Handelsblatt - 23.08.2019

(Rick Simeone) #1
Olaf Scholz:
Experten bezweifeln die Wirksam-
keit des Zins-Vorstoßes des Fi-
nanzministers.

Hans Christian Plambeck/laif


Elisabeth Atzler, Jan Hildebrand
Yasmin Osman Frankfurt, Berlin

T


hemen des politischen
Gegners zu kapern ge-
hört zu den Lieblings-
strategien von Kanzlerin
Angela Merkel (CDU).
Aber auch Finanzminister Olaf
Scholz (SPD) beherrscht dieses Hand-
werk. Kaum hatte CSU-Chef Markus
Söder ein Verbot von Strafzinsen für
Guthaben bis 100 000 Euro gefor-
dert, übernahm Scholz das Thema.
Er habe eine Prüfung veranlasst,
„ob es der Bundesregierung rechtlich
überhaupt möglich ist, Kleinsparer
vor solchen Negativzinsen zu schüt-
zen“, sagte der Finanzminister der
Funke Mediengruppe. „Diese Prü-
fung ist aber kompliziert und wird et-
was dauern.“
Das kann Scholz egal sein, das Pro-
jekt wird nun ihm, dem zuständigen
Minister, zugeschrieben. Das dürfte
Scholz, der sich um den SPD-Vorsitz
bewirbt, recht sein, weiß er doch, wie
unpopulär drohende Strafzinsen sind.
„Ich finde es keine gute Idee, wenn
Banken Strafzinsen erheben für Gut-
haben auf Girokonten oder Tagesgeld-
konten“, sagte Scholz. „Am besten wä-

re es, wenn die Banken das einfach
lassen.“ Bisher gelten Strafzinsen für
Privatkunden, anders als bei Unter-
nehmen oder Investoren, ohnehin
als Tabu. Die Geldhäuser haben in
den vergangenen Jahren zwar viel-
fach die Gebühren für Girokonten er-
höht, von Strafzinsen auf Giro- und
Tagesgeldkonten aber weitgehend
abgesehen. Auch rechtlich sind Straf-

zinsen für Privatkunden umstritten.
Vieles deutet darauf hin, dass sie bei
den meisten Girokonten unzulässig
und bei Tagesgeldkonten nur in Son-
derfällen möglich sind. So hat das
Landgericht Tübingen vor gut einem
Jahr entschieden, dass ein Entgelt für
die Einlagenverwahrung, also Straf-
zinsen, bei einem Girokonto mit Kon-
toführungsgebühr nicht erlaubt ist.

Deshalb stößt das von Scholz ins
Spiel gebrachte Verbot bei Verbrau-
cherschützern nicht auf große Be-
geisterung. „Ein Verbot von Strafzin-
sen für Kleinsparer ist gut gemeint,
aber eine Scheinlösung“, sagte Klaus
Müller, Vorstand des Verbraucher-
zentrale Bundesverbands (VZBV). Be-
reits jetzt seien Negativzinsen bei be-
stehenden Verträgen aus Sicht des
Verbands rechtswidrig. „Banken und
Sparkassen können dagegen Gebüh-
ren für Girokonten erhöhen, was sie
bereits vielfach tun.“
Die Finanzinstitute stehen durch
den negativen Einlagenzins der Eu-
ropäischen Zentralbank (EZB) unter
Druck. Und deren Präsident Mario
Draghi hatte zuletzt eine Verschär-
fung angedeutet, was die Branche
alarmiert. „Es könnte sein, dass viele
Banken auf Dauer nicht mehr umhin
können, die zusätzlichen Belastun-
gen auch in der Breite an Privatkun-
den weiterzugeben“, sagte jüngst der
Hauptgeschäftsführer des Bundes-
verbands deutscher Banken (BdB),
Andreas Krautscheid. „Die Deutsche
Bank plant derzeit nicht, im breiten
Kundengeschäft Kosten für Einlagen
an die Kunden weiterzugeben“, sagte
ein Sprecher des größten deutschen
Geldhauses. Die Bank beobachte
aber „sehr aufmerksam und fortlau-
fend die Auswirkungen der negati-
ven Marktzinsen auf die Kunden und
die Bank“.
Von einem Verbot von Strafzinsen
hält die Branche jedenfalls wenig. Die
Deutsche Kreditwirtschaft erklärte,
dass Banken und Sparkassen ihre
Preise und Entgelte auf der Grundla-
ge des Marktumfelds in Eigenverant-
wortung kalkulierten. „Gesetzliche
Verbote sind systemfremd, helfen
den Kunden nicht weiter und können
letztlich zu einer gefährlichen Insta-
bilität der Finanzmärkte führen“, teil-
te die Interessenvertretung der Spit-
zenverbände der Finanzinstitute mit.
Rentabilität angemahnt
Unterstützung kommt von der Bun-
desbank. „Zinsen, ob positiv oder ne-
gativ, sind der Preis für Bankgutha-
ben. Preise sollten sich in einer
Marktwirtschaft grundsätzlich im
Wettbewerb bilden“, sagte Bundes-
bank-Vorstand Joachim Wuermeling
dem Handelsblatt. Deshalb sei die
Preispolitik der Banken auch nicht
Gegenstand des Aufsichtshandelns.
Wuermeling stellte aber auch klar,
dass die Banken Spielräume bräuch-
ten: „Wir fordern von den Banken
vor allem bei Veränderung des Um-
felds nachdrücklich die Entwicklung
eines nachhaltigen Geschäftsmo-
dells“, sagte Wuermeling.
Dazu gehöre nicht zuletzt die mit-
tel- und langfristige Rentabilität, ins-
besondere die Überprüfung unren -
tabler Geschäftsfelder. „Die Ge-
schäftsmodelle der Banken müssen
sich auch auf ein Niedrig- oder Nega-
tivzinsumfeld einstellen können“,
mahnte der Bundesbank-Vorstand.
Die Kosten des Geschäftsbetriebs
müssten durch die Erträge erwirt-
schaftet werden, „sonst wird die Sta-
bilität des Bankensystems gefährdet“.
In der Politik wurde Scholz‘ Vor-
stoß unterschiedlich aufgenommen.
FDP-Generalsekretärin Linda Teute-
berg sprach von einer „Beruhigungs-
pille“. Zustimmung kam hingegen
von der Linkspartei.


Pro und Contra Seite 14



Banken


Scholz will Kleinsparer


vor Strafzinsen schützen


Der Finanzminister will Negativzinsen verbieten. Die Branche kritisiert den
Vorstoß, Verbraucherschützer halten ihn für unzureichend.

Negativzinsen


72 %


12 %


15 %


Umfrage: Sollen Negativzinsen für Kleinsparer verboten werden
oder sollen Banken frei sein, Negativzinsen zu erheben?

HANDELSBLATT • 516 Befragte Quelle: Yougov für Handelsblatt


Negativzinsen
sollten für Sparer
mit Guthaben bis
100 000 Euro
verboten werden.

Banken sollten
Negativzinsen
auch für Sparer
mit Guthaben
bis 100 000 Euro
erheben dürfen.

Weiß nicht


Der CSU-Chef forder-
te zuerst ein Straf-
zinsverbot – Olaf
Scholz hat das Thema
gekapert.

REUTERS


10 Wirtschaft & Politik WOCHENENDE 23./24./25. AUGUST 2019, NR. 162


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