Handelsblatt - 27.08.2019

(lily) #1
mit Steuererhöhungsplänen für weitere Verunsiche-
rung sorgen. Und auch die Probleme der alten Ver-
mögensteuer sind aus Sicht von Experten nicht ge-
löst. 1995 hatte das Bundesverfassungsgericht die
damalige Steuer als verfassungswidrig eingestuft,
weil Grundstücke nach überalterten Maßstäben be-
wertet wurden. Seit 1997 wird sie daher nicht mehr
erhoben. Das Problem mit den Grundstücken sei in-
zwischen gelöst, sagte Schäfer-Gümbel. Die derzeit
geplante Reform der Grundsteuer sieht vor, Grund-
stücke und Immobilien mit einem neuen, an realen
Marktwerten angelehnten Modell zu bewerten.
Der frühere Verfassungsrichter Paul Kirchhof
sieht hingegen weiter Schwierigkeiten. „Eine Ver-
mögensteuer kann grundsätzlich erhoben werden.
Sie ist aber nur dann verfassungskonform, wenn
die Bewertung des Vermögens in Ordnung ist.“ Die
Erbschaftsteuer zeige, dass dies kaum möglich sei.
Und im Gegensatz zur Erbschaftsteuer muss der
Staat bei der Vermögensteuer jedes Jahr eine Be-
wertung des Vermögens vornehmen. „Die Vermö-
gensteuer ist das falsche Konzept für die Gegen-
wart“, sagte Kirchhof.
Ein weiterer Knackpunkt ist der Bürokratieauf-
wand. Alle Vermögenswerte zu berücksichtigen ist
aufwendig, gerade wenn das Geld in Kunstwerken,
Perserteppichen oder Jachten steckt. Schätzungen
zufolge verschlang die bis 1996 erhobene Vermö-
gensteuer ein Drittel ihres Ertrags in Form von Ver-
waltungskosten. Laut Schäfer-Gümbel ist das beim
SPD-Vorschlag nicht der Fall, der Bürokratieauf-
wand bewege sich zwischen fünf und acht Prozent
des geplanten Aufkommens. Das hält er für vertret-
bar. Man müsse gegen die wachsende Kluft zwi-
schen Arm und Reich etwas tun. Vermögende hät-
ten über steigende Aktienkurse und höhere Immo-
bilienpreise sogar noch vom Ausbruch der
Finanzmarktkrise 2008 profitiert. Zudem seien 80
Prozent aller Vermögen erbschaftsbedingt – und
damit „leistungsloses Einkommen“, so Schäfer-
Gümbel. Eine strengere Erbschaftsteuer habe die
Union aber bei der letzten Reform blockiert.
Eine Vermögensteuer wird mit CDU und CSU
aber auch nicht zu machen sein. Trotzdem wagt

die SPD nun den Vorstoß. „Wir wollen eine neue
Dynamik in die Verteilungsdebatte bringen. Und
wir wollen endlich eine Frage klären, zu der wir zu
lange keine klare Position hatten“, so Schäfer-Güm-
bel. Wenn die Vermögensteuer zu einer stärkeren
Unterscheidbarkeit zwischen Union und SPD füh-
re, sei das eine „gute Sache“. Außerdem brauche
der Staat die Einnahmen, um Herausforderungen
wie die Digitalisierung oder den Klimawandel be-
wältigen und mehr investieren zu können.
Nur mangelt es laut Ökonomen dem Staat eigent-
lich nicht an Einnahmen. So sind die Steuereinnah-
men je Bürger zwischen 2010 und 2018 dank des
Aufschwungs um 44 Prozent gestiegen, von 6 490
auf 9 350 Euro, wie eine Berechnung des Instituts
der deutschen Wirtschaft Köln zeigt, die dem Han-
delsblatt vorliegt. In der SPD kennt man all die Vor-
behalte. Deshalb will die Partei die Vermögensteuer
so einführen, dass sie weder für den einzelnen
Steuerzahler noch für die Wirtschaft größeren Scha-
den anrichtet. Um nicht „Oma ihr klein Häuschen“
zu besteuern, plant die SPD „persönliche Freibeträ-
ge für Singles und Verheiratete“. Auch soll Vermö-
gen für die Altersvorsorge oder der Hausrat nicht
unter die Steuer fallen. Analog zur Erbschaftsteuer
sind Verschonungsregeln für Firmen vorgesehen.
„Mit der Vermögensteuer werden keine Arbeitsplät-
ze gefährdet“, heißt es in dem SPD-Konzept.
Konkrete Angaben sind in dem SPD-Papier noch
nicht enthalten. Allerdings hat sich die SPD-Arbeits-
gruppe stark an einem Gesetzesentwurf orientiert,
den die SPD-geführten Bundesländer vor einigen
Jahren geschrieben haben. Sie plädierten damals
für einen Freibetrag in Höhe von zwei Millionen
Euro für Singles, für Ehepartner läge er doppelt so
hoch. Bis zu diesem Vermögen wäre keine Steuer
fällig. Allerdings schmilzt der Freibetrag mit stei-
gendem Einkommen ab, um Multimillionäre stär-
ker heranzuziehen. Bei einem Steuerzahler mit
zehn Millionen Euro Vermögen würden 9,5 Millio-
nen Euro versteuert.
Für Familienunternehmer kann es also teuer
werden. Die Pläne stoßen dort auf Unverständnis.
„Die Debatte zur Einführung einer Vermögensteuer
ist kurzsichtig und geradezu absurd“, sagte Arndt
Kirchhoff, Präsident der Unternehmensverbände
Nordrhein-Westfalen. Angesichts der abflauenden
Konjunktur brauche man dringend Maßnahmen,
um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. „Jetzt
noch zusätzlich eine Substanzbesteuerung unab-
hängig vom Gewinn einzuführen, würde zudem
insbesondere den industriellen Mittelstand und die
Familienunternehmen massiv treffen.“ Auch Erich
Sixt, Vorstandsvorsitzender des gleichnamigen Au-
tovermieters, warnt vor negativen Folgen. In vielen
Fällen könnten erst einmal nur durch die Veräuße-
rung von Unternehmensanteilen die finanziellen
Mittel aufgebracht werden, um die Vermögensteuer
zu begleichen, die ja aus bereits versteuertem Ein-
kommen bezahlt werden müsste. „Kurzum: So wür-
den riesige Werte vernichtet“, warnt Sixt. „Zudem
wären dringend notwendige Investitionen gefähr-
det und im schlimmsten Fall auch Arbeitsplätze. Ich
bezweifle stark, dass das im Interesse des Wirt-
schaftsstandorts Deutschland liegen würde.“
Brun-Hagen Hennerkes, Vorstandsvorsitzender
der Stiftung Familienunternehmen, glaubt, die
Angst vor den Wahlen in Sachsen und Branden-
burg treibe die SPD zu einer Verzweiflungstat.
„Dieser Vorschlag gehört schnellstens in den Pa-
pierkorb.“ Und laut Heraeus-Aufsichtsratschef Jür-
gen Heraeus will die SPD mit ihrer Forderung „ein
Zusammenarbeiten mit der Linken vorbereiten.“
Ex-Verfassungsrichter Kirchhof verweist noch auf
einen grundsätzlichen Aspekt: „Nachdem zuvor
Einkommen und Konsum besteuert worden sind,
sollte man den Eigentümer von Vermögen – ver-
steuertem Einkommen – in den Garten der Freiheit
entlassen und ihn nicht erneut am Kassenhäus-
chen des Staates vorbeiführen.“ M. Fasse, M. Grei-
ve, J. Hildebrand, A. Müller, K. Terpitz


Kommentar Seite 14



Studie


Kein Soli-Ende


für Unternehmen


D


er Solidaritätszuschlag wird durch die
von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) ge-
plante Reform zu einer Steuer, die über-
wiegend von Unternehmen getragen wird. Das
geht aus einer Analyse des arbeitgebernahen In-
stituts der deutschen Wirtschaft (IW) hervor, die
dem Handelsblatt vorliegt. Danach tragen Unter-
nehmen derzeit rund 31 Prozent zum Aufkom-
men des Solidaritätszuschlags bei, Arbeitnehmer
69 Prozent. Durch die von Scholz geplante Ände-
rung verschiebt sich das Verhältnis deutlich: Laut
IW-Studie hätten Firmen im Jahr 2021 dann einen
Anteil von 57 Prozent, Arbeitnehmer 43 Prozent.
Die teilweise Abschaffung des Solis „geht am Un-
ternehmenssektor größtenteils vorbei“, heißt es
in dem IW-Papier.
Scholz plant, den Soli für 90 Prozent der Steu-
erzahler abzuschaffen. Die restlichen zehn Pro-
zent müssen die Sonderabgabe teilweise oder
ganz weiterzahlen. Diese kleine Gruppe der Gut-
verdiener trägt rund die Hälfte des gesamten Soli-
Aufkommens von schätzungsweise 21 Milliarden
Euro im Jahr 2021. In dem oberen Einkommens-
bereich, der den Zuschlag ganz oder teilweise
weiter zahlen soll, fänden sich viele Selbstständi-
ge und Personengesellschaften, schreibt das IW.
Zudem wird der Soli auch als Aufschlag auf die
Körperschaftsteuer erhoben. Scholz plant hier
keine Änderungen, so dass Kapitalgesellschaften
nicht von der Reform profitieren.
„Der Gesetzentwurf schwächt die Wettbe-
werbsposition des Standorts Deutschland“, urtei-
len Martin Beznoska und Tobias Hentze in der
IW-Studie. Denn gleichzeitig würden Staaten wie
die USA, Frankreich und Großbritannien ihre Un-
ternehmensteuern senken. Die Ökonomen for-
dern, den Soli auch für die Wirtschaft abzuschaf-
fen, und das schon im kommenden Jahr, nicht
erst 2021. „Aus ökonomischer Sicht würde eine
Abschaffung zum Jahresende den unternehmeri-
schen Spielraum für Investitionen vergrößern
und die Arbeitsanreize auch für gut verdienende
Arbeitnehmer verbessern“, heißt es in dem Pa-
pier. Dies könne der Konjunkturabkühlung ent-
gegenwirken.
Scholz hatte den teilweisen Abbau des Solis
ebenfalls als Maßnahme zur Konjunkturstützung
bezeichnet. Allerdings käme diese mit der von
ihm geplanten Umsetzung im Jahr 2021 spät. Die
Bundesbank hat in ihrem jüngsten Monatsbericht
ein Vorziehen ins Spiel gebracht und auf die noch
gute Lage im Bundeshaushalt im kommenden
Jahr verwiesen. „Angesichts der vorhandenen
Spielräume wäre es beispielsweise möglich, zeit-
nah mit dem Abbau des aus mehreren Gründen
problematischen Solidaritätszuschlags zu begin-
nen“, heißt es in dem Bericht. Die Bundesbank
verweist darauf, dass es verfassungsrechtliche Ri-
siken gebe, den Soli nach Auslaufen des Solidar-
pakts Ende 2019 teilweise oder komplett weiter
zu erheben. M. Greive, J. Hildebrand

Verteilung des Solidaritätszuschlags
Aufkommen für das Jahr 2021

69 % 43 %


31 %


57 %


HANDELSBLATT • Quellen: BMF, Destatis, IW

Unternehmen


Arbeitnehmer


Status quo Reform laut BMF


imago/photothek, Funke Foto Services, Agency People Image, Bert Bostelmann/Bildfolio für Handelsblatt [M]


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PROZENT


Anstieg verzeichneten
die Steuereinnahmen
je Bundesbürger
zwischen
2010 und 2018.

Quelle: IW Köln


Es ist ein einziges


Schaulaufen der SPD, die


ein Zusammenarbeiten mit


der Linken vorbereitet.


Jürgen Heraeus
Aufsichtsratschef von Heraeus

Griff nach dem Geld


DIENSTAG, 27. AUGUST 2019, NR. 164


5

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