Handelsblatt - 27.08.2019

(lily) #1

Dieter Fockenbrock Düsseldorf


D


er Airport Denver im US-Bundesstaat
Colorado ist 23 Meilen von
Downtown entfernt. Gerade noch
nah genug, um ein Taxi für die Fahrt
zu nutzen, das kostet 55 Dollar. Spar-
füchse werden eher den Fahrdienst Uber buchen
oder die Stadtbahn. Gut zehn Dollar kostet das Ti-
cket für die „University of Colorado-A-Line“ bis zur
Union Station, mit dem Uber-Fahrer je nach Ziel in
Denver.
Das alles mussten Flugreisende früher erst ein-
mal mühselig recherchieren. Seit Februar können
sie einfach ihre Uber-App starten, Preise verglei-
chen und alternativ Tickets für den Zug buchen
oder einen Uber-Fahrer bestellen. Uber verkauft in
Denver nicht nur seine Fahrgelegenheiten, Uber-
Kunden können Tickets für den gesamten Nahver-
kehr mit Bussen und Bahnen kaufen.
Auf den ersten Blick ist das ein Widerspruch,
weil es Ubers Geschäftskonzept ist, Taxen wie Bus-
sen und Bahnen Kunden abzujagen. Doch die
600 000-Einwohner-Stadt am Fuß der Rocky Moun-
tains ist Testfeld für die eigentliche Zukunftsvision
des amerikanischen Fahrdienstvermittlers. Diese Vi-
sion hat Uber-Chef Dara Khosrowshahi noch vor ei-
nigen Wochen im Handelsblatt-Interview definiert:
„Wir verstehen uns als Mobilitätsplattform, die Au-
tos ebenso wie öffentlichen Transport, Taxis, Leih-
fahrräder oder Leih-E-Scooter zusammenführt.“

Diese Ansage sollte Eisenbahnunternehmen,
kommunale Verkehrsbetriebe, Sharing-Plattformen
oder Mitfahrzentralen nervös machen. Uber will
einmal dieselbe zentrale Rolle in der Mobilität spie-
len, die Amazon im Onlinehandel oder Google als
Suchmaschine einnehmen. „Uber will die Spinne
im Netz sein“, sagt der Mobilitätsforscher Thomas
Sauter-Servaes von der Züricher Hochschule für
angewandte Wissenschaften.

Uber wird unterschätzt
In Deutschland wird die Rolle des Fahrdienstver-
mittlers unterschätzt. Die Plattform ist faktisch
durch das Personenbeförderungsgesetz blockiert.
Taxidienste ohne Lizenz, Personenbeförderungs-
schein und andere Vorschriften zu beachten, das
geht in Deutschland nicht. Uber verkauft derzeit
nur Mietwagen in Berlin, München, Düsseldorf,
Frankfurt und Köln und muss sich damit wie ein
ganz normaler Taxibetrieb verhalten.
Deshalb ist die Konkurrenz hierzulande sehr
entspannt. Zumal das Gerangel um die Polepositi-
on im Mobilitätsmarkt noch in vollem Gange ist.
Ständig gibt es neue Plattformen, die sich als Al-
les-in-einem positionieren möchten. Neben etab-
lierten Anbietern wie der Deutschen Bahn mit ih-
rer Navigator-App oder dem Pendant „Oui“ der
französischen Staatsbahn SNCF, Suchmaschinen
wie Opodo oder Spezialisten wie Trainline und

Omio (ehemals GoEuro) tauchen beinahe im Mo-
natstakt Start-ups auf, die mehr sein wollen, als ei-
ne kleine Verleih-App für Stadtautos oder elektri-
sche Tretroller.
Sie alle haben die multimodale Plattform für den
mobilen Menschen zum Ziel, möglichst natürlich
die führende. Selbst absolute Newcomer wie Lu-
kasz Gadowski, Gründer des deutschen E-Scooter-
Verleihers Circ, kündigte beim Start seiner Elektro-
roller im Juni an, später die Buchungssysteme des
öffentlichen Nahverkehrs integrieren zu wollen.
Sein Traum: Circ zumindest als lokale Mobilitäts-
App zu etablieren.
Städte und Gemeinden sind inzwischen aufge-
wacht. Die einstigen Transport-Monopolisten wol-
len sich das Geschäft mit der Mobilität nicht aus
der Hand reißen lassen. Unter Führung ihres Ver-
bands VDV rollen kommunale und regionale Ver-
kehrsbetriebe gerade ihr „Mobility Inside“ aus. Das
ist eine gemeinsame Buchungsplattform für Busse
und Bahnen des öffentlichen Nahverkehrs in
Deutschland.
Wer von München nach Frankfurt reisen will,
braucht heute mindestens drei Apps, etwa die der
Deutschen Bahn und die der Frankfurter und Mün-
chener Verkehrsbetriebe. Obendrein muss der
Kunde sich auch noch in die Buchungslogik dieser
Apps hineindenken und das Tarifsystem dreier Ver-
kehrsbetriebe verstehen.

Gesucht: Mobilitäts-App


der Zukunft


Verkehrsunternehmen, Start-ups und Reiseplattformen ringen um die Hoheit auf


dem Smartphone. Bahn, Uber und Co. wollen bei allen Nutzern die erste Adresse


sein. Reisende wollen nicht nur planen, sondern gleich kaufen.


Navigation im
Stadtverkehr:
Mobil bleiben mit
der richtigen App.

The Image Bank/Getty Images

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MILLIONEN


Fahrkarten verkaufte
die deutsche Bahn
2018 auf ihrem
Onlineportal.

Quelle: Unternehmen


Nahverkehr in Colorado:
Uber ist in Denver längst
im Geschäft.
Mark Peterson/Redux/laif

Berliner Verkehrs-App Jelbi: Die
BVG will digital an den Kunden.
HAYOUNG JEON/EPA-EFE/REX

Unternehmen

& Märkte

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DIENSTAG, 27. AUGUST 2019, NR. 164


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