Lange dagegen
hat sich seit ihrer Kandidatur im Früh-
jahr 2018 immer wieder zu Wort
gemeldet. Sie profiliert sich mit dezi-
diert linken Positionen und geht mit
dem Partei-Establishment hart ins
Gericht. Das Duo startet auf einer
Außenseiterposition, ist aber für Über-
raschungen gut.
Lange/Ahrens
Personen Olaf Scholz hatte eine Kan-
didatur zunächst mit dem Hinweis
abgelehnt, sein Amt als Bundesfinanz-
minister lasse sich schon allein zeitlich
nicht mit dem Parteivorsitz vereinba-
ren. Vergangene Woche trat er dann
doch an. Der spröde Hanseat ist und
war nie der Darling der Partei. Seine
Wahlergebnisse als SPD-Vize sind
legendär schlecht. Mit der Branden-
burgerin Klara Geywitz hat er jetzt
eine ostdeutsche Politikerin an seiner
Seite, die betont bürgernah und
bodenständig auftritt. Allerdings ist sie
jenseits der brandenburgischen Lan-
desgrenze so gut wie unbekannt.
Positionen Das Duo will die Große
Koalition über die Runden retten. „Wir
stehen für eine SPD, die die Probleme
löst. Das kann man nur in der Regie-
rung“, sagt Geywitz.
Chancen An der Parteibasis und in Tei-
len des Funktionärsapparats sind die
Vorbehalte gegen die Berliner GroKo
mittlerweile riesig. Das Duo steht vor
einer großen Herausforderung, wenn
es die Stimmung noch drehen will.
Scholz/Geywitz
Personen Hilde Mattheis ist seit vielen
Jahren so etwas wie die „linke Seele“
ihrer Partei. Die Abschaffung der
Hartz-Reformen ist eines ihrer Anlie-
gen. Die Bundestagsabgeordnete ist
Vorsitzende des „Forums Demokrati-
sche Linke 21“ innerhalb der SPD. Ihr
Partner Dierk Hirschel ist Mitglied im
Vorstand der linken SPD-Gruppierung.
Im Hauptberuf arbeitet Hirschel als
Chefökonom der Gewerkschaft Verdi.
Positionen Das Duo zieht offen gegen
die Große Koalition in Berlin zu Felde.
„Kämpft mit uns für eine Sozialdemo-
kratie, die ihrem Namen alle Ehre
macht“, ruft Mattheis ihren Unterstüt-
zern per Twitter zu. „Wir haben eine
klare Analyse, warum die Partei am
Boden liegt“, sagt Hirschel. Es gelinge
der SPD in der Großen Koalition nicht,
eine wirklich soziale Politik zu machen.
Chancen Mattheis ist in der Partei eine
feste Größe mit Unterstützerkreis im
linken Flügel. Hirschel dagegen muss
sich einem größeren Publikum erst
noch bekannt machen. Bei GroKo-
Gegnern dürfte das Duo punkten.
Mattheis/Hirschel
Robert Maier (l.) Der Kaufmann ist
Vize-Präsident des SPD-Wirtschaftsfo-
rums. Er gründete 2009 das Unterneh-
men Visual Meta, das 2011 mehrheitlich
von der Springer AG übernommen
wurde. Er blieb bis 2018 geschäftsfüh-
render Gesellschafter. Auf seiner
Agenda stehen Investitionen in Bil-
dung, Infrastruktur und Digitalisierung
ganz oben. Einen „Linksruck der SPD
mit Enteignungsplänen“ lehnt er ab.
Hans Wallow (M.) Der Autor, von 1981
bis 1983 und von 1990 bis 1998 SPD-
Bundestagsabgeordneter und heute
79 Jahre alt, erklärte im Juli seine Kan-
didatur. Er verfüge über die Erfahrung,
die für einen Neuanfang nötig sei,
sagte er.
Karl-Heinz Brunner (r.) Der bayerische
SPD-Bundestagsabgeordnete erklärte
zu Wochenbeginn, er wolle kandidie-
ren. Er ist Mitglied im konservativen
Seeheimer Kreis der SPD. Er wolle
sicherstellen, dass im Auswahlprozess
„die ganze Vielfalt der Partei widerge-
spiegelt wird“. Derzeit gebe es einen
Überhang der GroKo-Gegner.
Die Einzelkandidaten
HC Plambeck [M]
dpa, SWR, imago images / photothek[M]
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