Das Exit-Risiko
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WOCHENENDE 23./24./25. AUGUST 2019, NR. 162^49
Spanien
Geld ausgeben,
Frauen fördern
Der spanische geschäftsführende Ministerpräsi-
dent Pedro Sánchez ist Europas erfolgreichster
Sozialdemokrat: In der vergangenen Europawahl
gewann seine PSOE mehr Sitze im EU-Parlament
als irgendeine andere sozialdemokratische Partei
in Europa. Auch bei den Parlamentswahlen in
Spanien kam Sánchez Ende April auf stattliche 27
Prozent – ein Wert, von dem Sozialdemokraten
in den meisten übrigen EU-Ländern nur träumen
können.
Der Grund für diesen Erfolg liegt in der starken
Verankerung der Sozialisten in der spanischen
Gesellschaft und an populären Maßnahmen, die
Regierungschef Sánchez nach seinem erfolgrei-
chen Misstrauensvotum gegen den konservativen
Ministerpräsidenten Mariano Rajoy im Sommer
2018 verabschiedet hat.
Als Sánchez Rajoy aus dem Amt jagte, lag die
PSOE in Umfragen auf
dem letzten oder vor-
letzten Platz der vier
großen Parteien. Sán-
chez hatte bei den vo-
rangegangenen Wahlen
2015 und 2016 mit 22
und 23 Prozent histo-
risch schlechte Ergeb-
nisse für seine Partei
eingefahren. Doch die
Ablehnung zahlreicher
Volksvertreter gegen-
über dem umstrittenen
Rajoy brachte Sánchez
überraschend an die
Regierungsspitze.
Diese Bühne nutzte der
47-Jährige, um bei den
Spaniern für seine Politik zu werben: Per Dekret
erhöhte er den Mindestlohn und die Besoldung
der Beamten und machte damit Millionen von
Spaniern ein vorgezogenes Wahlgeschenk. Zu-
dem stellte er sich eine Regierung mit Experten
aus der Zivilgesellschaft und einer weiblichen
Mehrheit zusammen und demonstrierte so die
Modernität, für die seine Partei traditionell in
Spanien steht.
„Sánchez hat die Erfolgsformel der Sozialdemo-
kratie angewandt“, sagt der Politologe Pablo Si-
món von der Universität Carlos III in Madrid. Ei-
ne Studie zeige, dass Sozialdemokraten immer
dann stark seien, wenn sie identitäre Themen
wie Feminismus oder Minderheiten mit öffentli-
chen Investitionen verbänden. Genau das hat
Sánchez getan: Er hat sich dem Kampf gegen ge-
schlechterspezifische Gewalt gewidmet und sich
damit ein in Spanien intensiv diskutiertes Thema
zu eigen gemacht. Im Wahlkampf versprach er
den Spaniern zudem neue Ausgaben wie den
Bau von Sozialwohnungen und höhere Investi-
tionen für die Bildung.
Eine weitere Erklärung für seinen Erfolg ist die
historisch starke Verwurzelung der Sozialisten
in Spanien, die sich seit dem Ende der Franco-
Diktatur mit den Konservativen an der Regie-
rung abgewechselt haben. Erst 2015 entstand
mit den Linkspopulisten von Unidas Podemos
ein gewichtiger Rivale auf der linken Seite,
doch Podemos hat sich durch interne Graben-
kämpfe bereits wieder entzaubert.
Noch allerdings ist Sánchez‘ Zukunft unge-
wiss: Bislang hat er keine Mehrheit für seine
Regierung gefunden. Gelingt ihm das bis zum
- September nicht, werden Neuwahlen fällig.
In den Umfragen führt bislang aber ganz klar:
Sánchez. Sandra Louven
Parteichefin
Mette Frederiksen:
Wahlsieg mit ei-
nem umstrittenen
Photonews/Getty Images Rezept.
Manche sozialdemokratischen Parteien in Europa haben geschafft, wovon die SPD nur
träumt: Sie haben sich erneuert und Wähler zurückgewonnen. Drei Erfolgsbeispiele.
Brüder, zurück zur Sonne
Dänemark
Frührente statt
Migranten
Während in vielen anderen europäischen Län-
dern die Sozialdemokraten kaum noch als Volks-
partei bezeichnet werden können, führte die
Vorsitzende und Spitzenkandidatin Mette Frede-
riksen Anfang Juni ihre Sozialdemokraten zum
Sieg bei den Parlamentswahlen in Dänemark. Sie
löste damit eine Mitte-rechts-Koalition ab. Zwar
erreichten die dänischen Sozialdemokraten kei-
ne eigene Mehrheit und regieren jetzt mit wech-
selnden Mehrheiten. Das ist aber nicht unge-
wöhnlich im Norden Europas. Minderheitsregie-
rungen haben in Dänemark, Finnland, Norwegen
und Schweden Tradition.
Der Erfolg der dänischen Sozialdemokraten war
allerdings ein mit umstrittenen Methoden er-
kaufter Sieg. Linke Sozial- und rechte Asylpolitik
lautete Frederiksens umstrittenes Rezept, mit
dem es gelang, die ins rechte Lager abgewander-
ten Wähler wieder zurückzuholen. Nicht die
klassischen sozialdemokratischen Themen wie
Sozial- und Steuerpolitik standen ganz oben auf
der Agenda, sondern die Asylpolitik. Rigorose
Abschiebungen und ein deutlich erschwerter Fa-
miliennachzug sowie eine „Obergrenze für nicht-
westliche Einwanderer“ – die Versprechen der
dänischen Sozialdemokraten ähnelten denen der
Dänischen Volkspartei. Frederiksen und ihre Par-
teifreunde haben sich Teile des politischen Pro-
gramms der Rechtspopulisten zu eigen gemacht.
Gleichzeitig ließen sie die Tür weit auf, um auch
im linken Spektrum des kleinen Königreichs
Stimmen fischen zu können. Großzügigere Be-
dingungen für eine Frühverrentung, mehr Aus-
gaben im Bildungs- und Gesundheitssystem – das
wollten die Wähler links der Mitte hören.
Ihr Flirt mit den Themen der Rechten hat Frede-
riksens Sozialdemokraten den Wahlsieg gebracht
und der rechten Dänischen Volkspartei die größ-
te Schlappe seit Bildung der Partei vor mehr als
20 Jahren. Sie verlor mehr als die Hälfte der
Stimmen verglichen mit dem Wahlergebnis von
vor vier Jahren. Seit über zwei Jahrzehnten hatte
die Partei die äußerst restriktive Zuwanderungs-
politik in Dänemark entscheidend geprägt. Doch
mittlerweile fühlen sich die Wähler, die Auslän-
dern skeptisch gegenüberstehen, bei
den Sozialdemokraten offenbar
besser aufgehoben.
Noch ist Mette Frederiksen nicht
einmal 100 Tage im Amt. Man-
che Beobachter sagen ihr eine
schwierige Amtszeit voraus,
weil sie rechte wie linke Wäh-
lergruppen vereinen
muss. Womöglich nicht
ganz ungelegen kommt
da die unerwartete
Ablenkung in Form
von US-Präsident
Donald Trump, der
das mit Dänemark
assoziierte Grön-
land kaufen will.
Helmut Steuer
Portugal
Sparen für den
Aufschwung
Dem portugiesischen Ministerpräsidenten Anto-
nio Costa ist ein Experiment gelungen, das ihm
weder Brüssel noch Berlin und schon gar nicht
seine eigenen Landsleute zugetraut hatten. Nach-
dem die Konservativen die Wahl 2015 gewonnen
hatten, aber keine Regierungsmehrheit fanden,
sprang Costa ein und regiert seitdem mit einer
Minderheitsregierung, die sich erstmals auf die
Stimmen von Kommunisten, Grünen und dem
linkspopulistischen Linken Block stützt. Viele sa-
hen in diesem Linksrutsch eine unheilvolle Alli-
anz, erwarteten die Explosion der Staatsausga-
ben.
Doch das Gegenteil ist der Fall: Zwar machte
Costa seinen linken Partnern Zugeständnisse
und hob etwa Mindestlohn, Renten und Beam-
tengehälter an. Gleichzeitig aber legte er eine ei-
serne Budgetdisziplin an den Tag und senkte das
Haushaltsdefizit von 4,2 Prozent (Amtsantritt En-
de 2015) auf 0,5 Prozent (2018). „Diese Kombina-
tion aus der Befriedigung seiner linken Partner
bei gleichzeitiger Haushaltsstrenge ist der Schlüs-
sel für Costas Erfolg“, ist Antonio Barroso vom
Beratungshaus Teneo überzeugt.
Möglich war das durch ein starkes Wirtschafts-
wachstum, getrieben vom boomenden Touris-
mus, und die Auswirkungen der Reformen, die
Portugal noch in Krisenzeiten verabschiedet hat-
te – etwa die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts.
2017 und 2018 wuchs das Land stärker als der
Durchschnitt der anderen EU-Länder, die Ar-
beitslosigkeit halbierte sich von zwölf auf zuletzt
6,3 Prozent. Costa senkte die Einkommensteuer,
hob aber gleichzeitig indirekte Steuern an, so-
dass die Steuerbelastung stieg.
„Costa hat das Image der Sozialisten als wirt-
schaftlich kompetent wiederhergestellt“, sagt
Barroso. „Das war ramponiert, nachdem der
ehemalige sozialistische Premier José Sócrates
2011 das Rettungsprogramm beantragen musste.“
Wie ernst es dem Premier mit der Defizit-Diszip-
lin ist, bewies er Anfang Mai. Damals taten sich
seine linken Partner mit der konservativen Op-
position zusammen und wollten im Parlament
für eine umfangreiche Lohnerhöhung für Lehrer
stimmen – rückwirkend für rund neuneinhalb
Jahre. Da beschwor Costa die verheerenden Fol-
gen für den Haushalt und drohte mit seinem
Rücktritt, falls das Parlament die Maßnahme be-
schließen würde. Das wirkte: Die Opposition
nahm von ihren Plänen Abstand.
Mit einer solch demonstrativ verteidigten fiskal-
politischen Verantwortung nimmt der 58-Jährige
der ohnehin kriselnden rechten Oppositionspar-
tei PSD Spielraum für deren eigene Positionie-
rung. Am 6. Oktober wählen die Portugiesen ein
neues Parlament, und in den jüngsten Umfragen
liegen Costas Sozialisten zwischen 36 und 43
Prozent. Sandra Louven
Lissabon: Streng e
Budgetdisziplin trotz Linksrutsch.
Photo by Julian Dik on Unsplash
Spanien: Erfolgsformel
der Sozialdemokratie.
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