Frankfurter Allgemeine Zeitung - 27.08.2019

(WallPaper) #1

SEITE 2·DIENSTAG, 27. AUGUST 2019·NR. 198 F P M Politik FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


Macronwill Fiasko verhindern
„Le Figaro“ (Paris) schreibt zum G-7-Gipfel:
„Es überrascht nicht, dass der G-7-Gipfel in Biarritz
die Krise der globalen Ordnung spiegelte, die durch die
Regierungsübernahme Donald Trumps noch verstärkt
worden war. Emmanuel Macron versuchte, die Mei-
nungsverschiedenheiten bei den anderen Themen zu
verschleiern, indem er eine neue Dynamik mit Iran
schuf. Der Präsident war bemüht, ein neues Fiasko wie
beim vergangenen G-7-Gipfel in Kanada zu verhindern,
bei dem Donald Trump die Tür mit seiner Weigerung,
die Abschlusserklärung zu unterzeichnen, zuwarf. Er
kämpfte darum, sich... als Vermittler zu positionieren,
indem er informelle Gespräche anstieß.“

Macron hätte Bolsonaro einladen sollen
„Der Standard“ (Wien) blickt über das Ereignis in
Biarritz hinaus:
„Der Fall Bolsonaro geht über die aktuelle Urwaldka-
tastrophe hinaus und wirft die grundsätzliche Frage auf,

wie der Westen mit den Demagogen und Populisten die-
ser Welt umgehen soll. Macron hatte an sich vor Jahren
schon einen guten Ansatz gefunden und erklärt, es gel-
te, ,mit allen zu reden, aber Klartext zu sprechen‘. Rück-
blickend betrachtet, wäre es angezeigt gewesen, auch
Bolsonaro nach Biarritz einzuladen – allein schon um
ihn vor den TV-Kameras der Welt in die Pflicht zu neh-
men. Gut möglich, dass er im Kreis der ,Großen‘ den
Klartext auch hören würde.“

Der Verschwörungstheoretiker
„Diena“ (Riga) analysiert das Verhalten des brasiliani-
schen Präsidenten:
„Weltweit besteht Unbehagen über die schweren
Brände, die in rekordverdächtigem Ausmaß im Amazo-
nas-Regenwald in Brasilien wüten. Der als ,Lunge der
Welt‘ bekannte Wald ist wichtig, um den Klimawandel
einzudämmen. Staatsführer und Berühmtheiten haben
die internationale Gemeinschaft aufgerufen, eine aktive
Rolle bei der Bewältigung der Krise zu spielen. Doch der

den Klimawandel leugnende rechte brasilianische Präsi-
dent Jair Bolsonaro, dessen Politik von Umweltschüt-
zern für die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes ver-
antwortlich gemacht wird, kommt mit Verschwörungs-
theorien über die sich weit ausbreiteten Brände hervor
und wittert Versuche, seine Regierung zu diskreditie-
ren.“

Johnson muss Brüssel unter Druck setzen
„The Times“ (London) kommentiert die Brexit-Strate-
gie von Premierminister Boris Johnson:
„Wahrscheinlich weiß er, dass eine Zahlungsverweige-
rung Großbritannien schaden würde. Nicht allein der
Wissenschaft und anderen Bereichen, die von EU-Gel-
dern und grenzüberschreitender Zusammenarbeit ab-
hängen, sondern auch der weltweiten Reputation Groß-
britanniens als vertrauenswürdig und fair. Aber er weiß
auch, dass ein Land – wie bei einem Atomkrieg – bereit
sein muss, den schlimmstmöglichen Schaden anzurich-
ten, damit es glaubwürdig genug ist, um die andere Seite

von einer Aggression abzuhalten. Johnson ist in Eile. Er
hat das in Biarritz für jedermann klargemacht. Seine
Umfragewerte steigen bereits. Er könnte kurz davor ste-
hen, Wahlen anzusetzen. Jetzt muss er maximalen
Druck auf Brüssel ausüben. Großbritannien sollte zwar
seine tatsächlichen Schulden begleichen. Doch es ist le-
gitim, Zahlungen auf strittigen Gebieten so lange zurück-
zuhalten, bis eine endgültige Einigung erzielt ist.“

Johnsons Drohgebärden sind ein Bumerang
„El País“ (Madrid) meint:
„Boris Johnson hat seine Amtszeit als – nicht gewähl-
ter – Premierminister mit Drohgebärden begonnen....
Diese Vorstöße haben keinen der EU-Amtskollegen mit
der Wimper zucken lassen. Stattdessen haben sie einen
Bumerangeffekt. Die Nichtzahlung ausstehender Rech-
nungen würde dem Vereinigten Königreich schaden,
weil es seine Teilnahme an europäischen Programmen
gefährdet. Die Bürgerrechte der Einwohner Europas ein-
zuschränken wäre für die 27 eine Aufforderung, dassel-
be mit ihren britischen Einwohnern zu tun.“

STIMMEN DER ANDEREN


BEIRUT/TEL AVIV, 26.August. Es ist
ein besonders heißer Sommer im Nahen
Osten. Längst greift die israelische Luft-
waffe nicht mehr nur Ziele in Syrien an,
sondern auch im Irak – und neuerdings
im Libanon. Aus israelischer Sicht han-
delt es sich um Vereitelungsmaßnahmen
gegen zunehmende iranische Aktivitäten
in der Region. Wie der Sicherheitsappa-
rat die Lage einschätzt, gab die israeli-
sche Zeitung „Maariv“ wieder: „Die Ira-
ner haben die Gänge hochgeschaltet und
versuchen, die Spannungen mit Israel zu
erhöhen, um Druck auf Washington, Eu-
ropa und Russland auszuüben.“ Minister-
präsident Benjamin Netanjahu warnte
am Montagabend vor einer „breiten
Front“, an der Iran arbeite, „um mörderi-
sche Terroranschläge gegen den Staat Is-
rael durchzuführen“. Er rief die interna-
tionale Gemeinschaft dazu auf, „sofort zu
reagieren, so dass Iran mit diesen Angrif-
fen aufhört“.
Teherans Nadelstiche greifen auf die
Nachbarschaft Israels aus. In der Nacht
zum Montag schossen militante Palästi-
nenser im Gazastreifen drei Raketen auf

Israel ab, von denen die Raketenabwehr
zwei abfing. Und es ist klar, dass Iran Ein-
fluss auf mehrere militante Gruppierun-
gen in Gaza hat. Nur Stunden zuvor hat-
ten israelische Drohnen im Irak ein Fahr-
zeug von Milizen der „Volksmobilisie-
rung“ getroffen, unter deren Banner von
Iran gelenkte Milizen aktiv sind. Der An-
griff provozierte sogar eine erboste öffent-
liche Reaktion von Qassem Soleimani,
dem Kommandeur der Quds-Brigaden,
der Auslands-Eliteeinheit in den Reihen
der iranischen Revolutionswächter.
Der großangelegte israelische Angriff
in der Nähe der syrischen Hauptstadt Da-
maskus vom Samstag galt laut Angaben
aus Tel Aviv Soleimanis Revolutionsgar-
den, die geplant hätten, mit Sprengstoff
präparierte kleine Kamikaze-Drohnen
auf Ziele in Israel fliegen zu lassen. Min-
destens zwei Angehörige der schiitischen
Hizbullah wurden getötet. Der so offen-
bar vereitelte iranische Angriff wiederum
soll die Reaktion Teherans auf einen israe-
lischen Luftangriff im Irak gewesen sein,
der einem iranischen Lager ballistischer
Raketen galt. Schon Ende Juli hatten is-

raelische F-35-Tarnkappenbomber laut
arabischen Medienberichten so ein Lager
getroffen. Vergangene Woche zitierte die
„New York Times“ zwei amerikanische
Regierungsvertreter, die bestätigten, dass
Israel mehrere Angriffe auf Munitionsla-
ger irantreuer Kräfte im Irak geflogen
hat. Netanjahu hatte Angriffe seines Lan-
des im Irak auf Nachfrage nicht demen-
tiert und gesagt: „Iran hat nirgendwo Im-
munität.“
Die verstärkten Angriffe fallen in eine
Zeit zunehmender Diskussionen in der is-
raelischen Militärführung, ob die seit Jah-
ren geführten taktischen Luftschläge aus-
reichen. Oder ob man bislang zu zurück-
haltend gewesen sei. Zwar werden in Sy-
rien oder im Irak immer wieder Stellun-
gen und Waffenlager zerstört und dabei
nicht nur örtliche Kämpfer, sondern auch
Offiziere der Revolutionsgarden getötet.
Doch hat Israel allein nicht verhindern
können, dass Iran eine strategische Ver-
bindung von Teheran über Bagdad und
Damaskus bis nach Beirut hat.
Am Wochenende folgten also Angriffe
im Libanon, dem Reich der Hizbullah,

der wichtigsten Truppe in Irans Schatten-
armee. Bislang hatte Israel dies vermie-
den. In einem von der Hizbullah kontrol-
lierten Viertel Beiruts sollen zwei israeli-
sche Drohnen niedergegangen sein. Und
in der Bekaa-Ebene griffen mutmaßlich
israelische Kampfflugzeuge Stellungen
der palästinensischen Splittergruppe
PFLP-Generalkommando an, die unter
dem Einfluss Irans steht. Israelische Beob-
achter vermuten darin ein Warnsignal Tel
Avivs, die Kampfzone auszuweiten, sollte
sich die Lage nicht ändern.
Zugleich stehen aber Iran und seine
Verbündeten jetzt unter Zugzwang.
Hassan Nasrallah, der die Hizbullah an-
führt, kündigte in einer Ansprache am
Sonntagabend Vergeltungsschläge an.
Nicht zu reagieren, machte er deutlich,
sei keine Option. Schon gar nicht, wenn
die eigenen Leute getötet werden. Es
dürfte tatsächlich für Nasrallah kaum
möglich sein, nach seinen Drohungen un-
tätig zu bleiben und zugleich sein Ge-
sicht zu wahren. Israel habe eine „rote
Linie“ überschritten. Nasrallah kündigte
an, die Tage, in denen israelische Kampf-

flugzeuge und Drohnen ungestraft in li-
banesischen Luftraum eindringen, seien
gezählt.
So sind Israel und die Hizbullah einem
neuen Waffengang wieder einen Schritt
näher gekommen. Schon länger wandeln
beide Seiten auf einem schmalen Grat:
Sie müssen Stärke zeigen, haben aber der-
zeit kein Interesse an einem offenen
Krieg. Daran hat sich laut Einschätzung
von Geheimdiensten auch nach dem Wo-
chenende nichts geändert. Zugleich ist
aber von einem „erhöhten Risiko“ und ei-
ner „neuen Situation“ die Rede.
Dass der schmale Grat noch einmal
schmaler geworden ist, wurde auch in Wa-
shington offenbar registriert. Außenminis-
ter Mike Pompeo rief den libanesischen
Regierungschef Saad Hariri an und bekräf-
tigte laut dessen Büro, die Lage dürfe
nicht weiter eskalieren. Das Ausmaß der
Hizbullah-Vergeltungsaktion dürfte nun
entscheidend sein. Dass es weitere Nadel-
stiche nach dem Wie-du-mir-so-ich-dir-
Prinzip gibt, gilt unter libanesischen und
westlichen Beobachtern in Beirut als das
geringste angenommene Übel.

BIARRITZ, 26. August


A

ls die Bundeskanzlerin und der
amerikanische Präsident am
Montag auf dem G-7-Gipfel in
Biarritz gemeinsam vor die Pres-
se traten, da sagte Angela Merkel nicht
viel, aber ihre Mimik sprach Bände. Wäh-
rend Donald Trump seine Charmeoffensi-
ve in Biarritz fortsetzte – toller Gipfel, tol-
le Frau, tolle Handelsgespräche, alles su-
per –, schwieg Merkel über weite Stre-
cken und machte ihr typisches Trump-Ge-
sicht: halb belustigt, halb gequält. Nur an
einer Stelle ergriff sie energisch das Wort:
Als Trump gefragt wurde, ob er es nicht
bedauere, dass bald die einzige Frau in
der Runde der Staats- und Regierungs-
chefs der sieben führenden Industrielän-
der nicht mehr dabei sei, ob man da nicht
in Sachen Frauenförderung noch etwas
machen müsse, da rief Merkel: „Ich bin
noch da.“ Trumps Reaktion: Merkel sei
„eine brillante Frau“.
Das Gespräch der beiden war mit Span-
nung erwartet worden. Mit Gastgeber Em-
manuel Macron hatte Trump schon am
ersten Tag des Gipfels gesprochen, mit
dem britischen Premierminister Boris
Johnson am Sonntagmorgen. Trump stell-
te ein „sehr großes“ Handelsabkommen
mit Großbritannien in Aussicht, mit dem
japanischen Ministerpräsidenten Shinzo
Abe präsentierte er sogar ein schon fast
fertiges Abkommen. Nur Deutschland
spielte in diesen Tagen an der französi-
schen Atlantikküste allenfalls eine Neben-
rolle. Als Merkel in der Pressekonferenz
in deutscher Sprache dafür warb, dass
auch die EU und die Vereinigten Staaten
ein Handelsabkommen abschließen soll-
ten, sagte Trump: „Das klingt nicht gut.“
Als er die Übersetzung ins Amerikani-
sche hörte, korrigierte er sich: Natürlich
wolle er das, „einen guten Deal für alle“.
Und nach Berlin kommen, das wolle er
auch, womöglich schon bald. Merkel
machte dann doch noch mal klar, dass es
an ihr nicht scheitert. „Ich habe den Präsi-
denten schon vielfach eingeladen.“
Trump sagte, er fühle sich geehrt. „Wir
werden kommen. Ich habe Deutsch im
Blut.“ („I have German in my blood.“)
Das Treffen der beiden war eigentlich
schon für Montag Morgen geplant, wurde
dann aber ohne Begründung auf den spä-
ten Vormittag verschoben. Trump begann
den Tag mit der Ankündigung, dass China
mit ihm wieder über ein Handelsabkom-
men sprechen wolle und dass dies eine
großartige Nachricht für die Welt sei.
Schon am Vortag war der Zeitplan durch
den überraschenden Besuch des irani-
schen Außenministers Dschawad Zarif

durcheinandergebracht worden. Macron
hatte Zarif kurzfristig eingeladen, um die
Verhandlungen zur Rettung des Atomab-
kommens mit Iran fortzusetzen, die am
Freitag in Paris begonnen hatten. Zweiein-
halb Stunden lang diskutierten im Rathaus
von Biarritz zunächst der französische Au-
ßenminister Jean-Yves Le Drian und spä-
ter 30 Minuten lang Macron persönlich
mit dem Emissär aus Teheran. Merkel be-
grüßte den Besuch Zarifs, es sei „absolut
richtig, jede Möglichkeit auszuloten, um
den Atomkonflikt zu entschärfen“. Iran lei-
de unter den Sanktionen. Die Bundeskanz-
lerin entsandte ihren Berater Jan Hecker
zu den Verhandlungen, auch der britische
Premierminister schickte seinen Sherpa.
Teheran hat verlangt, pro Tag 700 000
Fass Öl ausführen zu können. Trump bestä-
tigte am Montag, dass Macron ihn frühzei-
tig in seine Initiative eingeweiht habe. Das
Vorgehen habe er nicht als respektlos emp-
funden. „Nein, nein, nein“, sagte Trump
auf Nachfrage. Zarifs Name steht auf der
amerikanischen Sanktionsliste. Trump be-
stand in Biarritz darauf, dass ein neues Ab-
kommen mit Teheran ausgehandelt wer-
den müsse, das auch ballistische Raketen
umfasse. „Sie müssen mit dem Terroris-
mus aufhören“, forderte Trump. Zarif war
mit der Bemerkung aus Biarritz abgereist,
der Weg sei noch schwierig, aber der Ver-
such lohne sich. „Der feste Wille zu spre-
chen ist schon mal ein großer Fortschritt“,
sagte Merkel am Montag. „Das geschieht
in Koordinierung mit Amerika, und das ist
schon eine Menge“, fügte sie an.
Macron und Merkel waren auch mit ei-
ner eigenen Sahel-Initiative vor die Pres-
se getreten. Vor Jahresende soll eine Kon-
ferenz zu der geplanten „Partnerschaft
für Sicherheit und Stabilität“ organisiert
werden, um finanzielle Unterstützer für
die Initiative zu gewinnen. Den fünf Sa-
hel-Ländern Burkina Faso, Mali, Niger,
Mauretanien und Tschad soll bei der Aus-
rüstung und Ausbildung ihrer Sicherheits-
kräfte verstärkt geholfen werden. Das
Thema sei von großer Dringlichkeit, sag-
te Merkel. Man befinde sich in einem
Wettlauf mit den Terroristen. Es gehe
aber nicht um konkrete Truppeneinsätze,
schränkte sie sofort ein.
Der Ort des Geschehens war das Kon-
gresszentrum Bellevue, nur wenige hun-
dert Meter von der Herberge der Staats-
und Regierungschefs, dem Hôtel du Pa-
lais, entfernt. Dazwischen ein verwaister
Strand, der in diesen drei Tagen allein den
Möwen gehörte. Und den Reiterstaffeln
der Polizei, die regelmäßig nach dem Rech-
ten sahen. Die rote Zone, die Bellevue,
Pressezentrum und das Luxushotel um-

fasste, war wie üblich bei solchen Veran-
staltungen weitläufig abgeriegelt. Über
die sonst menschenleeren Straßen husch-
ten gelegentlich Teilnehmer des Gipfels,
am Montagmorgen spazierte EU-Ratsprä-
sident Donald Tusk zu Fuß ins Bellevue.
Freundliches Kopfnicken mit den Polizis-
ten und Journalisten. Trotz der Sicherheits-
vorkehrungen mit 13 200 Polizisten im
Einsatz war die Stimmung vergleichswei-
se entspannt. Die Sicherheitsstrategie des
Gastgebers, strikt gegen mutmaßliche
Randalierer vorzugehen und die Gegner
des Gipfeltreibens in benachbarte Orte zu-
rückzudrängen, erwies sich als erfolg-
reich. Nach monatelangen Ausschreitun-
gen der „Gelbwesten“-Protestbewegung
war dies keine Selbstverständlichkeit. Der
junge französische Präsident, der noch am
Montag dem heimischen Publikum in den
Hauptabendnachrichten seine Erfolgsbi-
lanz vorstellen wollte, startet mit Aufwind
in die zweite Hälfte seiner Amtszeit. Er
hat seine diplomatische Gestaltungskraft
vorgeführt und geholfen, konkrete Ent-
scheidungen wie einen 20-Millionen-Dol-
lar-Soforthilfeplan für die Waldbrände im
Amazonasgebiet durchzusetzen.

Z

u den größten Erfolgen dieses
Gipfels dürfte aber zählen, dass
er überhaupt stattfand, dass so
unterschiedliche Charaktere, wie
es die Staats- und Regierungschefs der
G 7 derzeit sind, sich überhaupt noch um
einen Tisch versammeln und miteinander
reden. Das gilt nicht zuletzt für Merkel
und Trump, die Paarung, zwischen der es
die meisten Spannungen gibt. Das liegt
nicht nur an den inhaltlichen Differen-

zen, sondern auch am unterschiedlichen
Politikstil, der dies- und jenseits des At-
lantiks gepflegt wird. Immer wieder hat
Trump den Europäern in den vergange-
nen Monaten mit höheren Zöllen auf ihre
Autos gedroht, wohl wissend, dass dies
vor allem die deutschen Hersteller treffen
würde. Im November soll dazu eine Ent-
scheidung fallen. Auf die Frage, ob die
Zölle kommen werden, sagte Trump am
Montag: „Ich hoffe nicht.“ Überraschter
Blick von Merkel – mehr Details gab es
dazu dann aber nicht. Erst am vergange-
nen Dienstag hatte Trump frohlockt, dass
er alle Trümpfe in der Hand habe, „weil
wir nur ihre Autos besteuern müssten
und sie würden uns alles geben, weil sie
Millionen Mercedes rüberschicken. Sie
schicken Millionen BMW rüber.“ Die Ver-
handlungen zwischen der EU und Ameri-
ka über ein Freihandelsabkommen liegen
derzeit auf Eis. Die EU will nicht über
eine Öffnung der Landwirtschaft spre-
chen; die Amerikaner bestehen aber dar-
auf. Merkel plädierte dafür, jetzt einfach
mit dem Verhandeln anzufangen. Die So-
jaexporte der Vereinigten Staaten in die
EU hätten sich ja auch ohne Abkommen
schon verdoppelt. Auch sicherte die EU
den Amerikanern kürzlich zu, dass sie
den Großteil des Importkontingents für
Rindfleisch bekommen – und Länder wie
die Argentinien und Brasilien deutlich we-
niger.
Weitere Streitpunkte sind der amerika-
nische Militäreinsatz im Persischen Golf,
an dem sich Deutschland nicht beteiligt.
Zudem warnen die Amerikaner vor der
Gaspipeline Nord Stream 2, die vom kom-
menden Jahr an russisches Gas nach Eu-

ropa bringen soll. Dass Deutschland
mehr Geld für die Verteidigung ausgeben
sollte, weiß Merkel, stößt damit aber auf
Widerstand der SPD. Zudem sähen es die
Amerikaner gern, wenn Deutschland
beim Ausbau des schnellen 5G-Netzes
auf den chinesischen Netzwerkausrüster
Huawei verzichten – und am besten ameri-
kanische Technik kaufen – würde. Aber
Deutschland bleibt bei seinem bisherigen
Standpunkt: gleiche Bedingungen für alle
Unternehmen.
Merkel regte jetzt an, eine deutsch-ame-
rikanische Wirtschaftskonferenz zu veran-
stalten, damit auch der Handel zwischen
kleinen und mittelgroßen Unternehmen
beider Länder ausgebaut wird. Aber auch
die Beziehungen zu China werden ge-
pflegt: Im kommenden Jahr, wenn
Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft
innehat, soll es einen Gipfel mit China ge-
ben. Auch dies ist ein Zeichen in Rich-
tung Washington, dass Deutschland sich
zwischen den Polen Amerika und China
auf keine Seite schlagen will.
Dass Trump im kommenden Jahr eine
Wahlkampfrede an der Siegessäule in Ber-
lin hält, wie dies sein Vorgänger Barack
Obama einst tat, ist unwahrscheinlich.
Trump weiß, dass er in Deutschland we-
nig Sympathien hat und vor allem die
Menschen in Ostdeutschland eher eine
stärkere Annäherung Deutschlands an
Russland fordern. Mehr als über seinen
geplanten Besuch in Deutschland sprach
er deshalb über den G-7-Gipfel im kom-
menden Jahr in den Vereinigten Staaten,
wie großartig Miami als Tagungsort sei,
wie toll der Flughafen. Mehrere Minuten
ging das so – und Merkels Gesicht sprach
wieder einmal Bände.

ROM, 26. August. Vom Quirinalshü-
gel aus betrachtet, sah es am Montag
unten am Tiber nach politischem Cha-
os aus. Auf den „Hügel“ hinauf, zum
Amtssitz des Präsidenten, werden am
Dienstag und Mittwoch abermals die
Führer der im Parlament vertretenen
Parteien pilgern. Staatspräsident Ser-
gio Mattarella will in einer zweiten Ver-
handlungsrunde rasch ausloten, ob er
ein neues Team mit der Regierungsbil-
dung beauftragen kann oder ob er Neu-
wahlen ausschreiben muss. Mattarella,
sichtlich ungeduldig, forderte bis Mon-
tagabend eine Art Fortschrittsbericht
von den Parteien. Noch in der Nacht
zum Dienstag wollte er dann den Zeit-
plan für die weiteren Gesprächsrun-
den bekanntgeben. Doch bei ihren Ge-
sprächen über eine mögliche Koalition
waren der sozialdemokratische Partito
Democratico (PD) und die linkspopu-
listische Fünf-Sterne-Bewegung über
das Wochenende nicht nur nicht voran-
gekommen. Es hatten sich zusätzlich
innere Risse auf beiden Seiten aufge-
tan.
Die Fünf-Sterne-Bewegung versteht
sich seit je als basisdemokratisches Ge-
genmodell zu den etablierten Parteien.
Deshalb werden Entscheidungen nicht
auf Parteitagen von Delegierten und
von Vorständen getroffen, sondern mit-
tels Urabstimmungen im Internet. Und
zwar auf der Plattform „Rousseau“, die
von dem privaten Internetunterneh-
men „Casaleggio Associati“ betrieben
wird. Chef des Unternehmens – und da-
mit Herr über die Plattform „Rous-
seau“ – ist Davide Casaleggio. Casaleg-
gio, 43 Jahre alt, ist der Sohn von Fir-
mengründer Gianroberto Casaleggio,
der 2016 mit 61 Jahren starb. Gianro-
berto Casaleggio und Beppe Grillo
sind die Gründerväter der Fünf-Ster-
ne-Bewegung, die sie von 2009 bis
2016 gemeinsam führten. Seit dem
Tod Gianroberto Casaleggios ist der in-
zwischen 71 Jahre alte Fernsehkomi-
ker Beppe Grillo, dessen populärer
Blog ebenfalls von „Casaleggio Asso-
ciati“ betrieben wird, der alleinige
Übervater der Bewegung. Für Grillo
wurde im September 2017 eigens der
Posten eines „garante“ geschaffen, wo-
bei nicht so recht klar ist, was der „Ge-
währsmann“ der Bewegung soll oder
darf. Parteichef ist, ebenfalls seit Sep-
tember 2017, Luigi Di Maio, derzeit
noch geschäftsführend Arbeitsminis-
ter und stellvertretender Ministerpräsi-
dent in der geplatzten Koalition mit
der rechtsnationalistischen Lega.
„Gewährsmann“ Grillo ist ein ener-
gischer Verfechter eines Zusammenge-
hens mit dem PD; die Lega, den Koaliti-
onspartner der Fünf-Sterne-Bewegung
während 14 Monaten, bezeichnet er
jetzt als „Barbaren“. Davide Casaleg-
gio befürwortet stattdessen eine Wie-
derauflage der Koalition mit der Lega
von Innenminister Matteo Salvini. Von
Di Maio heißt es, er halte sich beide
Optionen offen, zumal ihm Salvini als
Belohnung für die Rückkehr zur Lega
den Posten des Ministerpräsidenten
versprochen hat. Unter den auf „Rous-
seau“ registrierten Mitgliedern der
Fünf-Sterne-Bewegung – nach Anga-
ben von Parteichef Di Maio sind es
etwa 100 000 – gibt es offenbar erhebli-
chen Widerstand gegen eine Koalition
mit dem PD. Doch ob es eine Urabstim-
mung zu der Frage auf „Rousseau“
gibt, ist ungewiss. Maßgebliche Befür-
worter einer Koalition mit dem PD sa-
gen, aus Zeitgründen müsse man dies-
mal auf die Befragung verzichten.
Skeptiker sagen, ohne eine Urab-
stimmung gehe es nicht. Schließlich
habe man das auch bei den Verhand-
lungen mit der Lega nach den Parla-
mentswahlen von 2018 so gehalten.
Wird es das „Volk“ der Bewegung hin-
nehmen, wenn der „Gewährsmann“
der Bewegung den Schwenk zum PD
fast im Alleingang durchsetzt? Uneins
war bis Montagnachmittag auch der so-
zialdemokratische PD. Der Parteivor-
sitzende Nicola Zingaretti bestand auf
einem Wechsel an der Spitze der künf-
tigen Regierung: Ministerpräsident
Giuseppe Conte müsse gehen. Die „Re-
gierung der Umkehr“, die Arbeit, Um-
welt und Bildung sowie den „Wieder-
aufbau ernsthafter Beziehungen zu Eu-
ropa“ ins Zentrum stellen müsse, brau-
che „Elemente der Diskontinuität – so-
wohl bei Inhalten wie auch in der
Mannschaft“, bekräftigte Zingaretti.
Außerdem beanspruchte er Schlüssel-
posten im Kabinett – Inneres, Äußeres
und Wirtschaft – für den PD.
Fünf-Sterne-Chef Di Maio beharrte
dagegen weiter darauf, dass der partei-
lose Ministerpräsident Conte seinen
Posten behalten müsse. Da die Fünf-
Sterne-Bewegung über die meisten Sit-
ze in beiden Kammern verfügt, steht
ihr der Spitzenposten im Kabinett zu.
In seiner Forderung, Conte auf diesem
Posten zu belassen, wurde Di Maio aus-
gerechnet vom früheren Ministerpräsi-
denten und einstigen PD-Chef Matteo
Renzi unterstützt. Der fiel damit dem
gegenwärtigen Parteichef Zingaretti,
zugleich Verhandlungsführer in den
Gesprächen mit der Fünf-Sterne-Bewe-
gung, in den Rücken. Renzi verfügt
nach wie vor über großen Einfluss in
den PD-Fraktionen in beiden Parla-
mentskammern: Ohne die Zustim-
mung der „Renzianer“ kann es keine
Koalition des PD mit den Linkspopulis-
ten geben.

Nicht zu reagieren ist auch keine Lösung


Iran und Israel überziehen einander mit Nadelstichen – das Risiko einer Eskalation wächst / Von Christoph Ehrhardt und Jochen Stahnke


Die Kanzlerin


lässt ihn reden


Geeint gegen


die Barbaren


Italiens Linkspopulisten


streiten über Koalition


Von Matthias Rüb


Präsident Trump setzt beim G-7-Gipfel in


Biarritz seine Charmeoffensive fort. Merkel hält sich


im Hintergrund. Nur einmal wird sie energisch.


Von Michaela Wiegel und Julia Löhr

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