Handelsblatt - 27.08.2019

(lily) #1
C. Kerkmann, S. Scheuer
Düsseldorf

D


aten und Informatio-
nen sind die Basis für
die Arbeit von Staaten
und Unternehmen.
Doch fast keiner der
weltweit größten Anbieter für Daten-
infrastruktur stammt aus Europa.
Volkswagen vernetzt die Fabriken
mithilfe von Amazon Web Services,
Eon holt sich beim intelligenten Ener-
giemanagement Hilfe von Microsoft,
Metro lässt seine E-Commerce-Platt-
form auf der Infrastruktur von Goo-
gle laufen.
Zumindest wichtige Regierungen in
Europa steuern jetzt um. Behörden
in Frankreich, Schweden und den
Niederlanden setzen künftig auf die
deutsche Firma Nextcloud, um Datei-
en auszutauschen. Alleine das franzö-
sische Innenministerium plant,
100 000 Mitarbeiter mit Software von
Nextcloud auszurüsten, sagte Next-
cloud-Gründer und -Geschäftsführer
Frank Karlitschek dem Handelsblatt.
Das deutsche Unternehmen liefert
die Technologie. Die Infrastruktur an
Servern liefern die Behörden. So blie-
ben alle Daten ausschließlich in der
Hand der Staaten, betont Karlitschek.
Die Software ist kostenlos, aber für
Dienstleistungen wie Betreuung,
Schulungen und Einrichtung umfas-

sen die Verträge ein Volumen in ein-
stelliger Millionenhöhe.
Bereits im vergangenen Jahr hatte
Karlitschek die Bundesregierung als
Großkunden gewonnen. 300 000
Mitarbeiter von Ministerien und Ein-
richtungen des Bundes sollen die
Dienste von Nextcloud etwa für die
gemeinsame Arbeit an Textdateien
oder Tabellen sowie das Austauschen
von Dokumenten nutzen. Derzeit
läuft die Umstellung.
Nextcloud sowie weitere deutsche
Cloud-Anbieter wie die Deutsche Te-

lekom oder 1&1 Ionos hoffen schon
seit Jahren, ihre Produkte für ein
Massenpublikum zur Verfügung stel-
len zu können. Doch mit Argumen-
ten wie hohem Datenschutz gelang
es den Anbietern bislang nur schlep-
pend, gerade Firmenkunden zu über-
zeugen. IT-Anbieter aus Deutschland
können mit den „Hyperscalern“ – al-
so den Giganten aus den USA wie
Amazon, Google oder Microsoft –
nicht mithalten, weder bei den Funk-
tionen noch beim Preis. Allenfalls in
der Nische haben sie eine Chance, et-
wa mit Software für den hochsiche-
ren Datenaustausch.
Das will Wirtschaftsminister Peter
Altmaier (CDU) ändern. Sein Ministe-
rium möchte eine europäische
Cloud-Lösung forcieren. Dazu hat der
Minister nach Informationen aus
Branchenkreisen für Dienstag Vertre-
ter aus der Industrie nach Berlin gela-
den. Sie sollen beraten, wie das Pro-
jekt unter dem Namen Gaia-X auf den
Weg gebracht werden kann.
Achim Weiß, Chef von 1&1 Ionos,
sagte dem Handelsblatt: „Wir sind an-
getreten, Deutschland nicht den Gro-
ßen zu überlassen. Wenn die Politik
mitzieht und die Sensibilität der Öf-
fentlichkeit wächst, können wir der
Marktdominanz der Hyperscaler et-
was entgegensetzen.“ In Deutschland
und Europa sei ausreichendes Fach-
wissen für den Aufbau der Dienste

vorhanden. Dabei sieht Weiß den Da-
tenschutz als zentrales Argument:
Der Cloud Act ermögliche es der US-
Regierung, auf die Daten amerikani-
scher Cloud-Anbieter zuzugreifen.
„Der Vorschlag ist nicht ausgego-
ren“, kritisieren Firmenvertreter hin-
ter vorgehaltener Hand jedoch den
Vorstoß des Ministeriums. Viele De-
tails seien unklar. Es fehle ein konkre-
tes Konzept. Die Debatte könne sich
noch Jahre hinziehen, lautet eine Sor-
ge aus der Industrie.
Cloud-Computing ist ein wolkiger
Begriff. Fachleute bezeichnen damit
Informationstechnik, auf die Anwen-
der und Unternehmen übers Netz-
werk zugreifen. Die namensgebende
Wolke steht für die dezentrale Spei-
cherung auf irgendeinem Server. Die
Bandbreite der Angebote ist riesig:
Speicherplatz und Rechenkapazitä-
ten, Textverarbeitung und Finanzver-
waltung, das Management von Apps
und Algorithmen für Spracherken-
nung – und vieles mehr.
Das beherrschen auch deutsche
Unternehmen. SAP etwa bietet ver-
schiedene Lösungen für die Steue-
rung von Geschäftsprozessen an, die
Kunden nicht erst auf PCs und im Re-
chenzentrum installieren müssen.
Mit Erfolg, im zweiten Quartal wuchs
der Umsatz um 40 Prozent auf 1,
Milliarden Euro. Für viele andere An-
bieter ist die Cloud ebenfalls ein zen-
traler Bestandteil der Strategie, ob
Bosch, Siemens oder Software AG.
Daneben gehört die Deutsche Tele-
kom zu den größten Cloud-Anbietern
in Deutschland. Dabei bietet sie so-
wohl Dienste internationaler Anbie-
ter wie auch eigene Lösungen an. „In
der Debatte über die Cloud in Europa
setzen wir uns grundsätzlich für die
digitale Souveränität Europas ein“,
sagte ein Firmensprecher.
Noch bis im vergangenen Jahr hat-
te die Deutsche Telekom zusammen
mit Microsoft ein besonderes Cloud-
Modell angeboten. Dabei wurden

Cloud-Dienste


EU-Staaten setzen auf


deutsches Start-up


Nextcloud gewinnt Großaufträge in Frankreich, Schweden und den


Niederlanden. Datenhoheit zieht als Argument gegen US-Konkurrenz.


Serverraum: Daten bleiben
in der Hand der Staaten.

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12 100


294 000


Steigende Nachfrage
Zahl der Server,
auf denen Nextcloud läuft

HANDELSBLATT


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Quelle: Unternehmen

Technologie
DIENSTAG, 27. AUGUST 2019, NR. 164

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