SEITE 22·DIENSTAG, 27. AUGUST 2019·NR. 198 Unternehmen FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
Peter Blersch ist Herr von mehr als
40 000 Mitarbeitern von Adecco in
Deutschland. Er vermittelt Zeitarbeits-
kräfte in die Automobilindustrie, den Ma-
schinenbau und die Logistik, aber auch
ins Finanzwesen, ins Marketing und in
die Pflege. Zum Gespräch empfängt er
am Unternehmenssitz in Düsseldorf in ei-
nem großen Konferenzraum, denn ein ei-
genes Büro hat Blersch nicht mehr: Er ar-
beitet jetzt im Großraumbüro.
XX X
Herr Blersch, in wirtschaftlich schwieri-
gen Zeiten schicken Unternehmen oft
als Erstes die Zeitarbeitskräfte nach
Hause. Ihre Branche gilt deshalb als Vor-
bote für die weitere Entwicklung. Wie
ernst ist die Lage?
Ehrlich gesagt, sieht es immer noch er-
staunlich gut aus. Vor allem wenn man be-
denkt, was gerade alles auf uns einpras-
selt: der Handelskrieg, die Brexit-Risiken,
die Herausforderungen in der Automobil-
industrie. Zwar haben wir in Deutschland
deutlich weniger Zeitarbeitskräfte als
noch vor einem Jahr – aktuell sind es
rund 750 000. Aber im laufenden Jahr ha-
ben wir keinen weiteren Einbruch erlebt.
Die Automobilindustrie ist Ihr größter
Kunde. Wie sehr setzt die Schwäche der
Branche Ihnen zu?
Sowohl Hersteller als auch Zulieferer
melden Zeitarbeitskräfte ab. Auch mit
der Autoindustrie eng verbundene Unter-
nehmen sind betroffen, etwa aus dem Be-
reich Chemie. Im Maschinenbau spürt
man ebenfalls leichte Auswirkungen der
schwächelnden Konjunktur. Anderswo
läuft es nach wie vor sehr gut, zum Bei-
spiel in der Logistik. Auch die Personal-
vermittlung ist weiter ein gutes und stabi-
les Geschäft. Wir müssen uns eben umori-
entieren.
Das gilt auch für Ihre Mitarbeiter. Was
wird aus Zeitarbeitern, die in der Autoin-
dustrie nicht mehr gebraucht werden?
Viele können wir gut woanders unter-
bringen, zum Beispiel im Maschinenbau,
im Mittelstand und Handwerk. Wir spre-
chen hier von Menschen, die am Band ar-
beiten und in der Regel eine gute fachli-
che Qualifikation mitbringen. Die meis-
ten sind Mechaniker oder haben irgendei-
nen einen anderen technischen Hinter-
grund. Und viele Betriebe suchen ja wei-
ter händeringend Fachkräfte, das darf
man nicht vergessen. Allerdings wollen
leider auch nicht alle gleich wieder weiter-
vermittelt werden.
Woran liegt das?
Zum Beispiel auch an dem aktuellen Ar-
beitnehmerüberlassungsgesetz: Mitarbei-
ter müssen jetzt in der Regel nach 18 Mo-
naten ihren Einsatz beim gleichen Kun-
denunternehmen beenden. Wenn unsere
Mitarbeiter lange im gleichen Unterneh-
men eingesetzt waren, bekommen sie oft
Branchenzuschläge oder Equal-Pay-Vergü-
tung und verdienen entsprechend gut. Fan-
gen sie anderswo neu an, kann das Gehalt
unter dem liegen, was sie an Arbeitslosen-
geld bekommen würden – hier stimmen
die Anreize nicht. Ein Teil der Zeitarbeits-
kräfte wird vom Kunden übernommen,
auch in der jetzigen Phase noch. Grund-
sätzlich ist das gerade eine sehr spannen-
de Zeit. Ich selbst glaube nicht, dass uns
eine länger andauernde Rezession bevor-
steht. Die große Frage ist: Wie geht die In-
dustrie mit der Situation um? Kommt es
doch zu Entlassungen? Oder versuchen
die Unternehmen – wie in den vergange-
nen Jahren –, Fachkräfte so lange wie mög-
lich zu halten, weil sie Sorge haben, keine
neuen zu finden, wenn es wieder bergauf
geht? Ich vermute eher Letzteres.
Sie kamen 2009 zur Adecco-Gruppe,
also genau zur Zeit der großen Wirt-
schaftskrise. Was war damals anders?
Die Entwicklung war abrupter, bruta-
ler. Der Einbruch der Wirtschaftsleistung
kam so wahnsinnig schnell, dass die Un-
ternehmen eigentlich keine Wahl hatten:
Sie mussten sehr kurzfristig Personal ab-
bauen. Das sieht momentan anders aus.
Klar, das Bruttoinlandsprodukt schwä-
chelt, alles andere wäre auch verwunder-
lich bei den momentanen Unsicherhei-
ten. Aber ein Einbruch ist das nicht. Und
der Ausblick ist gut: Deutschland hat Be-
darf an Investitionen und guten Leuten.
Denken Sie an den 5G-Ausbau, die Elek-
tromobilität oder die Wende in der Ener-
giepolitik. Deshalb finde ich den politi-
schen Ansatz gut zu sagen: Wir schauen
nicht nur kurzfristig auf die Konjunktur,
sondern auf den großen Transformations-
prozess, der – auch durch die Digitalisie-
rung – vor uns liegt.
Sie spielen auf das Arbeit-von-morgen-
Gesetz von Bundesarbeitsminister Hu-
bertus Heil an, das unter anderem mehr
Weiterbildungsförderung vorsieht.
Genau. Die Herausforderungen, vor de-
nen Deutschland steht, sind riesig. Ich
glaube nicht, dass uns die Arbeit ausgeht,
aber die Wirtschaft benötigt mehr gut aus-
gebildete Arbeitskräfte und weniger ge-
ring qualifizierte. Es wird wichtiger wer-
den, sich regelmäßig weiterzubilden. Wer
glaubt, er macht einmal eine Ausbildung
und ist dann fertig, wird vermutlich schei-
tern. Natürlich ist es menschlich, sich da-
mit erst zu beschäftigen, wenn man kon-
kret betroffen ist. Die Frage ist, wie wir
die Menschen mehr dafür interessieren
können, sich aktiv weiterzuentwickeln.
Was schlagen Sie vor?
Erst einmal muss sich jeder Einzelne
überlegen, was er mit seinem Leben an-
fangen will und wie er sich für den Ar-
beitsmarkt interessant macht. Wenn man
einen Beruf hat, wo das Risiko gering ist,
durch einen Algorithmus ersetzt zu wer-
den, kann man etwas gelassener bleiben.
Anders sieht es in Bereichen aus, wo sich
viel tut, zum Beispiel in Banken und Versi-
cherungen. Zunächst ist der Einzelne in
der Verantwortung zu handeln. Aber na-
türlich kann der Staat Anreize setzen, da-
mit die Beschäftigten sich mehr damit
auseinandersetzen, etwa finanzielle För-
derung. Auch die Unternehmen haben
ein Interesse, ihre Mitarbeiter zu qualifi-
zieren, Stichwort Fachkräftebedarf. Das
gilt auch für uns als Adecco Group.
Was machen Sie konkret?
Wir haben verschiedene Weiterbil-
dungsprogramme, für die sich unsere Mit-
arbeiter bewerben können. Zum Beispiel
kann man bei uns die Ausbildung zum Ga-
belstaplerfahrer machen. Im Januar star-
ten wir ein Programm mit etwa 30 Inge-
nieuren und Naturwissenschaftlern, die
wir zu Software-Spezialisten fortbilden.
Da gibt es einen riesigen Engpass. In den
Vereinigten Staaten haben wir das Unter-
nehmen General Assembly gekauft, das
auf solche Weiterbildungen spezialisiert
ist. Dieses Projekt ist das erste, das wir in
Deutschland machen. Viele sollen folgen.
Lohnt sich das für Sie denn überhaupt,
wenn Ihre Zeitarbeitskräfte im Regelfall
nur noch 18 Monate im gleichen Unter-
nehmen bleiben können?
Es stimmt, dass uns durch die Höchst-
überlassungsdauer, betriebswirtschaftlich
gesprochen, weniger Zeit bleibt, um Inves-
titionen in unsere Mitarbeiter zu refinan-
zieren. Das ist, nebenbei bemerkt, nicht
das einzige Problem, das wir mit dieser Re-
gelung haben. Damit ist niemand glück-
lich. Die Zeitarbeitskräfte nicht, weil sie
raus müssen aus Betrieben, in denen sie
gerne arbeiten. Und die Unternehmen
nicht, weil sie gut eingearbeitete Leute
verlieren. Mit Blick auf unsere Weiterbil-
dungsprogramme müssen wir als Unter-
nehmen immer schauen, ob sie sich be-
triebswirtschaftlich rechnen. Wir machen
das ja nicht aus reiner Selbstlosigkeit. Des-
halb bieten wir Fortbildungen nur für
Qualifikationen an, bei denen wir relativ
sicher sind, dass sie gefragt sind. Bei den
Softwareingenieuren ist das der Fall. Der
Staat unterstützt Förderprogramme zur
beruflichen Weiterbildung schon heute.
Werden Ihnen die Software-Spezialisten
denn von Ihren Kunden nicht gleich wie-
der abgejagt? Die sind doch heute über-
all gefragt.
Wir versuchen, als Arbeitgeber langfris-
tig attraktiv zu sein. Und unser Geschäfts-
modell ändert sich. Zum Beispiel vermit-
teln wir nicht nur einzelne Ingenieure an
unsere Kunden, sondern übernehmen zu-
nehmend Projekte, die wir komplett
selbst stemmen. Kürzlich haben wir den
Auftrag bekommen, innerhalb weniger
Monate ein Elektrofahrzeug zu entwi-
ckeln, das voll autonom fährt. Daran
sieht man, wie groß in der Autoindustrie
zum einen der Entwicklungsdruck ist und
zum anderen der Engpass an Fachkräf-
ten. Das ist für uns eine Chance.
Aber Sie tun sich doch selbst sicher auch
schwer, Personal zu finden?
Wir stehen natürlich im Wettbewerb
mit großen Konzernen. Und angesichts
der niedrigen Arbeitslosigkeit muss ja nie-
mand in die Zeitarbeit. Es gibt aber inzwi-
schen viele Menschen, die ganz bewusst
zu uns kommen, auch aus einer anderen
Festanstellung heraus. Oft sind das Mitar-
beiter, die in ihrem Beruf oder ihrer Bran-
che nicht mehr glücklich sind. Bei uns ha-
ben sie die Möglichkeit, verschiedene Un-
ternehmen kennenzulernen und für sich
herauszufinden, was sie wollen. Diesen
Vorteil müssen wir als Branche allerdings
noch besser herausstellen.
Warum bezahlen Sie nicht mehr?
Wir zahlen inzwischen oft deutlich
über dem für Zeitarbeitskräfte gültigen
Tarif. Allerdings sind relativ viele Zeitar-
beitskräfte in Helferberufen tätig, bei-
spielsweise in der Produktion oder im La-
ger. Dadurch fällt der Durchschnittslohn
im Vergleich zur Gesamtindustrie natür-
lich vergleichsweise niedrig aus. Auch in-
nerhalb der Zeitarbeit zahlt sich eine hö-
here Qualifikation aus. Wer über uns bei
einem Automobilhersteller am Band ar-
beitet, verdient aber mit Sicherheit mehr
als Mitarbeiter von Mittelständlern in an-
deren Branchen.
Der Bundesagentur für Arbeit zufolge
sind Flüchtlinge von der konjunkturellen
Abkühlung besonders betroffen. Viele
sind in der Zeitarbeit beschäftigt. Steht
die Integration auf dem Spiel?
Nein, das beobachten wir bei uns so
nicht. Seit dem Jahr 2015 haben wir rund
5800 Flüchtlinge in Arbeit gebracht. Die
sind nicht alle, aber zum überwiegenden
Teil noch im Einsatz, vor allem in der Lo-
gistik, weil dort die sprachlichen Hürden
und auch die fachlichen Anforderungen
leichter erfüllbar sind. In dieser Branche
spüren wir keine großen Nachfrageeinbrü-
che. In der Automobilindustrie, wo die
Voraussetzungen deutlich höher sind,
kommen Flüchtlinge selten unter. Übri-
gens glaube ich, dass es nach der wirt-
schaftlichen Schwächephase auch sehr
schnell wieder deutlich besser laufen
kann. Das war nach den Jahren 2008 und
2009 auch so.
Das lag auch am erleichterten Zugang
zum Kurzarbeitergeld, wodurch Entlas-
sungen verhindert wurden und die Unter-
nehmen nach der Krise die Produktion
schnell wieder hochfahren konnten.
Genau. Das will Arbeitsminister Heil
jetzt in ähnlicher Form ja wieder ermögli-
chen, was ich gut finde. Sein Konzept ist
konkret und gut durchdacht. Wichtig ist
jetzt, dass die entsprechenden Instrumen-
te rechtzeitig eingeführt werden.
Also machen Sie sich doch Sorgen?
Es geht ja nur darum, für den Fall des
Falles gewappnet zu sein, damit Entlas-
sungen verhindert werden können.
Grundsätzlich bin ich recht optimistisch.
Der Brexit muss nicht im Chaos enden,
und die Vereinigten Staaten können auch
kein Interesse haben, einen wirtschaftli-
chen Abschwung auszulösen. Ich gehe da-
von aus, dass die Delle nicht allzu groß
ausfallen wird und wir in den nächsten
Jahren viel zu tun haben werden.
Das Gespräch führteBritta Beeger.
V
om Verkehrschaos sprechen die ei-
nen, und andere warnen vor einer
Gefahr für die Mitmenschen. Seit zwei
Monaten fahren Zehntausende Miet-
Elektroroller durch deutsche Städte
oder warten am Straßenrand auf die
Gelegenheit dazu. Daran müssen sich
wohl viele noch gewöhnen. Die neuen
Gefährten ändern den Blick auf die ur-
bane Mobilität – mehr als es Leihräder
vermochten. Das gefällt meist denen,
die auf den E-Scootern zur Arbeit oder
zum Spaß durch den Stadtdschungel
flitzen. Vor allem beglückt ihr Einsatz
die Anbieter der Elektroroller: Sie er-
halten in Deutschland ein neues Ge-
schäftsfeld, drängen sich mit immer
mehr Konkurrenten in den Städten und
profitieren so von der Verordnung, mit
der Bundesverkehrsminister Andreas
Scheuer (CSU) ihnen den Weg geebnet
hat. Ob die Verleiher aber die Kosten
tragen, die ihre Elektroroller verursa-
chen? Dagegen spricht, dass kommuna-
le Verbände gerade auf klare Regeln für
die Roller pochen müssen. Nicht im-
mer gelingt es, dass die E-Scooter auf
den dafür zulässigen Plätzen parken.
Ebenfalls fehlt noch die Anbindung der
Roller an den öffentlichen Nahverkehr.
Wenn sich das einspielt, dürften auch
die Städte durch die neuen Mobilitäts-
möglichkeiten gewinnen. Das braucht
Zeit, ist aber tatsächlich bitter nötig. In
den Städten drängen sich nicht nur zu
Stoßzeiten immer mehr Menschen.
Ohne neue Wege droht hier tatsächlich
der Verkehrskollaps.
N
icht immer passen aktuelle Statis-
tiken zu der Botschaft, die Unter-
nehmen loswerden wollen. So geht es
den deutschen Schadenversicherern,
die gerade mit einer unauffälligen
Halbjahresbilanz aufgewartet haben.
Ein bisschen mehr Schäden an Autos
durch Naturgefahren als üblich, dafür
weniger an Wohngebäuden. Zudem
deutlich weniger Aufwand durch Stark-
regen, Erdrutsch und Überschwem-
mungen. In der Summe mussten Versi-
cherer mit 1,3 Milliarden Euro so viel
Ausgleich zahlen wie in einem durch-
schnittlichen Jahr. Daraus lässt sich
nicht die große Kampagne „Der Klima-
wandel zwingt zu mehr Versicherungs-
schutz“ ableiten. Entsprechend vor-
sichtig argumentiert der Branchenver-
band GDV. Doch in den vergangenen
Jahren hat sich immer wieder gezeigt,
dass der Klimawandel an Stellen zu-
schlägt, an denen man es nicht erwar-
tet hätte. Landwirte können davon ein
Lied singen. Manch einer bereut es,
vor dem Dürrejahr 2018 keine entspre-
chende Police abgeschlossen zu haben.
Um sich über sinnvollen Versiche-
rungsschutz zu informieren, sollten
Verbraucher also den langfristigen
Trend im Auge behalten. Und sie soll-
ten den Vertreter oder Makler als eine
nützliche Quelle – neben Ingenieuren,
Installateuren oder Fachleuten im Rat-
haus – einsetzen, um zu erfahren, wel-
cher Schutz der eigenen vier Wände
sinnvoll ist.
Teurer Klimawandel
VonPhilipp Krohn
P
rovokation gehört in der Werbung
scheinbar zum guten Ton dazu.
Das zeigt auch die neue Werbekampa-
gne des Safthersteller True Fruits: Das
Werbebild zeigte den Rücken einer
Frau, auf dem mit Sonnenmilch ein
männliches Glied gemalt wurde. Dar-
unter steht: „Sommer, wann feierst Du
endlich Dein Cumback?“ Kritiker be-
zeichneten die Werbung als sexistisch.
Statt sich zu entschuldigen, wählt True
Fruits den Weg natürlich des größten
Widerstandes: In einem Statement wer-
den die Kritiker als „Fanatiker“ und
„Radikalapostel“ beschimpft, welche
die Meinungsdiktatur anstreben wür-
den. Über die Welle der Empörung sei
man im Unternehmen überrascht.
Wirklich? Aufmerksamkeit ist ein
knappes Gut, insbesondere in der Wer-
bung. Das Unternehmen hat wohl eher
die Provokation eingerechnet und
nach dem Motto „Auch schlechte Pres-
se ist gute Presse“ gehandelt. Für seine
Werbung hätte das Unternehmen je-
des Motiv wählen können. Das Bild ei-
nes Hasen hätte wohl genauso wenig
mit Smoothies zu tun gehabt wie das
Penisbildchen – diskriminiert hätte
sich davon aber keiner gefühlt. Dass
sich True Fruits jetzt als Verfechter der
Meinungsfreiheit aufspielt, ist pein-
lich. Denn ob eine Werbung diskrimi-
nierend ist, muss das Gesetz entschei-
den. Und der öffentliche Diskurs darf
Grenzen immer wieder neu ausloten.
Und True Fruits? Die müssen in erster
Linie Smoothies verkaufen.
Der Nutzen der E-Roller
VonJan Hauser
Saftladen
VonStefanie Diemand
LUDWIGSHAFEN, 26. August
D
ie Reimanns greifen wieder an. Ne-
ben Kosmetik, Parfum, Kaffee, Ge-
tränken, Bistro- und Bäckereiket-
ten hat die verschwiegene Milliardärs-
familie aus der Kurpfalz ein neues Ge-
schäftsfeld ausgemacht: Kliniken für
Haustiere. Zu diesem Zweck sucht die Fa-
milienholding JAB nun Mitinvestoren.
Bis zu 8 Milliarden Dollar will sie über ih-
ren „Consumer Fund“ einwerben. Ent-
sprechende Informationen der „Financial
Times“ wurden in Finanzkreisen bestä-
tigt, JAB selbst äußert sich dazu nicht.
Der Fonds, gespeist von „befreundeten
Investoren“, besteht seit 2014 und hat seit-
her gut 11 Milliarden Dollar gesammelt.
Damals entschied das Management, erst-
mals nicht nur eigene Mittel zu investie-
ren, sondern die Feuerkraft mit Hilfe von
anderen Investoren zu erhöhen, um
schneller größere Geschäfte machen zu
können. Neben reichen Familien vertrau-
en Staatsfonds und Banken dem Rei-
mann-Management Geld an. Die neue Fi-
nanzierungsrunde zeigt, dass sich die Rei-
manns nicht von dem Rückschlag bei ih-
rer New Yorker Kosmetikholding Coty
bremsen lassen wollen. Der Konzern, der
unter anderem die Kosmetikmarken Cal-
vin Klein, Chloé, Gucci, Hugo Boss und
Tiffany vertreibt, hatte sich mit der 12
Milliarden Euro teuren Übernahme eines
Markenportfolios von Procter&Gamble
verhoben, darunter die deutsche Traditi-
onsmarke Wella. Die Integration verlief
nicht wie geplant, Mitte des Jahres muss-
te Coty den Wert der Marken um drei Mil-
liarden Dollar abschreiben, der Aktien-
kurs rauschte ab.
Bis dahin war es für die vier Erben des
Ludwigshafener Chemieunternehmens
Benckiser wirtschaftlich nur bergauf ge-
gangen, sie gelten als zweitreichste Fami-
lie Deutschlands hinter den BMW-Erben
Quandt. Unter Führung des Familienver-
trauten Peter Harf hat JAB in den vergan-
gen zehn Jahren mehr als 50 Milliarden
Euro investiert und so ein illustres Port-
folio geschaffen aus Kaffee- und Geträn-
kemarken (Senseo, Jacobs, Schweppes,
Evian,), Café- und Bäckereiketten, der
Mehrheit an Coty und einer Beteiligung
an dem britischen Konsumgüterriesen
Reckitt-Benckiser, in den einst ihr Lud-
wigshafener Chemiekonzern Benckiser
aufgegangen war. Nur der Versuch, eine
Luxusgütersparte aufzubauen, war nicht
von Erfolg gekrönt, geblieben davon ist
noch eine Beteiligung am Schuhherstel-
ler Bally.
Stattdessen haben sich die Reimanns
jetzt den Tiergesundheitsmarkt ausge-
guckt und gehen wie gewohnt zügig vor-
an. Anfang des Jahres hat der Clan für 1,2
Milliarden Dollar die Tierklinikkette
Compassion-First übernommen, im Juni
folgte der Kauf der ebenfalls amerikani-
schen National Veterinary Associates.
Hier hat der Fonds nach Darstellung von
Moody’s die Mehrheit der kolportierten
3,5 Milliarden Dollar gezahlt, die Famili-
enholding investierte demnach 1,1 Milli-
arden Dollar. Die Ratingagentur beurteil-
te den Kauf als strategisch sinnvoll, ma-
che er doch das Portfolio robuster gegen
Konjunkturschwankungen. Zudem sei
der Markt für Tierpflege zuletzt zwischen
5 und 6 Prozent im Jahr gewachsen und
wachse weiter. Immer mehr Menschen
hielten sich Haustiere und gäben immer
mehr für deren Pflege aus. Das Urteil der
Ratingagenturen ist wichtig für JAB. Die
Familie lässt dem Management nur so lan-
ge freie Hand, solange das Investmentgra-
de-Rating, also die Einstufung als solider
Schuldner, nicht gefährdet ist. Um die Ver-
schuldung in Schach zu halten, hat Harf
einen Börsengang der Kaffee- und Restau-
rantgeschäfte in den nächsten Jahren an-
gekündigt, was der Holding Milliarden
einbringen würde. Um den Einstieg in die
Tierkliniken zu finanzieren, haben die
Reimanns nach Angaben von Moody’s Ak-
tien von Reckitt-Benckiser und Keurig
Dr. Pepper verkauft.
Im Gespräch: Peter Blersch, Geschäftsführer von Adecco Deutschland
„Wir kriegen unsere Leute noch unter“
Milliardärsfamilie Reimann kommt auf den Hund
Die verschwiegenen Investoren setzen auf Tierkliniken und wollen bis zu 8 Milliarden Dollar einwerben / Von Bernd Freytag
Ihm geht die Arbeit nicht aus:Adecco-Chef Peter Blersch rechnet lediglich mit einer konjunkturellen Delle. Foto Edgar Schoepal
Ein gutes Geschäft? Foto Rainer Wohlfahrt
Der Deutschland-Chef
des weltgrößten
Zeitarbeitskonzerns
aus der Schweiz ist
überzeugt: Eine schwere
Wirtschaftskrise wie im
Jahr 2009 zeichnet sich
nicht ab. Trotzdem
stünden Unternehmen
und ihre Mitarbeiter
vor gewaltigen
Herausforderungen.