Handelsblatt - 23.08.2019

(Rick Simeone) #1
Und darum haben sie Donald Trump gewählt?
Ja, darum haben sie Donald Trump gewählt. Es
wird interessant sein zu sehen, ob sie ihn wieder-
wählen werden. Es sieht ja jeden Tag so aus, als ob
er sich disqualifiziert hat. Aber am nächsten Tag ist
er wieder obenauf, als ob nichts passiert ist.

Glauben Sie an eine zweite Amtszeit Trumps?
Es ist noch ein wenig früh, das vorherzusagen, weil
wir eben nicht wissen, mit was er als Nächstes
kommt. Aber man kann ihn nicht abschreiben. Er
hat eine ziemlich eigensinnige Wählerbasis, die
weitestgehend intakt zu sein scheint. Und leider
haben es die Demokraten bisher nicht geschafft,
Themen zu finden, die die Menschen wachrütteln.

Können denn die G7-Politiker etwas tun, um Inno-
vation und Produktivität anzukurbeln?
Kaum. Die Probleme sind eher strukturell. Die nor-
malen Leute leiden am meisten unter der Verlang-
samung des Produktivitätswachstums. Wir müssen
die jungen Leute dazu bringen, mehr zu experi-
mentieren, sich neue Produktionswege und Pro-
dukte auszudenken. Wir müssen das Bestreben zu-
rückbekommen, etwas zu verändern, einen klei-
nen Unterschied auszumachen. Sonst wird es
schwierig, die Innovationskraft wieder auf das Ni-
veau von vor 1970 zu heben. So etwas kann die G
nicht ändern. Es ist sogar schwierig für jedes ein-
zelne Land. Aber wir müssen es versuchen.

Wie? Durch Steuererleichterungen für Start-ups
oder Forschung und Entwicklung etwa?
Das kann sinnvoll sein. Wenn Regierungen mit sol-
chen Anreizen experimentieren wollen, unterstüt-
ze ich das. Ich glaube nur nicht, dass das allein an
der Basis eine Welle an Innovationen auslöst. Es
geht tiefer. Wir müssen die Haltung, die Werte der
Menschen ändern.

Populismus gibt es auch in Europa. Ein Trend?
Vielleicht ein Resultat der Entwicklung, dass inno-
vative Kraft und alte Werte des Unternehmertums
verloren gegangen sind. Das macht die Leute unzu-
friedener. Und so suchen sie nach einfachen Ant-
worten und Versprechungen.

Können weitere Steuersenkungen in den USA die
größte Volkswirtschaft der Welt am Laufen hal-
ten?
Ich habe meine Meinung zur Staatsverschuldung
ein wenig geändert. In meinem ersten Buch 1967
habe ich kraftvoll gegen Budgetdefizite argumen-
tiert: Wenn der Staat sich hoch verschuldet und
sich jeder reich fühlt wegen geringer Steuerlast,
dann türmt sich der Reichtum, aber es gibt keinen
Raum für mehr Investitionen. Budgetdefizite ver-
drängen so theoretisch Investitionen und senken
das Wirtschaftswachstum. Heute denke ich ein we-
nig anders.

Inwiefern?
Ein geringes Defizit könnte sinnvoll sein – mit dem
Argument, dass es Generationen in Zukunft besser
haben werden als wir. Wäre es nicht gerecht, den
Konsum der gegenwärtigen Generation ein biss-
chen anzufeuern? Ich zögere aber, mit dem Argu-
ment an die Öffentlichkeit zu gehen, weil ich fürch-
te, Regierungen könnten es nutzen und routinemä-
ßig Defizite fahren – dann bekommen wir genau
die Probleme, die ich beschrieben habe. Jeder
schreit nach einer Ankurbelung durch den Staat.

Um den Abschwung aufzuhalten ...
Ich glaube daran, dass wir die Wirtschaftsgerechtig-
keit verbessern, indem wir die Löhne am unteren
Ende anheben. Da könnten wir mehr tun. Aber ich
glaube nicht daran, mit Geld um sich zu werfen an
Interessengruppen, die mal ein schlechtes Jahr hat-
ten. Das ist verrückt, auch für den Geist eines Lan-
des. Je mehr wir von solchen Forderungen abge-
lenkt werden, desto ineffektiver ist eine Regierung,
sich den wahren Problemen zu widmen.

Herr Phelps, vielen Dank für das Interview.


Die Fragen stellte Nicole Bastian.


G7-Gipfel in Biarritz


Filou Macron hegt Ambitionen


E


mmanuel Macron hat die Lektion beher-
zigt, die Kanadas Regierungschef Justin Tru-
deau im vergangenen Jahr bitter lernen
musste: Nächtelang verhandelte der auf dem
G7-Gipfel ein verwässertes Abschlusskommuniqué
mit den Amerikanern. Doch auf dem Rückflug zog
US-Präsident Donald Trump per Tweet seine Un-
terschrift zurück.
Der französische Präsident tappt nicht in diesel-
be Falle. Er verzichtet von vorneherein auf ein ge-
meinsames Kommuniqué. Das bedeutet nicht,
dass er keine Ambitionen hat. Im Gegenteil. Er
sucht eine gemeinsame Reaktion der G7 auf die
weltweite Wachstumsschwäche und will eine Ant-
wort auf die Krise des Kapitalismus, auf Ungleich-
heit und soziale Spaltung geben.
Macron versucht, einen Siebenergipfel in Zeiten
des Trumpismus zu organisieren. „Man kann Do-
nald zu nichts bewegen, wenn ein Wahlverspre-
chen im Wege steht“, gesteht der Franzose dem
Amerikaner zu. Man könnte es auch unfreundli-
cher ausdrücken: Internationale Verträge und Ab-
sprachen bedeuten dem Milliardär nichts, wenn
sie in Konflikt mit seiner Klientelpolitik geraten.
Die kritisierte Macron am Mittwoch vor der Me-
dienvereinigung „presse présidentielle“ in Paris
scharf: „Es gibt immer weniger internationale
Übereinstimmung, was die Politik für das Wirt-
schaftswachstum angeht, die USA senken allein in
ihrem Interesse die Steuern, um Einnahmen ins
Inland zu holen“, hielt er Trump vor.
An dessen Adresse richtete sich auch die kriti-
sche Bemerkung des Präsidenten: „Die Politik von
Zinssenkungen ist an der Grenze ihrer technischen
Wirksamkeit angelangt.“ Trump drängt den Chef
der US-Fed seit Wochen, die Zinsen weiter zu sen-
ken. Macron sieht das skeptisch: Die lockere Geld-
politik habe nach der großen Krise 2008 geholfen,
doch heute stoße sie ans Limit.
Das ist nicht leicht dahingesagt. Schon im Juli
kritisierte Wirtschafts- und Finanzminister Bruno
Le Maire die Nebenwirkungen extrem niedriger
Zinsen: Darunter würden vor allem die Bezieher
niedriger Einkommen leiden. Sie bekämen nichts
mehr für ihre Sparguthaben und spürten gleichzei-
tig, wie Druck auf ihre Löhne ausgeübt werde.
Da gibt es interessante Anknüpfungspunkte zur
Debatte in Deutschland über die lockere Geldpoli-
tik. Die Gemeinsamkeiten enden aber rasch, wenn
es um das geht, was Macron als Antwort auf die
Konjunkturkrise vorschwebt: „Europa, Deutsch-
land und Frankreich stellen sich die Frage einer Fi-
nanzpolitik, die das Wachstum unterstützt.“ Eine
solche „budgetäre Stimulierung“ sollten die Län-
der leisten, die dafür den finanziellen Spielraum
haben, und das sei vor allem die Bundesrepublik,
sagte Macron am Mittwoch gleich zweimal.
In Berlin hört man das gar nicht gerne. „Der Vor-
schlag einer internationalen Wachstumsinitiative
hört sich gut an, aber er darf nicht im Ungefähren
bleiben“, heißt es in Berliner Regierungsreisen.

Wenn es am Ende nur wieder um einen von Ma-
cron schon ins Spiel gebrachten umfassenden eu-
ropäischen Währungsfonds, nur diesmal auf inter-
nationaler Ebene, gehen solle, sei dies kein gang-
barer Weg. Berlin bleibe bei seinem Ziel eines
ausgeglichenen Haushalts. Eine Abkehr von der
schwarzen Null sei mit Kanzlerin Angela Merkel in
der derzeitigen Lage nicht zu machen.
Einfacher wird es bei Macrons zweitem wirt-
schaftspolitischem Schwerpunkt für Biarritz, der
globalen Mindestbesteuerung für alle großen, in-
ternational tätigen Konzerne. Die unterstützt Ber-
lin vollkommen. Sie würde an die Stelle der soge-
nannten „GAFA-Steuer“ treten, die Frankreich und
mehrere andere europäische Staaten, darunter
Großbritannien, national in Kraft gesetzt haben.
Anfang der Woche telefonierte Macron lange mit
Trump über das Thema, der Frankreich mit Straf-
zöllen gedroht hat.
Kampf gegen zunehmende
internationale Ungleichheit
In der Sache ist man nicht mehr so weit auseinan-
der wie früher. Auch die USA haben ein Interesse
daran, dass es eine wirksame internationale Min-
destbesteuerung gibt. Beim Treffen der G7-Finanz-
minister im Juli gab es weitgehende Übereinstim-
mung zwischen den Ministern Steven Mnuchin
und Le Maire. Es soll keine Sondersteuer mehr ge-
ben für digitale Unternehmen, aber digitale Aktivi-
täten werden einbezogen in neue, weltweit gelten-
de Steuervorschriften. Frankreich wirft den Digi-
tal-Multis vor, allenfalls drei Prozent ihrer Gewinne
als Steuer abzuführen.
Eine Einigung bei diesem Thema gäbe Macron
die Chance, in Biarritz einen Erfolg im Kampf ge-
gen zunehmende internationale Ungleichheit bei
Einkommen- und Vermögensverteilung zu ver-
melden. Nichtregierungsorganisationen wie Ox-
fam werfen der G7 vor, die weltweite Ungleich-
heit eher noch zu verschärfen: „Ungerechte Steu-
ersysteme und schädliche Steuerpraktiken
verhelfen Unternehmen und reichen Einzelper-
sonen zu drastischen Gewinnen, enthalten Ent-
wicklungsländern aber wichtige Steuereinnah-
men vor“, schreibt Oxfam in einer am Donners-
tag veröffentlichten Studie. Die Einnahmen
fehlten den Entwicklungsländern, um sie in öf-
fentliche Bildungs- und Gesundheitssysteme so-
wie soziale Sicherung zu investieren. Macron
schlägt kurz vor dem Gipfel ebenfalls eine ankla-
gende Tonart an: „Wir können nicht tolerieren,
dass diese Unternehmen nichts zum gesellschaft-
lichen Ausgleich beitragen und in einem Steuer-
paradies leben“, sagt er mit Blick auf die Tech-Gi-
ganten, die wertvollsten Unternehmen der Welt.
Der am Samstag beginnende G7-Gipfel bietet bis
Montagnachmittag auch den NGOs und mehreren
afrikanischen wie asiatischen Staaten Raum, ihre
Ansichten vorzutragen. Die G7 bleibt bei einigen
Sitzungen unter sich, andere werden geöffnet, um
Vertreter von Schwellenländern und der Zivilge-
sellschaft einzubeziehen. Am Montagvormittag
gibt es eine Reihe von bilateralen Treffen.
Dabei dürfte es, was die Europäer angeht, neben
Syrien und Hongkong vor allem um den Brexit ge-
hen. Bei einem Treffen mit Macron am Donnerstag
in Paris sagte der britische Premier Boris Johnson,
er wolle „auf jeden Fall eine Einigung über das
Ausscheiden aus der EU“, also keinen harten Bre-
xit. Macron sagte, man solle eine Lösung suchen,
doch die Grundsätze seien nicht zu verrücken: po-
litische Stabilität in Irland, also keine Grenzkon-
trollen, und Schutz des europäischen Binnenmark-
tes. „Es liegt am britischen Premier, eine politische
Entscheidung zu treffen“, formulierte Macron.
Aus Angst vor Ausschreitungen hat die Polizei
den Badeort Biarritz in eine Festung verwandelt.
Der Kern der Innenstadt ist eine gesperrte rote Zo-
ne. Der Gegengipfel der NGOs wird an die franzö-
sisch-spanische Grenze verbannt.
Thomas Hanke, Thomas Sigmund

G7-Gipfel in Biarritz:
Sicherheitskräfte
patrouillieren auch an
der Küste.

Iroz Gaizka/AFP


Der Ökonom 1959
promovierte er an der
Yale-Universität.
Durch seine Arbeiten
wird der Zusammen-
hang zwischen Infla-
tion und Arbeitslosig-
keit heute anders
gesehen. 1971 wech-
selte Phelps an die
Columbia-Universität.
Der Preisträger 2006
erhielt Phelps den
Wirtschaftsnobel-
preis. 2013 veröffent-
lichte er sein Buch
„Mass Flourishing“, in
dem er den Rückgang
von Innovation und
Produktivitätswachs-
tum seit den 70er-
Jahren analysiert.

Vita
Edmund Phelps

Wirtschaft & Politik


WOCHENENDE 23./24./25. AUGUST 2019, NR. 162^9


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